Das verflixte 7. Jahr

Bei all den Corona-Debatten hätte ich den Termin beinahe selber übersehen: Dieses Blog ging am 26. Oktober 2013 an den Start – also vor genau 7 Jahren und einem Tag! 

Ganze 10 Artikel gab es 2013, im darauf folgenden Jahr waren es 45. In den letzten 12 Monaten erschienen zirka 200 Beiträge, davon 9 von Gastautoren:

http://milongafuehrer.blogspot.com/search/label/Gastbeitr%C3%A4ge

Mit dem heutigen Tag steht „Gerhards Tango Report“ bei fast 835000 Leser-Zugriffen insgesamt. 1088 Posts sind derzeit abrufbar, es gab 2798 Kommentare.

In den ersten 5 Monaten des 7. Jahrs waren es typische Tangothemen, welche größeres Interesse fanden. Bemerkenswert unter anderem die Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren bei einem russischen Tangofestival oder die nicht grundsätzlich anderen Einstellungen Berliner Tango-VIPs zur Emanzipation. Als ich Erstes kritisierte, erhielt ich Zustimmung, im anderen Fall dagegen schwerste Angriffe auf meine Person. Begleiterscheinung war, dass sich der Blogger-Kollege Thomas Kröter endgültig distanzierte – natürlich von mir.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/11/petersburger-machte.html

https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/11/das-krokodil-und-sein-wachter.html

Außergewöhnlich viele Leser fand ein Text zur Hierarchie im Tango, anknüpfend an den Kampfbegriff des „tänzerischen Levels“:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/12/das-hohe-niveau.html

Auch die Angriffe auf mein Blog gingen weiter – mit den altbekannten Argumenten: Ich würde falsch bzw. unerlaubt zitieren, andere beleidigen und von meinen Ansichten abweichende Kommentare löschen. Geschmackvollerweise verglich einer meiner Dauerkritiker meine Internet-Präsenz mit Presseorganen kommunistischer Regimes wie der „Prawda“ und dem „Neuen Deutschland“.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/01/offener-brief-elijah-nur-filbustan.html

https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/06/niemand-predigt-hier-toleranz-nur-sie.html

https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/08/bildchen-vom-diffamierer.html 

Der Stil solcher Aktivitäten hat sich nicht verändert: Meist redet man nicht mit mir, sondern über mich – gerne auf fremden Facebook-Seiten, wo ich keinen Einfluss habe. Es gibt genügend digitale „Hausherren“, welche Anwürfe gegen mich unkommentiert stehen lassen und erst Machtworte sprechen, wenn ich mich dann wehre. 

Daher habe ich mich vor kurzer Zeit zum Appell entschlossen, Artikel von mir nicht mehr zu verlinken. Natürlich büße ich so eine gewisse Reichweite ein, aber es fehlen dann auch die ständigen „Fake News“ zu meinem Blog. Wenn man zum zehnten Mal liest, ich würde andere Ansichten unterdrücken, prägt sich das halt ein. Erwartungsgemäß fehlen solche Attacken nun fast völlig. Man weiß offenbar nicht, wo man sie noch platzieren soll.    

https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/09/eine-wichtige-bitte-meine-leser.html 

Überhaupt hat sich ja die Reaktion auf meine Texte in den sieben Jahren völlig verändert: Anfangs setzte man auf die totale Aggression: Was ich mir überhaupt einbilde, das sei ja eine Frechheit, finsterste Höllenstrafen das Mindeste! Leider merkte man mit der Zeit, dass mich dies nicht beeindruckte, sondern eher dazu anspornte, die doofsten Anwürfe auf meinen Seiten zu zitieren. 

Mit der Zeit ging man zur Kriminalisierung über: Was ich mache, sei illegal. Dafür suchte man nach immer neuen und abstruseren Belegen. Beispielsweise nahm mich eine Tango-Aktivistin zum Thema Geld ins Kreuzverhör: Ob ich denn alle Einnahmen unserer Wohnzimmer-Milonga versteuere? (Äh… welche Einnahmen?) Da sei das Finanzamt ziemlich humorlos. Und als ich in einem Artikel der im Nazi-Regime verfolgten jüdischen Komponisten, Texter und Kabarettisten gedachte, bezichtigte man mich allen Ernstes des Antisemitismus.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/06/die-tango-mafia-lasst-dissen.html

https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/12/die-menschen-hinter-den-liedern.html 

Manchmal habe ich das Gefühl, dass auf Medien wie Facebook ein gigantischer Blödheits-Contest läuft. Und die Schärfe von Tango-Diskussionen bildet ja keineswegs die Spitze dieses Wettbewerbs. Da gelten Morddrohungen schon mal als Meinungsäußerung...

Ab Ende Februar machte dies die einsetzende Corona-Pandemie nicht besser. Am 29. Februar schrieb ich unter dem Titel „Tango- und Coronavirus“ zum ersten Mal viel beachtet zu diesem Thema. Klar, wie fast alle damals nahm ich den neuen, weitgehend unbekannten Erreger bei Weitem nicht so ernst, wie ich es heute tue. Inzwischen zählt mein Blog 64 weitere Texte zu Corona – und ich habe stets versucht, die Ereignisse tagesaktuell auf dem Stand des jeweiligen Wissens zu kommentieren.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/02/tango-und-coronavirus.html

Was sich jedoch nicht verändert hat: Weder habe ich in Panikgeschrei eingestimmt noch die Theorien seltsamer Tatsachenleugner verbreitet, sondern stets versucht, einen Mittelweg auf der Basis dessen zu propagieren, was ich dereinst als Student der Naturwissenschaften lernte: skeptisch zu bleiben und mich nur an nachweisbaren Tatsachen zu orientieren. „Die Wissenschaft hat keine ‚Meinung‘“ – so kürzlich der Virologe Christian Drosten. Facebook schon.

Daher wurde ich – je nach ideologischem Glaubensbekenntnis – als furchtbarer Verharmloser oder unerträglicher Mainstream-Befürworter hingestellt. Ich versuchte dennoch Diskussionen mit beiden Seiten, die jedoch höchstens ansatzweise gelangen. So weigerte sich ein Corona-Skeptiker, dem ich bei mir einen Gastbeitrag schreiben ließ, im Endeffekt, meine Kommentare auf seiner Seite zu veröffentlichen.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/07/im-corona-dialog.html 

Durchaus ähnlich verhielten sich die Initiatoren der Online Petition „Weltkulturerbe Tango Argentino in Deutschland retten“, als ich anfragte, ob man zu diesem Weltkulturerbe beispielsweise auch die Tangomusik nach 1960 zähle oder wirklich glaube, nur die Tango-Profis würden diesen Tanz bei uns pflegen und erhalten. Erst recht war natürlich der Ofen aus, als ich ein unsäglich verkitschtes Werbevideo dazu satirisch als „Verpilcherung fürs Weltkulturerbe“ darstellte.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/06/die-retter-des-weltkulturerbes.html

https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/06/verpilcherung-furs-weltkulturerbe.html 

Er werde mich in Zukunft ignorieren, schrieb damals ein bekannter Berliner Tango-Offizieller. Das bildet derzeit den generellen Trend. Kaum jemand versucht eine inhaltliche Diskussion über meine Sichtweisen. Sind sie so stichhaltig, dass man darin keine Chance sieht?

Interessant ist allerdings die „Fernwirkung“ meiner Artikel. Belege ich wieder mal ein Hauen und Stechen auf gewissen Facebook-Seiten mit Zitaten, herrscht dort anschließend oft tiefstes Schweigen. Man sehnt sich wohl nicht danach, als belustigender Spruch auf meinem Blog zu landen. Immerhin! 

Da ich meine Ansichten durchaus nicht als der Weisheit letzten Schluss betrachte, bedauere ich es sehr, dass inzwischen auf fast allen deutschsprachigen Tangoblogs Schweigen herrscht. Lediglich die wackeren Damen von „Berlin Tango Vibes“ publizieren noch unverdrossen – derzeit vor allem eine inzwischen 15-teilige Serie mit „Milonga-Typen“. Ein Thema übrigens, das ich ja schon 2010 in der Erstausgabe meines Tangobuches satirisch behandelte und wogegen ein gewisser „Cassiel“ dereinst ein veritables Haberfeldtreiben inszenierte. Inzwischen regt das offenbar keinen mehr auf.

Im Gegenteil: Nun relativieren Cassiel und auch seine ideologische Vorzeigedame Melina Sedó den Begriff „traditioneller Tango“, für den sie jahrelang in aggressiver Weise trommelten. Ja, so ändern sich die Zeiten…

https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/06/ende-der-marchenstunde.html

„Zunächst die Antworten auf die entscheidenden Fragen: Warum und wie?“ betitelte ich den ersten Artikel am 26.10.13. Unter anderem schrieb ich damals: 

„Daher werde ich mir erlauben, hier immer wieder einmal Aspekte des Tango argentino anzusprechen, die mir gerade aktuell und wichtig erscheinen. Da dies ohne Wertungen nichts sagend und langweilig wäre, lassen sich positive wie negative Einschätzungen nicht vermeiden. (…)

Dies soll sich auch im sprachlichen Stil dieses Blogs widerspiegeln: Wenn es der Sache dient, darf Kritik durchaus hart sein, kann eine zugespitzte Satire genau den Punkt treffen, um den es geht. Wo dagegen eine heftige Wortwahl nur dazu dient, Gegner herunterzumachen, ist eine Grenze überschritten, auf deren Einhaltung ich achte.

Mir geht es um Qualität, nicht um Quantität. Kommentar- und Zugriffszahlen sind für mich kein Kriterium. Dennoch (oder genau deshalb?) würde es mich sehr freuen, wenn hier eine fundierte und gehaltvolle Diskussion entstünde.“

Trotz der vielen Erfahrungen, welche ich damals noch nicht hatte, kann ich mit diesen Zeilen immer noch gut leben. Das macht mich stolz.

Apropos Leser-Zugriffe: Mein Blog ging nicht unbeschadet durch die Krise. Tango hat natürlich auch hinsichtlich von Texten an Attraktivität verloren. Ich hatte schon mal über 600 Klicks täglich – aktuell sind es knapp 400. Aber anfangs war ich zufrieden, wenn sich am Tag mehr als 50 Leser einschalteten. Daher: Ich bin immer noch glücklich über jeden Einzelnen, der sich für einen Text interessiert, der sich gut informiert sowie unterhalten fühlt. Dem ich vielleicht sogar helfen konnte – ob im Tango oder sonst wo. 

Ja, dank Corona war es für mein Blog wahrlich ein verflixtes 7. Jahr". Filmkenner haben natürlich meine Anspielung auf die Billy Wilder-Filmkomödie mit der legendären Marylin Monroe sofort erkannt. Aber diese Zahl ist durchaus auch von praktischer Bedeutung: Die meisten Ehescheidungen (zirka 24 Prozent) erfolgen bei uns nach 6-10 Ehejahren. Allerdings beträgt die durchschnittliche Dauer einer geschiedenen Ehe fast 15 Jahre. Also sollte mein Blog noch etwa 8 Jahre weiter bestehen…

Der Regisseur Billy Wilder war bei Gags nicht zimperlich. Getroffene hatten die Wahl zwischen Ärgern oder Mitlachen. Sein Erfolgsrezept kann ich sehr gut nachvollziehen:

„Ich habe zehn Gebote. Die ersten neun sind, du sollst nicht langweilen. Das zehnte ist, du sollst das Recht auf die Endfassung haben.“ 

Na dann! Und glücklicherweise muss ich nicht mit Chaotinnen wie der Diva Monroe zusammenarbeiten. Nach den Dreharbeiten zum „Verflixten 7. Jahr“ gab Billy Wilder zu Protokoll: 

„Würde ich noch einmal mit Marilyn drehen? Ich habe das mit meinem Hausarzt, meinem Psychiater und meinem Buchhalter diskutiert, und sie haben mir gesagt, ich sei zu alt und zu reich, um das noch einmal durchzumachen.“ (Vier Jahre später drehte er mit ihr doch noch einmal - Manche mögen's heiß".)

Da bin ich doch in einer glücklicheren Lage! Nochmal 7 Jahre? Aber gern! 

Mit herzlichem Dank an all meine treuen Leser

Gerhard Riedl  

P.S. Natürlich gibt es zum Jubiläum noch den Film-Trailer mit dem wehenden Rock. Zu solchen Effekten benötigt man keinen Tango – die Abluft einer U-Bahn reicht:


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