Catcalling
Die 20-jährige Studentin Antonia Quell aus Fulda hat es kürzlich in die Tagespresse geschafft. Der Grund: Eine von ihr gestartete Online-Petition, die bereits über 58000 Unterzeichner hat.
Aus dem Text dazu:
„Es ist 2020. Verbale sexuelle Belästigung sollte strafbar sein.
Nicht jeder Mann macht es, aber jede Frau kennt es. Catcalling, so wird verbale sexuelle Belästigung genannt.
Catcalls sollten nicht mit Komplimenten verwechselt werden:
„Ey Blondie“, „Schnecke komm doch mal rüber“, Kuss- und Pfeifgeräusche oder anzügliche Gesten sind keine Komplimente.
Catcalling ist vielmehr das Ausnutzen von Dominanz und Macht. Wieso macht man das überhaupt?
Die Antwort ist simpel: Weil man es kann.“
https://www.openpetition.de/petition/online/es-ist-2020-catcalling-sollte-strafbar-sein
Als
ich davon las, habe ich mich zunächst gewundert, dass man auch heute noch
Frauen ungestraft Sprüche hinterherrufen darf, die sie in ihrer Würde
verletzen. „Catcalling“ definiert
sich also durch „übergriffige,
sexuell aufgeladene Kommentare von Männern gegenüber Frauen“. Gerne spitzt man auch die Lippen und erzeugt Geräusche, mit denen man Katzen anlocken kann – daher wohl der englische Ausdruck. Mehr als zwei Drittel der Frauen haben nach einer Umfrage Solches schon einmal erlebt, vor allem junge Damen unter 25.
https://www.brigitte.de/liebe/sex-flirten/catcalling--so-kannst-du-dich-wehren-11591582.html
Kann man eindeutige sexuelle Gesten oder Sprüche wie „Wow! Geiler Arsch!" nicht heute schon als Beleidigung nach § 185 StGB ahnden? Nach meinen Recherchen tun sich die Juristen schwer damit:
„Eine Beleidigung ist die Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung einer Person. (…) Eine Meinungsäußerung ist beleidigend, wenn sie dem Opfer den Respekt als gleichwertige Rechtsperson aberkennt, indem sie den ethischen oder sozialen Wert des anderen geringer darstellt, als er tatsächlich ist.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Beleidigung_(Deutschland)
Meine Rechtsauffassung ist hier: In manchen Männerköpfen ist Sexualität untrennbar mit Dominanz und Aggression verbunden. Eine völlig unbekannte Person mit derlei Anmache zu belästigen, senkt eindeutig ihren sozialen Wert. Allenfalls bei Prostituierten könnte man derartig mit der Tür ins Haus fallen. Im normalen gesellschaftlichen Kontakt in solcher Weise das Niveau zu senken sehe ich durchaus als Beleidigung.
Aber gibt es nicht inzwischen einen Straftatbestand der sexuellen Belästigung? Ja – seit 2016. Allerdings setzt der einen körperlichen Kontakt voraus, Worte oder Gesten reichen hierfür nicht:
StGB § 184i:
(1) Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und
dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit
Geldstrafe bestraft, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften dieses
Abschnitts mit schwererer Strafe bedroht ist.
Den Straftatbestand einer verbalen sexuellen Belästigung gibt es also derzeit noch nicht. Nach meiner Ansicht ist er überfällig.
Ich habe mich auch mit den Gegenargumenten befasst:
Die männliche Standard-Entschuldigung lautet natürlich, die Anmache sei ja als Kompliment oder einfach Scherz gemeint gewesen. Da empfehle ich den Herren allerdings, ihre Chefin oder die Bankangestellte, bei der sie einen Kredit beantragen, mal mit „Ey, Süße“ anzusprechen. Nein, die Kerle wissen genau, dass dies eine Herabwürdigung darstellt. Und in welcher Situation sie die Sau rauslassen können. Erstaunlicherweise wird das meist nicht versucht, wenn die Frau in männlicher Begleitung ist. Ich nehme an, man fürchtet dann doch, eine aufs Maul zu bekommen…
Ja, aber die Männer würden doch durch ein solches Verbot derartig verunsichert, dass sie es überhaupt nicht mehr wagten, einer jungen Dame etwas Nettes zu sagen! Ich meine allerdings: Freundlich geht anders – und auch das ist selbst Kerlen mit Limbo-Level geläufig. Und klar kommt es auf die Situation und den Einzelfall an – aber das ist bei anderen Straftaten auch so. Außerdem hat sich ja im Sexualstrafrecht ein Grundsatz herausgebildet, den man auch hier anwenden sollte: Nein heißt nein. Spätestens wenn die Frau sich das verbittet, muss Schluss sein.
Was ich auch immer wieder las: Wie man denn sowas verfolgen wolle? Den Täter festhalten und die Polizei rufen? Selbst dann stünde aber Aussage gegen Aussage! Gut, dieses Beweisproblem gibt es besonders bei vielen Sexualstraftaten. Dennoch hat man sich beispielsweise 1997 entschlossen, die Vergewaltigung auch in der Ehe als solche zu verfolgen. Im Gegensatz dazu hätte man in der Öffentlichkeit wenigstens Zeugen!
In mehreren europäischen Ländern jedenfalls besteht diese Strafbestimmung schon – in Frankreich beispielsweise zahlt man seit 2018 bis zu 750 Euro. Im ersten Jahr nach der Einführung wurden bereits 700 Bußgelder verhängt. Geht doch!
Mein Lieblingsargument ist eine Variante des „Victim blaming“: Die Frauen wären doch selber schuld, wenn sie aufreizend bekleidet herumliefen. Nein, liebe Männer: Selbst falls ein weibliches Wesen nackend über die Straße liefe, bedeutet das nicht ihre konkludente Einwilligung, sich mit jeder dahergelaufenen intellektuellen Steißgeburt paaren zu wollen! Das folgende Video erklärt den Zusammenhang auch für ganz Blöde:
Etwas ernster zu nehmen ist die Sichtweise selbstbewusster Frauen, man könne mit solcher Anmache eigenständig umgehen – sei es, indem man den Belästiger ignoriert, zurückweist oder einen noch ärgeren Spruch ablässt. Das wäre ja auch in Zukunft nicht verboten, zumal hier sicherlich (wie bei Beleidigung) ein Antragsdelikt vorläge: Es würde nur verfolgt, wenn man einen Strafantrag stellt. Fest steht aber: Es gibt viele Frauen, welche solche Verhaltensweisen einschüchtern, die sich dann lieber nicht allein nachts über die Straße trauen oder sich lieber bis zum Hals verhüllen. Ich finde, der Staat muss hier klarmachen, dass verbale Belästigungen nicht nur gesellschaftlich verpönt, sondern verboten sind.
Beim Tango gibt es doch hoffentlich keine solchen Rüpel, die sich zu sexistischen Sprüchen hinreißen lassen, oder?
Na gut, muss ja auch nicht sein, wenn’s eh schon aus dem Lautsprecher dröhnt! In vielen Tangotexten wird ein ziemlich unterirdisches Frauenbild verbreitet. So dichtet der Autor Enrique Cadícamo im Titel Muñeca brava („Tolle Puppe“) aus dem Jahr 1929 unter anderem:
Tenés un camba que te hacen gustos
y veinte abriles que son diqueros,
y muy repleto tu monedero
pa´ patinarlo de Norte a Sud...
Te baten todos Muñeca Brava
porque a los giles mareás sin grupo,
pa´ mi sos siempre la que no supo
guardar un cacho de amor y juventud.
Du hast einen Gönner, der dir jeden Wunsch erfüllt,
und zwanzig appetitliche Lenze,
prallgefüllt ist deine Geldbörse.
In Saus und Braus kannst du leben,
dich nennen alle tolle Puppe,
denn die Trottel wickelst du ohne Tricks um die Finger,
aber für mich bist die immer diejenige,
die keinen Zipfel von Liebe und Jugend bewahren konnte.
(Übersetzung
nach Dieter Reichart: „Tango – Verweigerung und Trauer“, Suhrkamp)
Da mir dieses Stück (oft in der Version von Tanturi und Castillo) schon einige hundert Mal auf dem Parkett um die Ohren geblasen wurde, habe ich oft vergeblich darauf hingewiesen, dass mich das altertümliche Geschrammel und Gebläke in Überdosis nervt.
Vielleicht hilft nun das Argument, dass diese Beschreibung der französischen Prostituierten, die man nach Argentinien verschiffte, angesichts der historischen Tatsachen einfach sexistischer Quatsch ist?
Weitere Quelle:
"Beim Tango gibt es doch hoffentlich keine solchen Rüpel, die sich zu sexistischen Sprüchen hinreißen lassen, oder?" wenn du dich da mal nicht täuschst. In so mancher Augen wird auch verbales Auffordern als sexuelle Belästigung und Catcalling betrachtet werden und dann strafbar werden. Oder? ;-)
AntwortenLöschenDa ich auf selbstbewusste Damen stehe, befürworte ich auch deren entsprechende von dir oben genannte Argumentation, und empfehle weniger selbstbewussten Damen sich diesbezüglich halt selbst weiterzuentwickeln, anstatt sich unter Mama Staats Küchenschürze zu verstecken.
Na ja, das mit dem verbalen Auffordern als "sexuelle Nötigung" haben wir ja nun genügend durch. Auf welcher Seite ich da stehe, dürfte bekannt sein.
LöschenUnd was "Mama Staat" betrifft: Ich kenne auch Männer, die "Vater Staat" bemühen, wenn ihr Porsche einen Lackkratzer abkriegt. Der Staat garantiert aber nicht nur das Eigentumsrecht, sondern auch die Achtung der Menschenwürde.
verbal Auffordern: deshalb ja auch der Grinsling ;-)
Löschen(Ernster Hintergrund: man muss darauf aufpassen, was man sich wünscht. Wenn da vom Gesetzgeber allzu lax formuliert wird, dann stehst vielleicht plötzlich du (oder auch ich) als Sexualstraftäter da, weil du unerwünscht verbal aufgefordert hast.)
Mama Staat: Es gibt Leute (unabhängig vom Geschlecht) die möglichst alles in Gesetze gegossen und vom Staat geregelt wollen, und andere, die auf Selbstverantwortung setzen und einen autoritären oder totalitären Staat ablehnen. In der Praxis muss man natürlich den "richtigen" Mittelweg finden.
Menschenrechte (wie z.B. die Menschenwürde) waren m.W. eigentlich und ursprünglich gedacht als Abwehrrechte gegen einen übergriffigen Staat. Inwieweit der Staat regelnd in zwischenmenschliche Konflikte eingreifen soll, wird von den genannten Leuten halt unterschiedlich beurteilt.
Ich glaube, die Gerichte werden schon noch zwischen "Möchtest du tanzen?" und "Ey, geiler Arsch" unterscheiden können. Ich meine, selbst Kollege Cassiel hätte darauf vertraut.
LöschenUnd ja, das Strafrecht ist in einem demokratischen Staat stets die "Ultima Ratio". Dazu habe ich kürzlich einen Artikel geschrieben:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/10/die-ultima-ratio.html