Die Menschen hinter den Liedern
Vor
vier Wochen spielten wir mit dem Salon-Ensemble
Ingolstadt in Bad Gögging ein Kurkonzert
mit Schlagern der 1920-er und 30-er Jahre. Siehe Ankündigung:
Auf
dem Programm standen unter anderem
folgende Stücke:
Ein Freund, ein guter
Freund (Text: Robert Gilbert, Musik: Werner Richard Heymann, 1930)
Wenn die Elisabeth
nicht so schöne Beine hätt (Text: Karl Farkas und Géza Herczek, Musik: Robert Katscher, 1930)
Was will der Mann da
auf der Veranda? (Text und Musik: Willy Rosen, 1928)
Von der Puszta will
ich träumen (Text: Bruno Balz, Musik: Lothar Brühne, 1938)
Ich bin von Kopf bis
Fuß auf Liebe eingestellt (Text und Musik: Friedrich Hollaender, 1930)
In einem kleinen Café
in Hernals (Text: Peter Herz, Musik: Hermann Leopoldi, 1932)
Roter Mohn (Text:
Bruno Balz, Musik: Michael Jary, gesungen von Rosita Serrano, 1938)
Irgendwo auf der Welt
gibt’s ein kleines bisschen Glück (Text: Robert Gilbert, Musik: Werner Richard
Heymann, gesungen von Lilian Harvey, 1932)
Ich
sage diese Musik sehr gern an. Sie ist – je nachdem – fröhlich, romantisch, verträumt,
schwungvoll, dynamisch und manchmal albern. Menschen ab 50 kennen meist die Melodien – und die ab meinem Alter
singen gelegentlich noch die Texte
mit. Doch wer hat diese Lieder komponiert oder gar die Worte verfasst? Das weiß kaum
jemand.
Daher
versuche ich, in meiner Moderation
etwas darüber zu berichten. Heute hat man ja per Internet schnell die Informationen
zusammen. Was mir dabei immer wieder auffällt: Viele der Autoren und Komponisten
mussten Deutschland im Dritten Reich
verlassen (falls sie es denn noch schafften). Meist, weil sie Juden waren. In dem Programm, das wir
neulich spielten, betrifft das fast ein Dutzend. Hier das Protokoll einer Kulturvernichtung:
Robert Gilbert (David Robert
Winterfeld, 1899-1978) musste als Jude über Wien und Paris in die USA
emigrieren und kehrte 1949 nach Europa zurück.
Werner Richard
Heymann
(1896-1961) emigrierte wegen seiner jüdischen Abstammung 1933 und landete nach
einigen Zwischenstationen in den USA. Er nahm die US-amerikanische Nationalität
an. Bei seiner Rückkehr bewarb er sich in Bayern um die Wiedererlangung der
deutschen Staatsbürgerschaft. In der zuständigen Behörde wurde er gefragt, ob
er Kenntnisse der deutschen Kultur habe, beispielsweise ein deutsches
Volkslied kenne. Er sang den Beamten den Titel „Das gibt’s nur einmal“ vor und wurde eingebürgert. Dass die
Melodie von ihm stammte, verriet er nicht.
Karl Farkas (1893-1971) musste
als Jude1938 über viele Irrwege in die USA emigrieren. Von seiner katholischen
Frau hatte er sich sicherheitshalber scheiden lassen, er heiratete sie erneut
nach seiner Rückkehr nach Wien 1946.
Robert Katscher (1894-1942) musste
als Jude nach dem Anschluss Österreichs 1938 in die USA emigirieren.
Willy Rosen (Wilhelm Julius Rosenbaum, 1894-1944),
ebenfalls Jude, gelang die Flucht in die USA nicht mehr. Er wurde interniert
und schließlich in Auschwitz ermordet.
Bruno Balz (1902-1988) verbrachte wegen seiner Homosexualität
im Dritten Reich mehrere Monate im Gefängnis und wurde vom Regime zur Scheinehe
mit einer linientreuen pommerschen Bäuerin gezwungen. 1941 drohte ihm nach
Folter und Gestapohaft die Internierung im KZ.
Lediglich dem Komponisten Michael Jary hatte er es zu verdanken, wieder freizukommen. Der
sollte nämlich für den Film „Die große Liebe“ Lieder als „Beitrag zur
Kriegsanstrengung“ schreiben. Die, so Jary, könne nur sein Kollege Balz texten.
Noch in Haft und am Tag der Freilassung schrieb Bruno Balz zwei seiner größten
Erfolge: „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh‘n“ und „Davon
geht die Welt nicht unter“.
Genau wegen dieser „Durchhalteschlager“ bekam Balz
nach dem Krieg Ärger mit den Aliierten, wurde aber 1946 freigesprochen. Die
Probleme gingen aber weiter: Seine Schein-Ehefrau wollte sich nicht scheiden
lassen und drohte mit Denunziation wegen des Schwulen-Paragrafen 175.
Viele dieser Tatsachen wurden erst ab 1998 bekannt,
da Balz testamentarisch eine Informations-Sperre in den ersten zehn Jahren nach seinem Tod
verfügt hatte.
Friedrich Hollaender (1896-1976) floh
als Jude 1933 über Paris nach Hollywood. Er kehrte 1955 nach München zurück.
Rosita Serrano (María Martha Esther
Aldunate del Campo, 1914-1997) wurde wegen ihres
glockenhellen Soprans als „Chilenische Nachtigall“ berühmt. Nach großen
Erfolgen musste sie 1943 aus Deutschland fliehen – da ihr „Spionage“
vorgeworfen wurde. In Wahrheit ging es
wohl um ihre Unterstützung jüdischer Flüchtlinge.
1951 kehrte sie wieder nach Deutschland zurück,
konnte aber nicht mehr an ihre alten Erfolge anknüpfen. 1997 starb sie völlig
verarmt in Chile.
Lilian Harvey (Lilian Helen Muriel Pape, 1906-1968), ein
gefeierter UFA-Star, fiel 1939 wegen ihrer Kontakte zu jüdischen Kollegen bei
den Nazis in Ungnade. Sie floh über Frankreich nach Hollywood und kehrte 1949
nach Deutschland zurück.
Hermann Leopoldi (Hersch Kohn, 1888-1959)
landete als Jude 1938 im KZ. Seien Frau und ihre Eltern, die schon in den USA
lebten, konnten ihn freikaufen. 1947 kehrte Leopoldi nach Wien zurück.
Peter Herz (1895 – 1987) musste
wegen seiner jüdischen Herkunft 1938 Österreich verlassen und emigrierte nach
England. 1945 kehrte er in seine Heimat zurück.
In
seinen Lebenserinnerungen schreibt er:
„Man kann die Summe
des Elends, diese Rekordzahl von Tötungen, diese Hypertrophie von Untaten und
Verbrechen, die das Naziregime verübte, nicht überblicken, überschauen. […] Und
doch! Ein alter Herr wie ich neigt eher dazu, mit den Jahren alles
wegzuschieben, wegzudenken, was unvergessen bleiben muss, nie vergessen werden
darf. […] Aber leider … In Wien wird es mir bei allem Vergessen wollen weiter
noch zu Ohren gebracht, denn auch ein schwerhöriger Alter wie ich muss öfter
Aussprüche von echten Wienern mit bekanntlich goldenem Herzen hören, wie zum
Beispiel: ‚Viel zu wenig Juden hat man vergast’, ‚Schon wieder ein Jud, der
durch’n Rost g’fallen is’, ‚Der Hitler hat schon recht g’habt, als er die Juden
wie Ungeziefer behandelt und vernichten lassen hat’.“
(Gestern war ein schöner Tag.
Liebeserklärung eines Librettisten an die Vergangenheit)
Seit ich das alles weiß, ist mir der „Tanz auf dem Vulkan“ klar, in dem
viele dieser „ach so fröhlichen" Titel
entstanden. Deshalb sage ich sie umso lieber an. Nicht alle Sänger, Texter
und Komponisten konnten nach der Naziherrschaft an ihre alten Erfolge
anknüpfen. Dies alles auch einmal (wie beim letzten Konzert) laut zu sagen, ist
man den Menschen hinter diesen Liedern
schuldig – Vergessen würde ihnen
ihre Vergangenheit rauben.
Und wenn ich mir zu Weihnachten etwas wünschen darf: Dass nicht in 50 Jahren der
nächste Moderator davon zu berichten hat, welche Künstler wieder aus Deutschland
emigrieren mussten, weil die Menschen bei uns erneut dem braunen Gesindel auf den Leim gegangen sind. Sondern, dass die kulturelle Vielfalt uns reicher gemacht
hat. Nicht nur im Tango!
Ein gutes Mittel wäre, Menschen nicht in Schubladen einzusortieren, sondern als Individuen zu achten – und sich bei
allen Gegensätzen um die Sache zu kümmern
statt die Person herabzusetzen.
Gerhard Riedl
Lieber Gerhard,
AntwortenLöschendieser Beitrag spricht mir aus der Seele!
Erwähnen möchte ich noch einen wichtigen Vertreter dieser Ära: Ralph Benatzky, der mit seinem „Weißen Rößl“ einen unvergesslichen Hit schrieb, auch wenn so manche Nummer in dieser Operette nicht aus seiner Feder stammt. Und auch der Schauplatz am Wolfgangsee ist eigentlich nicht so gemeint – aber das ist eine andere Geschichte.
Und ja – der braune Sumpf ist tief! Solange anders artige und anders denkende Menschen als Gegner bezeichnet werden, wird es immer einen Nährboden für diesen Sumpf geben. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich der Toleranzgedanke durchsetzen wird.
Liebe Grüße und alles Gute für das Neue Jahr!
Gertrude Blau
Herzlichen Dank!
LöschenÜbrigens war die Titelmelodie des "Weißen Rössl" die Schlussnummer unseres Programms.
Ich hoffe ebenfalls, dass sich Respekt und Toleranz weiterhin durchsetzen, trotz der momentanen Entwicklungen.
Allerdings halte ich die Bezeichnung "Gegner" (die es ja auch im Sport gibt), nicht für problematisch, da sie für mich einen fairen Wettbewerb impliziert. Das Wort "Feind" allerdings sollte man aus seinem Vokabular streichen.
Herzliche Grüße und ebenfalls alles Gute im Neuen Jahr!
Lieber Gerhard,
Löschendass das Wort „Gegner“ einen 'fairen' Wettbewerb impliziert, ist ja schon fraglich genug. Aber es impliziert vor allem, dass man gegen Gegner gewinnen will (das ist ja auch das Ziel im Sport). Und das widerspricht dem Toleranzgedanken. Nehmen wir einmal die Religionen als Beispiel: Wenn ich als Jüdin den Christen als Gegner bezeichnen würde, wäre bereits alles verloren und der Schritt zur Feindschaft ist dann nicht mehr weit. Es muss doch möglich sein, verschiedene Ansichten gleichberechtigt nebeneinander bestehen zu lassen.
Aber vielleicht irre ich mich.
Liebe Grüße,
Gertrude
Liebe Gertrude,
AntwortenLöschenich glaube, es kommt auf den Bereich an. Bei Religionen würde ich nie von "Gegnern" sprechen - da muss ja keiner gewinnen, da der Glaube eine individuelle Entscheidung ist.
Dort, wo sich Mehrheiten für eine Position finden müssen (wie in der Politik), würde ich das Wort "Gegner" durchaus verwenden. Hier ist es ja geradezu notwendig, dem Wähler Alternativen zu bieten. Klar bleiben die verschiedenen Ansichten gleichberechtigt - aber eine wird halt dann verwirklicht und die andere nicht.
Feindschaft muss dadurch nicht entstehen, wenn man bei der Sache bleibt und nicht die Person herabsetzt.
Herzliche Grüße
Gerhard
Nun, ich habe lange überlegt, ob ich auf diesen Beitrag antworten soll. Ich habe beschlossen: nein.
LöschenAber ich lasse einen anderen reden:
https://www.youtube.com/watch?v=Ur4WIZnYNFo
Gut zuhören!
Ich habe einen Großteil meiner Familie wegen politischer Gegner verloren – nun wird diese Redensart offenbar wieder salonfähig und verteidigt. Ich nehme das mit Schaudern zur Kenntnis und ziehe mich zurück.
Gertrude Blau
Das waren dann aber keine "Gegner", sondern Verbrecher.
LöschenWenn ich auch nur das Mindeste mit Herrn Gauland gemein hätte, wäre bestimmt nicht mein obiger Artikel entstanden.
Daher finde ich es ebenfalls besser, wenn wir diese völlig am Thema vorbeigehende Diskussion beenden.
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AntwortenLöschenSorry, aber beleidigende Kommentare veröffentliche ich nicht - siehe unten stehende Hinweise.
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