Cuando tú no estás
Wenn ich auf eine Insel nur ein Tangolied mitnehmen dürfte… wäre es wohl dieses. Kennengelernt habe ich es, als ich 2009 Germán Krals Film „El último aplauso“ sah. Er stellt eine Gruppe von alten Tangosängerinnen und Sängern vor, die viele Jahre in der Vorstadtkneipe „El Chino“ auftraten. Es sind eher wenig bekannte Künstler, aber Tango-Enthusiasten. Diese Musik ist ihr Leben. Als der Besitzer des Lokals stirbt, haben sie keine Auftrittsmöglichkeit mehr.
Die bekommen sie vom Filmteam, das ein junges Tangoorchester für ein letztes Konzert in ihrem Stammlokal engagiert. Noch einmal können sie ihre Stücke singen – für einen letzten Applaus. Besonders beeindruckt hat mich eine Szene mit der damals schon 85-jährigen Inés Arce. Zu einer Probe kommt sie gerade mit Mantel und Handtasche herein, als der Bandoneonspieler fragt, was sie singen wolle. Vielleicht „Cuando tú no estás“? „Bueno“, so ihre kurze Antwort, und dann legt sie los. Die Gänsehaut spüre ich heute noch, wenn ich diese Aufnahme höre:
Leider habe ich von dem Film nur noch einen Trailer gefunden, in dem auch Inés
Arce (die kleine zierliche Dame) kurz zu sehen und zu hören ist. „Denn alle Lieder spiegeln etwas aus dem
Leben wider und geben einem manchmal Hoffnung“, so eine der Sängerinnen.
Ich habe damals viel darüber gelernt, was Tango sein kann – und welches
Surrogat einem oft auf hiesigen Milongas geboten wird.
Mein Lieblingsstück stammt von dem Erfolgsduo Carlos Gardel (Komposition) und Alfredo Le Pera (Text) – unter Mitarbeit von Marcel Lattes und Mario Battistella. Gardel sang es 1933 in einem seiner Filme – mit viel Pomade und Schmalz. Übrigens liebe ich Kitsch – wenn er sich als solcher ausgibt und nicht so tut, als sei er Hochkultur.
Dem Einwand, bei dem Stück handle es sich um gar keinen „richtigen Tango“, sehe ich gefasst entgegen. Klar, es ist einfach ein Lied („Canción“) – aber wer mal dazu getanzt hat und vielleicht sogar den Text versteht, weiß: Viel mehr Tango geht nicht:
Solo en la ruta de mi destino
sin el amparo de tu mirar,
soy como un ave que en el camino
rompió las cuerdas de su cantar.
Cuando no estás la flor no perfuma,
si tú te vas, me envuelve la bruma;
el zorzal, la fuente y las estrellas
pierden para mí su seducción.
Cuando no estás muere mi esperanza,
si tú te vas se va mi ilusión.
Oye mi lamento, que confío al viento,
todo es dolor cuando tú no estás.
Nace la aurora resplandeciente,
clara mañana, bello rosal,
brilla la estrella, canta la fuente,
ríe la vida, porque tú estás.
Cuando no estás…
Da ich unbedingt wissen wollte, worum es geht, habe ich schon vor langer Zeit eine Übersetzung versucht:
Wenn es dich nicht gibt
Allein auf dem Weg meines Schicksals
ohne den Schutz deines Blicks,
bin ich wie ein Vogel, der auf seinem Weg
seine Stimmbänder zerstört hat.
Wenn du nicht bist, duftet die Blume nicht,
wenn du gehst, umhüllt mich der Nebel.
Die Drossel, der Brunnen und die Sterne
verlieren für mich ihre Verführung.
Wenn du nicht bist, stirbt meine Hoffnung,
wenn du gehst, geht mein Wunschtraum.
Höre meine Klage, die ich dem Wind anvertraue,
alles ist Schmerz, wenn du nicht bist.
Geboren ist die strahlende Morgendämmerung,
klarer Morgen, schöner Rosenstrauch,
der Stern scheint, der Brunnen singt,
Das Leben lacht, weil du es bist.
Wenn es dich nicht gibt ...
Auf einer Milonga – außer in Pörnbach – habe ich das Stück noch nie gehört. Obwohl es von einer Vielzahl von Künstlern interpretiert wurde. Ja, ich weiß, wie bei vielen Gardel-Titeln lautet das Todesurteil der DJs: nicht tanzbar. Grundsätzlich ist es ja gut, die eigene Inkompetenz so offen zuzugeben…
Ob Inés Arce noch lebt? Sie müsste derzeit mindestens 96 Jahre alt sein. Das Netz meldet dazu nichts – zu unwichtig. Aber immer noch versuchen sich junge Künstler an dem Stück, manchmal weniger dramatisierend als ihre großen Vorgänger. Ein schönes Beispiel habe ich hier gefunden:
Klar, für jeden darf Tango etwas anderes bedeuten. Für mich sind es solche Lieder – und die Tänze dazu. Fuchtig werde ich lediglich, wenn ich Belehrungen entgegennehmen darf, was denn „richtiger Tango“ sei.
Denn die sind auf jeden Fall falsch.
P.S. Und hier eines der seltenen Videos, in denen Inés Arce singt. Es stammt ebenfalls aus dem Film „El último aplauso“:
https://www.youtube.com/watch?v=5HB6WDVPJfs&t=83s
Soeben hat mir eine Leserin aus Buenos Aires mitgeteilt, Inés Arce habe vor 2 Jahren noch regelmäßig jeden Freitag in der Bar “Los Laureles” gesungen. Ihre Auftritte hatten wie immer den “Gänsehaut-Faktor“. Und sie sei eine ganz zauberhafte Frau.
AntwortenLöschenDa ist sie also mit weit über 90 noch aufgetreten - Donnerwetter! Das muss man auch erstmal hinkriegen.
Herzlichen Dank für die Information!