Die Lust geht außen vorbei

Um als Blogger auf dem Laufenden zu sein, muss man sich oft durch Unmengen von Kommentaren in sozialen Medien arbeiten. Dabei sollte man bedenken: Über 6 Millionen Erwachsene in Deutschland sind funktionale Analphabeten. Sie können nur einzelne Sätze lesen und schreiben, aber keine zusammenhängenden Texte. Immerhin 3,3 Millionen davon haben Deutsch als Muttersprache erlernt. Warum viele davon sich an Beiträgen auf Facebook versuchen, ist mir allerdings schleierhaft.

https://www.dw.com/de/zahl-der-analphabeten-in-deutschland-geht-zur%C3%BCck/a-48637432

Nach meinen Recherchen gilt: Die meisten davon sind männlich – und sie reden umso gescheiter daher, je weniger sie dies verschriftlichen können.

Ich habe hierzu die letzten drei Diskussionsstränge auf einer Tango-Facebookgruppe untersucht, aus der man nicht zitieren darf. Vielleicht helfen meine Anmerkungen ja dem einen oder anderen, die Ähnlichkeit seiner Ausführungen mit der deutschen Sprache etwas zu erhöhen:     

„Nur die Milongas, wo eine Befreiung gegen Maske kein Problem ist !“

Gemeint war wohl „gegen die Maskenpflicht“ – besser: „Befreiung von der Maskenpflicht“.

 „ich tanze in Mitten von ca. 35 Tänzer*innen“

„In der Mitte“ würde man zwar getrennt und großschreiben, „inmitten“ aber klein und zusammen.

„FFP2 hab ich als aller erstes im Alltag probiert.“

Zusammen schreibt man es eh, und wegen der Substantivierung auch groß.

„Danke, (...), für Deinen Kommentar und Erklärung, daß das mit Masken alles ganz gut machbar ist ...“

Seit 2006 bestimmt die Rechtschreibreform, dass (!) es nach kurzen Vokalen kein scharfes S mehr gibt, sondern eben ein Doppel-S. Vielen ist das bis heute unbekannt. Zur näheren Information:

https://www.rechtschreibrat.com/DOX/sr11-extra.pdf

„Mir ist nicht aufgefallen, das wir auf den Milongas weniger waren.“

Häufig ist der Grund des Übels, dass (!) man die Trennung eines Hauptsatzes von einem Nebensatz durch ein Komma nicht checkt.  

„I.d. Combo schützen und geschützt werden! Jeder nicht Maskenträger ist die schwächste Kette im Glied.“

Was eine kleine Musikgruppe (oft im Jazz) nun hier zu suchen hat, bleibt rätselhaft. Die Freudsche Verwechslung der beiden Substantive ist natürlich genial. Schöner hat es nur der SPD-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Klose dereinst im Bundestag hingekriegt: „Wir pfeifen nicht nach Ihrer Tanze!“

https://de.wikipedia.org/wiki/Combo 

„Wie lange kann man dir Abstinenz aushalten?“

Den Adressaten des Pronomens suchen wir hier vergeblich. Wahrscheinlich muss es „die“ heißen. 

„Worüber man einstweilen noch reden kann, sind Training.“

Die Verwechslung von Singular und Plural kommt häufig vor. Hier wird sie dadurch begünstigt, dass der Autor nicht zwischen Haupt- und Nebensatz unterscheidet und daher kein Komma einsetzt. 

„… ehe jemand Zeit hat, Nachfragen zustellen

Mit dem „Zustellen“ (der Post oder einer Ausfahrt) hat das wohl nichts zu tun. Vielmehr werden hier Nachfragen gestellt; daher ist eine Getrenntschreibung erforderlich.  

„Einzelne fehlten wegen Schnupfen oder Erkältung, um nicht andere anzustecken.“

Wie Bastian Sick schon feststellte: „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod.“ Daher natürlich „Schnupfens“. „Erkältung“ stimmt, da dies auch die Genitiv-Form darstellt. 

„…welches höher ist als Zuhause bleiben“

Leider falsch! Der Duden empfiehlt „zu Hause“, möglich ist auch „zuhause“. Aber ein Könner findet mühelos noch eine dritte Variante…

„Mein Tangonetzwerk auf FB erstreckt sich über vier Kontinente, und mit ist nur ein Todesfall durch Covid-19 bekannt.“

Ein Klassiker: Da man nicht erkennt, dass der zweite Satz ein neues Subjekt hat, verzichtet man aufs Komma. Und hängt noch einen Rechtschreibfehler dran.

„Das ist dann immer noch sehr überschaubar, mit wem ich engen Kontakt hatte, und nachzuvollziehen, sollte das wichtig werden.“

Durch den Verzicht auf gleich zwei Kommata grübelt man ziemlich lange am Sinn des Satzes herum.

„…aber das würde ich dann raus finden !“

„Herausfinden“ sollte man zusammenschreiben (ebenso wie dieses Wort!).

„Vermutlich wird es auf eine Pause raus laufen.“

Da läuft natürlich niemand und nichts heraus, vielmehr läuft es auf etwas hinaus: „hinauslaufen“. 

Es mus halt eine Sportgruppe sein.

Der oder das Mus, laut Duden ein aus gekochtem Obst, aus gekochten Kartoffeln o. Ä. hergestellter Brei“ ist hier wohl nicht gemeint. 

„man blickt ha nicht mehr durch“

Hä? Oder hat da jemand „halt“ gemeint? 

„Aber immerhin: ein vor der Veranstaltung klar und eindeutige kommunizierten Konzept!

Anerkennenswert immerhin, dass nach einem Doppelpunkt klein angefangen wird, wenn es sich nicht um einen vollständigen Satz handelt. „Konzept“ ist allerdings ein Neutrum.

Das ist durchaus ein geeignetes Konzept, um in schwierigen Zeiten eine Festival zu organisieren.“

Klappt es schon einmal mit dem Konzept, greift man beim „Festival“ (ebenfalls Neutrum) garantiert daneben!

Den Anderen sollte er es selbst überlassen, wie sie die Situation einschätzen.

Die „anderen“ schreibt man gerne groß (wohl aus tangountypischer Hochachtung) – stimmt aber trotzdem nicht! 

Die notorischen Kleinschreiber habe ich aus Platzgründen nicht zitiert. Wie die Legasthenie im Endstadium zum Syntax-Monster führen kann, zeigt dieser Beitrag:

ich schätze mal, dass für solche gefühle pauschal... absehbar tödlich ist, dass nun viele leute nicht wenige andere nach allgegenwärtiger erfahrung in aktuellen diskursen einfach nachhaltig nicht | nie mehr zu treffen wünschen... zumal im übrigen für die freude an einer milonga schon immer weniger wichtig war wie viele personen insgesamt als dass ein paar 'relevante' da sind | waren.“ 

Ich bitte die geneigten Leser herzlich, nun nicht das „Oberlehrer-Klischee“ zu bedienen! Dass Lehrkräfte die deutsche Sprache korrekt beherrschen sollten, ist eine Selbstverständlichkeit – aber leider kein Faktum. Aber manchmal hoffen wir halt, vom einstigen Deutschunterricht könnte den früheren Schülern zumindest die Fähigkeit verblieben sein, auf Facebook drei richtige Sätze hintereinander fertigzubringen. Für mich gebietet das bereits die Höflichkeit gegenüber denen, welche das Gekraksel anschließend lesen sollen. 

Und man könnte sich seine geistigen Höhenflüge nach dem Verfassen nochmal durchlesen und per Bearbeitungsfunktion korrigieren. Oder sie zunächst auf einer Word-Version mit Rechtschreibkorrektur verfassen. Und bitte keine Ausrede: Nicht das Smartphone ist der Depp, sondern derjenige, welcher darauf herumfingert!    

Und um noch die spaßigste meiner Fundstellen zu zitieren: 

„Auch an Masken aus komplett undurchlässigem Titanplastik geht die Lust außen vorbei, weil man sonst ersticken würde.“

Gnade – haltet ein, da bleiben mir Luft, Lust und Spucke weg! Ich gehe jetzt lieber mit meiner Katze Treppenlift fahren, das regt mich geistig deutlich mehr an:


Kommentare

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