Tango tanzen ist nicht immer schön


Ja, ich weiß: Meine Eitelkeit und Selbstdarstellung ist für manche aus der introvertierten Tangopopulation unerträglich. Sie schrieb erst kürzlich der Saarbrücker Tangolehrer Detlef Engel (der Partner von Melina Sedó) zu einem Facebook-Post Thomas Kröters über mich:

Es gibt Zeitgenossen, die sich mit Erfolg ignorieren lassen. Denn welchen Gewinn an Lebensqualität mag es bringen, sich an einem XY abzuarbeiten?“

Meine Replik machte ihn nicht zufriedener:

Mein Erfolg besteht darin, dass fast täglich Kommentatoren betonen, wie sehr sie mich ignorieren. Das macht relativ bekannt.“

Die nachfolgenden Engel-Botschaften lauteten, er werde „wie alle vernünftigen Leute“ seinen Beitrag zum „Ignoriertwerden“ leisten. Weiterhin war die Rede von „Manierismen“ derer, welche sich zur „Hure ihrer eigenen Geltungssucht“ gemacht hätten und am „Fließband den geistigen Blähungen ihren Lauf“ ließen.

Tief beeindruckt von der Kritik einer Person, welche man auf YouTube in Dutzenden von diversen, aber nicht unterschiedlichen Tanzvideos bestaunen kann, nehme ich mir für den folgenden Artikel vor: Es wird hemmungslos ein Anderer gelobt! Wieso? Weil er es verdient hat!

Soeben ist die neue Ausgabe der „Tangodanza“ (3/2020) erschienen, welche ich wieder einmal kostenlos lesen durfte, da meine Frau gelegentlich Buchkritiken für das Blatt verfasst und dann statt eines Honorars ein Freiexemplar erhält.

Auf den Seiten 78 bis 81 findet sich ein Artikel von Uwe Wolff mit dem Titel „Tango-Lesson 2: Berlin – Tango tanzen ist nicht immer schön: Verbindung im Paar“.

Na ja, der Titel ist das Schwächste an dem Text. Ich habe ihn daher gekürzt.

Der Autor, nach dem Ende seines Berufslebens auf der Suche nach Berufung, meint, diese beim Tango gefunden zu haben. Mit einigen Anfängerstunden im Gepäck reist er zu seinem alten Freund Hubert nach Berlin: „Ein echter Tänzer muss sich auf fremdem Parkett bewähren.“

Angeregt von den Bildern schöner Frauen im „Milonga-Führer“ der Hauptstadt entscheidet man sich für den Besuch des Etablissements mit dem verheißungsvollen Namen „Tangotanzen macht schön“.

Schließlich preise ja bereits ein altes Tangolied, welches nicht lüge, eine „Donna Clara“, deren Schönheit die Männer toll mache, wegen ihrer herrlich gefährlichen Füße jedoch auch Risiken berge. Der Kenner schaue daher nicht auf Brust oder Po, sondern aufs stets rasierte Geläuf.

Seine Hoffnungen begraben will der Autor, als der „Platzhirsch“ Eustachio „auf die Lichtung“ tritt und die jungen Frauen gleich traubenweise an ihm hängen. Er erkennt ihn sofort, da er bereits mit einem Münchner Argentino das Vergnügen hatte:

„Er trug ein schwarzes T-Shirt mit dem Bild eines Gorillas. Seine Oberbekleidung musste er seit längerer Zeit nicht mehr gewechselt haben, denn zwischen den Schulterblättern hatte sich eine Salzkruste gebildet. Bevor El Primo seinen Unterricht begann, blendete er von seinem Computer einen Tarzan-Ruf ein, animalisch, männlich, laut und lockend: ‚Ooooooohhh!‘ Die Teilnehmerinnen lachten und freuten sich wie Jane.“

Argentinier gälten als die besseren Liebhaber, hatte der Autor in einer wissenschaftlichen Arbeit gelesen. „Gerade die emanzipierten Tänzerinnen in Deutschland hätten eine große Sehnsucht nach Hingabe.“ Nachfolgend zitiert er sinngemäß weiter aus diesem Werk:

„Im Tango gilt als der Stärkste, der am besten tanzt. Guten Tänzern und Tänzerinnen sieht man vieles nach: Schlechte Manieren, politisch divergierende Meinungen, unattraktives Aussehen und Körpergeruch verlieren an Bedeutung. (…) Den größten Status haben natürlich argentinische Tänzer. Schließlich lernen diese es ‚von Kindesbeinen an‘ oder bekommen es schon ‚in die Wiege gelegt‘. Sie haben es ‚einfach im Blut‘. Ein mittelmäßiger argentinischer Tänzer wird hierzulande eher zu Ruhm aufsteigen als ein einheimischer, auch wenn dieser ein hervorragender Tänzer ist.“

Illustration: www.tangofish.de

Und – Überraschung – der Verfasser zitiert aus der Diplomarbeit von Melina Sedó!

Ja, lieber Detlef, weil du gerade mitliest: Da kannste Melina schon dankbar sein, dass sie hinsichtlich des Tango-Rankings lieber zu dem gegriffen hat, das ferner lief…

Dem Autor ging es da schlechter: Freund Hubert, der noch keinen Tango kann, gerät wenigstens an eine Mongolin, die sein wissenschaftliches Interesse an Hermann Hesse teilt. Selber ringt er sich schließlich zur Aufforderung einer Frau in seinem Alter durch, mit der er aber auf dem Parkett die Linkskurve nicht kriegt und daher mitten in der Tanda stehengelassen wird. Er bewundert jedoch ihre Fitness, wegen der sie trotz angegebener Rückenschmerzen gleich mit jemand anderem weitertanzt:

„Tango tanzen ist nicht immer schön. Tango tanzen kann sogar ganz schön blöd sein. Nicht herrlich gefährlich, sondern einfach nur peinlich.“

Leider scheitert auch das Projekt, mit Hubert im Paar nach historischer Männerart Tango zu lernen. Der kehrt nach zehn Privatstunden bei einer Lehrerin doch wieder zur Literatur zurück.

Immerhin gelingt es dem Erzähler, an seinem Heimatort einen Mann zu finden, der die folgende Rolle erlernen wollte:

„Hans steckte sich eine Blume ins immer länger werdende Haupthaar und trug einen knallroten Gürtel um die schmalen Hüften. Zu Silvester und in den Karnevalstagen wählte er aus dem abgelegten Fundus seiner Frau ein Kleid. In einem Container fand er sogar passende Schuhe mit hohen Absätzen in der Größe 44. (…)
Berlin war eine Erfahrung. Ich hatte einfach zu hoch gegriffen.“

Ich bekenne, bei der Lektüre dieses Artikels Tränen gelacht zu haben – desgleichen die beste Ehefrau von allen, der ich den Text vorlas.

Zum Autor: Dr. Uwe Wolff ist Theologe und Kulturwissenschaftler. Er hat schon etliche Bücher publiziert und beschäftigt sich vor allem mit der Existenz von Engeln (den Kalauer erspare ich mir nun wirklich…).
Uwe Wolff versteht es meisterhaft, in ziemlich sachlicher Weise und mit Unschuldsmiene Tango-Illusionen durch den Wolf zu drehen (ja, jetzt Kalauer!). In ihrer scheinbaren Harmlosigkeit erinnern mich manche Passagen an Loriots Unterschriften zu seinen Karikaturen. Ohne Zweifel: Der Mann kann schreiben – und das mit einer gepflegt spitzen Feder.

Genau genommen handelt es sich bei der Glosse um das zweite Kapitel seines Buches mit dem Titel „Tango – das Leben tanzen“, in dem der Verfasser in zwölf Abschnitten seine eigene Tangoentwicklung beschreibt und nebenbei eine Kulturgeschichte des Tango erzählt. Leider sei das Projekt wegen der Corona-Krise auf unbestimmte Zeit verschoben.

Ich finde das jammerschade. Der Tango braucht dringend Autoren, welche die Wirklichkeit in diesem Tanz schildern. Und wenn dies dann noch so witzig gelingt, stellt das eine wunderbare Antithese zu den realitätsfernen Märchen dar, mit welchen derzeit diejenigen hausieren gehen, welche ein „Weltkulturerbe“ retten wollen, das sie offenbar selber nur ansatzweise kapieren.

Sollte das Buch eines Tages doch noch erscheinen, werde ich sofort eines bestellen – notfalls sogar bei der „Tangodanza“. Und es rezensieren. Versprochen!

Na gut – nun habe ich mich in den Augen gewisser Kritiker bestimmt wieder zu wichtig gemacht, da ich mich „mit den Federn anderer schmücke“.

Aber das ist ja Kollegen auch nicht ganz fremd: Drei Seiten nach dem behandelten Text fand ich in derselben Zeitschrift einen Artikel von Volker Marschhausen: „Erfundene Tradition – die Kopie ohne Original“.

Na, ob der Autor dabei ein wenig von mir abgeschrieben hat?

Aber davon, Ihr Lieben, werde ich euch ein andermal erzählen!

Für heute begnügen wir uns mit Max Raabes Version der „Donna Clara“ – eines Tangos, der alles andere als „argentinisch“ ist. Komponiert hat ihn 1928 der Pole Jerzy Petersburski, der deutsche Text stammt von Fritz Löhner-Beda.

Wikipedia schreibt dazu:
„Der deutsche Text Löhner-Bedas erzählt in selbstironischer Weise von der Gefühlswelt eines deutschen Kleinbürgers, dessen erotische Träume sich in der Schlusspointe als eine von der Schlagerindustrie inszenierte Kunstwelt, in der er gleichzeitig Täter und Opfer ist, entlarven.“

Wie passend!  

 

Kommentare

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