Die Tango-Kulturschaffenden
Über
die Initiative zur Unterstützung der Online-Petition Weltkulturerbe Tango Argentino in
Deutschland retten“ habe
ich schon mehrfach berichtet und meine Ansichten dazu geäußert.
Hier das Video:
P.S. Ich bitte um Verständnis, dass Zitate von Judith Preuss fehlen - sie durfte im Wesentlichen nur nochmal kurz zusammenfassen, was der Kollege schon gesagt hatte. Der hatte auch das letzte Wort. Tangoüblich halt...
Bildmaterial dazu habe ich erhalten, jedoch wenig O-Töne der Aktivisten.
Nun entdeckte ich ein Video der vollständigen Berliner
Veranstaltung am 3.6. vor dem Bundeskanzleramt. Was ich bislang noch nicht
wusste: Es wurden dort auch Reden
gehalten – von den Veranstaltern und Tangolehrern Thomas Rieser (Nou Tango, Berlin) und Judith Preuss (Mala Junta, Berlin).
Die
Ausführungen haben mich natürlich sehr interessiert, daher habe ich das entsprechende
Video ausführlich studiert. Und war hernach noch angefressener
als zuvor.
Was
nicht heißt, dass alles unsinnig war, das ich dort zu
hören bekam: Wer fände es nicht schade,
dass der momentane Tangounterricht nur unter zig Auflagen möglich ist, Tanzpaare aus derselben Hausgemeinschaft stammen müssen und den Veranstaltern das
Geld ausgeht? Dass es die üblichen Milongas noch lange nicht geben dürfte?
Und wie utopisch die Forderungen im Einzelnen
auch sein mögen – nachvollziehen kann ich sie. Das ist nicht mein Problem.
Was
mich jedoch ärgert: Dass insbesondere Thomas
Rieser ein „Tango-Entenhausen“
schildert, welches nicht von dieser Welt ist:
„Es ist ein großer
Unterschied, ob man jemanden berühren darf und miteinander tanzt oder ob man
das alleine macht. (…)
Es ist meine tiefe
Überzeugung, dass Tango als sozialer Tanz wirklich eine ganz starke Kraft und
Fähigkeit hat, die Menschen zu verbinden und daraus etwas Positives zu
schaffen. Gerade auch da, wo sie sich nicht einig sind. Weil sich im Tango alle
begegnen und alle tanzen miteinander. Es ist nicht wichtig, ob man Chefarzt ist
oder ob man Kassierer ist oder was man ist. Es tanzen alle miteinander. (…)
Wir begegnen uns auf
der Tanzfläche, und ich glaube, diese Begegnung ist extrem wichtig, und das ist
etwas, das sehr vielen von uns zurzeit fehlt.“
Uff!
Wenn man vom Tango als der verbindenden
Kraft spricht – gerade da, wo wir uns nicht einig sind – verschweigt man
natürlich die Kriege und Grabenkämpfe, die es in unserem Tanz
seit zehn und mehr Jahren gibt: Da wurde hemmungslos auf Leute eingedroschen,
die den Wert rückständiger Regularien
bezweifelten, sich gegen das Ghetto
der alleinseligmachenden Musik früherer
Epochen wandten oder auch nur anders tanzten als der Rest.
Durch
Verbindung etwas Positives schaffen? Oh nein – der Kampfruf lautete: Wenn‘s euch nicht
passt, schert euch hier raus. Und überhaupt ist das ja gar kein Tango mehr!
Und
egal, ob man Chefarzt oder Kassierer ist… war das eine bewusste
Ironie – es soll ja Chefärzte geben, die auch Kassierer sind? Aber im Ernst: Ein
wenig soziale Ausgrenzung hat man
schon betrieben, wenn man rauschende, teure Festivals und die Ausstattung mit hochpreisigem Klimbim zum Maß des Tango macht, er
angeblich am schönsten ist, wenn man hunderte oder gar tausende Kilometer zum Tangourlaub
oder bei der Wallfahrt ins Tango-Mekka zurücklegt.
Vor
allem aber: „Alle tanzen miteinander“ kann man als Berliner Tangolehrer
wirklich nur bei einem Höchstmaß an Realitätsverlust behaupten. Wie wenig das
allgemein und gar in der selbstbehaupteten „Tangohauptstadt Europas“ stimmt,
habe ich in Dutzenden von Artikeln dargelegt.
Selbst
bei den eher betulich agierenden Blogger-Kolleginnen von „Berlin Tango-Vibes“
finden sich bemerkenswerte Sätze wie
„Wenn es euch nicht
passt, wie die Damen reagieren (Korb mit oder ohne Kopfschütteln, aktives
Ignorieren oder was auch immer), sucht euch eine andere Veranstaltung aus.“
„Eine Freundin las
kürzlich in einem ziemlich chauvinistisch anmutenden Beitrag eines Tango-Blogs die
Frage, warum ‚beim Tango um das Auffordern so ein Geschiss‘ gemacht wird. Ihre
Antwort: ‚Weil ich auch nicht mit jedem Scheiß-Typen tanzen möchte!‘“
„Die üblichen
Begleitargumente: Einen Tango/eine Tanda kann man mit Jedem tanzen. Hier werden
dann gerne alte und konservative Tangomaestros zitiert, die das schließlich
auch schon so gesehen haben. Und? Muss es deswegen so bleiben? Dürfen sich
Dinge nicht ändern?“
Und
das „Tango-Urgestein“ Ralf Sartori,
der in den 1980-er Jahren in Berlin mit dem Tango begann, schildert sein Wiedersehen
mit der Bundeshauptstadt in obigem Blog wie folgt:
„Nun, ich halte mich
sicher nicht für einen so herausragenden Tänzer, doch ich tanze Tango immerhin
schon seit ziemlich genau dreißig, unterrichte ihn seit etwas mehr als
fünfundzwanzig Jahren. Dennoch gelang es mir, als ich nach einigen Jahren
wieder nach Berlin zurückgekehrt war, an meinem ersten Tango-Abend nicht ein
einziges Mal, zu tanzen. Obwohl ich mich immer wieder bemühte, mit Tangueras – comme il faut
– Blickkontakt aufzunehmen und mich mit ihnen über den Cabeceo zum Tanz zu
verabreden. Dabei wäre ich gerne auch bereit gewesen, mit viel weniger
versierten Tänzerinnen zu tanzen als ich es bin, einfach nur, weil ich Lust zu
tanzen hatte. Doch auch solche erwiderten meinen Blick nicht und ließen mich
ebenfalls abblitzen. (…)
Doch ich konnte mich
des Eindrucks nicht erwehren, dass es hier vor allem um eine Art von Wettbewerb
‚Aller gegen alle‘ ging. Als wäre der Abend für jedes Paar eine einzige
Werbe-Veranstaltung. Ich nahm an, dass wohl sämtliche unter ihnen Lehrer sein
mochten und sie nun, als hinge ihr Leben davon ab, um die Gunst weiterer Tänzer
buhlten, die sie als Schüler gewinnen wollten – oder einfach nur, um
aufzusteigen im Berliner Tango-Ranking.“
https://berlintangovibes.com/2018/03/09/special/
Nochmal: Der Mann gehört zur Gründergeneration der Berliner Szene. Inzwischen spricht er von der „Seuche neoliberalen Denkens beim Tango"!
Nochmal: Der Mann gehört zur Gründergeneration der Berliner Szene. Inzwischen spricht er von der „Seuche neoliberalen Denkens beim Tango"!
Was
mich aber richtig sauer machte, ist der von Thomas Rieser geltend gemachte Alleinvertretungsanspruch:
„Es ist uns aber ganz
wichtig: Wir sprechen für die Tangoschaffenden, aber als solche sprechen wir
für alle Menschen, die Tango tanzen. Weil wir natürlich die Orte bereiten
können und den Unterricht anbieten können für alle Menschen, die tanzen wollen.
Insofern sind diese Forderungen, die hier stehen, Forderungen, die alle
betreffen, weil sie eine Auswirkung haben auf alle Menschen.“
Also,
meine Lieben, habe ich da eine Wahl
verpasst, die euch zu einem solchen Quatsch legitimiert? Für mich sprecht ihr jedenfalls nicht, und möglicherweise auch
nicht für andere Amateure, die
Leidenschaft, Zeit und sogar Geld aufwenden, um sich und anderen ein wunderschönes Hobby zu ermöglichen?
Tango besteht auch heute noch nicht aus rein kommerziellen Aktivitäten. Und das
ist gut so.
Zu
dieser Hybris passt, dann noch für sich den Edel-Begriff „Die Kulturschaffenden des Tango argentino“ zu beanspruchen. Sagt
mal welche „Kultur“ schafft ihr eigentlich, wenn ihr Tanzveranstaltungen
abhaltet? Schülern Technik und Tangoschritte beibringt, Getränke, Schuhe, Tangofummel und Reisen verscherbelt? Ich habe lange Zeit Chemie und Biologie unterrichtet,
ohne mich als „Kulturschaffender“ zu fühlen. Solche Tango-Profis (ob sie es nun
wirklich sind oder nicht) arbeiten in der Coaching-,
Veranstaltungs-, Reise- oder Zubehörbranche,
mehr nicht.
Irgendwie
erinnert mich das Ganze an die letzten Verlautbarungen des SED-Politbüros kurz vor der Wende:
„Wir haben doch alles richtig gemacht, also weiter so!“
Dazu passt auch die räumliche Aufteilung der Kundgebung: Vorne stehen die Profis, hinten dürfen die Fans alles brav beklatschen.
Dazu passt auch die räumliche Aufteilung der Kundgebung: Vorne stehen die Profis, hinten dürfen die Fans alles brav beklatschen.
Ich
bedaure es wirklich, dass einem beim Verzapfen solcher Ansprachen nicht der Gedanke kommt, dass vieles vom Gesagten
sicherlich hehre Ziele darstellt, zu
deren Erreichung man sich endlich aufmachen sollte. Den realen Tango also wenigstens ein Stück weit den wolkigen Sprüchen anzunähern. Dazu
hätte man in der beschäftigungsarmen Corona-Phase etwas Zeit. Vielleicht sogar
zum Bekenntnis: „Ja, wir haben in der Vergangenheit einiges falsch gemacht und müssen das ändern.“
Dann
würde vielleicht sogar wahr, was Thomas
Rieser abschließend meint:
„…dass durch diese Forderungen eine Gemeinschaft möglich
ist, die sozialer ist, dann ist das etwas, das uns alle betrifft, und um das
wir uns alle kümmern sollten.“
P.S. Ich bitte um Verständnis, dass Zitate von Judith Preuss fehlen - sie durfte im Wesentlichen nur nochmal kurz zusammenfassen, was der Kollege schon gesagt hatte. Der hatte auch das letzte Wort. Tangoüblich halt...
guten morgen!
AntwortenLöschenhaben ich einen artikel von dir verpasst? wo ist der bericht und das video von deiner demo für den tango tanz?
lieben gruß und schönes wochenende
andreas lange
Lieber Andreas Lange,
Löschenmeist du eine Demo „für den Tangotanz“ oder zur Erhöhung meines Einkommens? Letztere habe ich nicht nötig, ich habe für den Tango viel mehr Geld aufgewendet als ich erhalten habe. Typisch Amateur halt… Oder soll ich fordern, dass jetzt gleich wieder alle Milongas aufmachen? Das hielte ich für sehr riskant.
Videos zum Thema Tango gibt es einige von mir:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/01/meine-youtube-videos.html
Allein auf diesen Artikel wurde über 300 Mal zugegriffen, und auf das erste YouTube-Video im Text fast 3000 Mal. Ich glaube, damit erreiche ich mehr Menschen als die Herrschaften, die sich vor über einer Woche öffentlich als „Retter des Weltkulturerbes Tango“ produzierten.
Nein, der Tango wird es ohne all das überleben. Er wurde nämlich vor über 100 Jahren von Menschen geschaffen, die viel weiter von öffentlicher Förderung entfernt waren als diejenigen, welche sich nun auf die Straße stellen.
Und unser Tanz wird umso besser überleben, je mehr man sich jetzt auf seine Seele besinnt. Und die ist ziemlich weit weg von all dem kommerziellen Gedöns der letzten Jahre.
Vielen Dank und beste Grüße
Gerhard