Nun tanzen sie wieder
Na ja, zumindest vorgestern vor den Rathäusern, Landtagen
und dem Bundeskanzleramt, mit dem hehren Zweck, das „Weltkulturerbe Tango“ zu retten – und natürlich einzeln oder zu
haushaltsüblichen Paaren. Und den geordneten Mindestabstand zu den Nachbarn
kennen wir ja von der heiligen Ronda…
Vorab gesagt: Ich habe großes Verständnis und
Sympathie für alle, die von der Corona-Krise wirtschaftlich und seelisch gebeutelt werden und sich daher zu Wort
melden – ob nun Künstler, Gastwirte, Alleinerziehende oder Pflegeheim-Bewohner.
Die oben angesprochenen Aktionen zur Online-Petition der „Tangoschaffenden“
allerdings habe ich ziemlich kritisiert. Siehe:
Für viele sicher unverständlich bis empörend. Doch
auch selber stelle ich mir durchaus die Frage: War ich zu hart? Die meinen es doch nur gut... Und immerhin muss
man anerkennen, dass sich die Tangoleute nicht zusammen mit Rechtsextremen,
Impfgegnern und Antisemiten um Lockerung bemühen!
Daher habe ich nachgeforscht, wie denn die
Tanzaktionen in zirka 50 Städten von den Medien
dargestellt wurden. Ich musste ziemlich lange suchen, um mehr als ein paar
Zeilen zu finden:
Im Magazin „ZIBB“
des RBB gibt es nun einen 3
Minuten-Bericht (schnell, ansehen – ist nur noch bis 8.6. in der Mediathek
verfügbar):
Titel: „Wie
rettet man den Tango durch die Corona-Zeit?“
Im Text
dazu heißt es:
„Leidenschaftlich
tanzen zu gehen, ist schwierig in Zeiten einer Pandemie. Darunter leiden auch
die Freunde des Tangos, dem leidenschaftlichsten aller Tänze. Am Mittwoch wurde
deswegen in 40 Städten deutschlandweit für das Weltkulturerbe Tango gekämpft
bzw. getanzt – unter Einhaltung der Corona-Auflagen.“
Zunächst
liefert der Moderator das folgende Intro, bei dem ich bereits nach zwei
Sätzen tapfer der Versuchung widerstand, vor Lachen unter den Tisch zu fallen:
„Gleich zu Beginn von
ZIBB entführen wir Sie in die Welt des Tango. Nirgendwo auf der Welt, außer in
Buenos Aires, wird Tango so leidenschaftlich getanzt wie in Berlin.“
Da
auf der Leinwand im Hintergrund gerade ein gelacktes Paar im typischen
Tangoalter (also um die Dreißig) zu natürlich traditioneller Musik herumturnt,
ermutigt dies den Sprecher zu den weiteren Aussagen:
„Das sind schöne
Bilder, oder? Lebensfreude und Sinnlichkeit, die sich so sehr in diesem Tanz
ausdrücken. Und auch in Brandenburg lebt der Tango, trotz Pandemie.“
Schnitt
– laut weiblicher Stimme aus dem Off befinden wir uns nun vor dem Potsdamer Landtag, wo fünf vor Zwölf einige Paare (nun in realistischem Alter) angeblich „im Tangofieber“ liegen.
Die Kundschaft darf nun in einigen Sätzen bekennen, warum ihr Tango gefällt.
Ein Herr aus meiner Generation formuliert dabei kabarettreif:
„Ja, dass man das bis ins hohe Alter tanzen
kann. Das ist auch für uns wichtig. Salsa könn‘ mer nich tanzen, da sind nur
14- und 16-Jährige. Da komm‘ mer uns bisschen blöd vor. Beim Tango – keine Probleme.“
Na
gut – ich wäre da vorsichtig…
Die
Tango-Offizielle Kerstin Buntenbach
informiert uns dann über den entscheidenden Vorteil des Tango:
„Es gibt ja kaum eine
Möglichkeit, so schnell mit Fremden so nah zu kommen, ohne dass das
missverstanden wird.“
Klar,
ist gerade in unserem Alter
wichtig, Pflegekräfte sind ja rar… Aber, so hört man von Besuchern der dortigen
Gegend immer wieder: Missverstanden
werden kann da gar nix – man kriegt in der Bundeshauptstadt der Empathie eh
meist einen Korb.
Derzeit
gebe es diese Nähe aber nur innerhalb des eigenen
Hausstands. Auf die Tangostudios rolle eine Pleitewelle zu. Die eh zu geringen Soforthilfen seien bis zum Ende
des Jahres zu verlängern, so Jörg Buntenbach, der zusammen mit seiner Frau ein
Tango-Online-Magazin herausgibt.
Die
Dame aus dem Off liefert uns noch eine kurze Erklärung
zum Thema:
„Tango als Ausdruck
von Leidenschaft, Melancholie und Schmerz, Empfindungen der Einwanderer Argentiniens
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die UNESCO-erhebt den Tanz zum Weltkulturerbe.“
Entsprechend
dürfen dabei Luis Pereyra und Nicole Nau noch kurz durchs Bild huschen
– ob aus historischen Gründen, bleibt unklar.
In
der letzten Minute geht es dann mit den Buntenbachs im Büro ums Geld: Gerade Berlin und Brandenburg seien ja beliebte Ziele des
Tangotourismus, etwa der Lychener See in der Uckermark, der Spreewald und so
fort. Da fielen nun viele Buchungen weg. Und klar, Tangoreisen müssen offenbar
sein, das wissen auch Vertreter von „Greenpeace
Energy“. Wäre für den Tango offenbar eine Katastrophe, wenn die Menschen daheim
tanzen und so das Klima schonen würden…
Quelle:
Für
solche Berichtlein aus der Sparte „Vermischtes“ hat der bundesdeutsche Fernseh-Journalismus ein Patentrezept parat:
Als
Intro ein wenig Klischeegeschwurbel in Wort und Bild, dann aktuelle Aufnahmen
mit ein paar kleingeschnittenen O-Tönen, danach einige allgemeine Zeilen zum
Thema, vom Praktikanten aus Wikipedia verdichtet. Abschließend dürfen die
offiziellen Vertreter noch ein kurzes Statement abgeben.
Schlimm
daran nur, dass sich die „Profis“ unserer Szene derartig verwursten lassen –
und kritische Stimmen nie zu Wort kommen. So hätte mich brennend interessiert,
was die UNESCO mit ihrer Tango-Adelung wirklich meinte. Da ging es nämlich
schon 2009 nicht darum, diese Kultur auf dem Status von 1950 einzufrieren.
Mit
Verlaub – nein, ich bleibe dabei: Das Ganze hat für mich schon ein Gerüchlein, welches mich von der
vollmundigen Unterstützung abhält. Man geht unhinterfragt von der Trennung der Szene in „Anbieter“ und „Kunden“ aus. Und wenn die „Firmen“ Pleite machen, ist das Geschäft halt am Ende. Man wirbt wider
besseres Wissen mit Klischees und Illusionen.
Dass
Tango mal eine Leidenschaft war, die sich selbst
organisierte – durch die Beteiligung Vieler, welche Geld, Mühen und
Freizeit für das gemeinsame Hobby
opferten, scheint vergessen. Auch, dass man selber jahrelang zeitgenössische Ensembles daran
gehindert hat, auf den Milongas zu spielen, weil ja die Knistermusik von der
Rille viel besser sei. Da hätte man längst etwas für die „Kulturschaffenden“
tun können!
Ich jedenfalls würde mich genieren, Plakate
mit Unwahrheiten hoch zu halten wie vor dem Bundeskanzleramt in Berlin: „Ohne
staatliche Hilfen stirbt der Tango". Nein – er
ist vor mehr als 100 Jahren auch ohne staatlichen Hilfen entstanden.
Das
Ziel also: Business as usual – und zwar
schnellstmöglich.
Na
gut, nun tanzen sie ja wieder –
immerhin in noch reduzierten Kursen.
Aber die bringen eh mehr Geld als diese komischen Milongas. Das wird schon
wieder!
Was
mich oft erstaunt: Wie schnell Satire
zur Realität wird. Vor Jahren schon schrieb
ich über die Pörnbacher Milonga, wir hätten keine Ronda, da unser Wohnzimmer
viereckig sei. Und was sehe ich jetzt bei der Rettung des Weltkulturerbes?
"Ja, dass man das bis ins hohe Alter tanzen kann." ...
AntwortenLöschenSorry, ich kann nicht anders, vor einiger Zeit (mehr als 10 Jahre muss das her sein...) habe ich mal mit einem jungen, netten Mädchen getanzt und mich mit ihr nett unterhalten. Ging dann auch darum wie sie zum Tango geraten ist (glaub ich), und dann fiel von ihr sinngemäß der Satz, dass sie den Tango so toll fände, "weil man den bis ins hohe Alter tanzen könne, bis 50 oder so" (ich war damals so 48 oder 49). Ich hab damals ziemlich dumm geguckt.
Ja, so ist das im Leben!
LöschenUnd gar für Kinder sind 20-Jährige eigentlich schon steinalt...
Mein Urerlebnis dieser Art bestand darin, dass mir mal eine Jugendliche (um die 16) im Bus einen Platz anbot. Ich war damals Anfang 30.