Keine Diskussion!
Am 15.6. veröffentlichte die Berliner „taz“ eine Kolumne mit dem Titel „All cops are berufsunfähig“. Die
Autorin Hengameh Yaghoobifarah
ist nach Angaben der Zeitung zuständig für „Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und
Medienästhetik“. Da kommt schon mal was
zusammen…
Der, wenn man so will, Gedankengang des Textes fußt auf der formalen Abschaffung der Polizei in Minneapolis, dem Ort des schrecklichen
Todes von George Floyd. Daher träumt der
Schreiberin dann gleich von einer Auflösung der Ordnungskräfte hierzulande.
Doch wohin dann mit den ganzen Arbeitslosen?
Die Autorin zählt eine Reihe von Möglichkeiten
auf – Sozialarbeit, Dienstleistungssektor, Kultur, Landwirtschaft. Gefallen findet
sie an keiner dieser Optionen. Was dann noch bliebe:
„Die
Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der
Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen
sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“
Der
Artikel hat die wohl beabsichtigte Empörung
ausgelöst: Es hagelte Strafanzeigen –
und auch der Bundesinnenminister Horst
Seehofer wollte zunächst die Justiz gegen diesen Artikel mobilisieren.
Einige
Tage später schlug ein besoffener Mob
in Stuttgart Geschäfte kurz und klein und bewarf die Polizei mit Flaschen und
Steinen. 300 Beamte brauchten fünf Stunden, um wieder Herr der Lage zu werden.
Ich
vermute, die Rechtsprechung wird zum
Ergebnis kommen, der taz-Artikel falle noch knapp in den Schutzbereich der Presse- und Meinungsfreiheit.
Schließlich sei im Duktus durchaus noch ein ernsthaft-kritisches Anliegen erkennbar, die Schmähung der Polizei
dabei eher nachrangig. Eine Sichtweise, der ich mich anschließe. Ich halte den
Artikel nicht für strafrechtlich relevant – lediglich für grottenschlecht geschrieben, saudämlich
und den Ausdruck einer völlig unterirdischen
Lebenseinstellung.
Was
ich wesentlich schlimmer finde: Am Tag nach den Krawallen in der
Landeshauptstadt Baden-Württembergs verfolgte ich zufällig die Bundespressekonferenz in Berlin. Obwohl
eigentlich andere Themen vorgesehen waren, gab der Sprecher der Bundesregierung
zunächst eine kurze Stellungnahme zur Randale
in Stuttgart ab. Fragen dazu? Keine einzige. Stattdessen löcherten die
Journalisten die Regierungsvertreter mindestens eine halbe Stunde lang mit dem
Problem, dass nun Horst Seehofer die taz-Autorin anzeigen wolle. Ob denn die Bundesregierung dann überhaupt noch zur
Pressefreiheit stehe?
Wie
gesagt: Keine Erkundigung, wie es den verletzten Polizisten gehe, ob man die
betroffenen Geschäftsleute finanziell unterstützen wolle – nichts dergleichen.
Stattdessen wurde das Gestammel eines nicht mal mittelmäßigen Textleins zum Prüffall
unserer Grundrechte.
Und
die Zeitung, in der das Ganze erschienen war? Inzwischen gibt es einen Artikel
der Chefredakteurin Barbara Junge: „Ringen um einen Text“. Darin schreibt
sie:
„Satire
darf fast alles – sogar in ihrer Wortwahl danebengreifen. Aber Menschen, egal
welcher Berufsgruppe, als Müll zu bezeichnen, widerspricht fundamental dem
Selbstverständnis der taz, die sich einer menschlicheren Gesellschaft
verschrieben hat. Eine Kolumne, so satirisch sie auch gemeint gewesen sein mag,
die so verstanden werden kann, als seien Polizisten nichts als Abfall, ist
danebengegangen. Das tut mir leid.“
Daher ruft sie nun zu einer breiten Diskussion – auch innerhalb der
Redaktion – über die Sache auf:
„Wir
haben uns entschlossen, diesen Konflikt nicht zu verdrängen, sondern ihn
auszutragen, auch in der taz. Mit einem Debattenbeitrag von Stefan Reinecke fangen wir damit
jetzt an. Auch Bettina Gaus widmet dem ihre Kolumne. Weitere Texte aus anderen,
aus unterschiedlichen Perspektiven sollen folgen.“
Das halte ich persönlich für das Allerschlimmste: Man hebt damit dieses
pubertäre Geschmier auf Augenhöhe mit
vernünftigen und respektvollen – um nicht zu sagen: intellektuellen – Beiträgen. Man macht es diskutabel. Ringen um einen Text? So lange man darunter nicht Schlammcatchen versteht: Nie und nimmer!
Argumente, welche Menschen ihr Menschsein bestreiten, sind keine. Als
1978 aus CSU-Kreisen linke Intellektuelle als „Ratten und Schmeißfliegen“
bezeichnet wurden, befand die „Süddeutsche
Zeitung“:
„Ratten und Schmeißfliegen stammen aus dem Wörterbuch des
Unmenschen, faschistische Vokabeln, für die es keine Entschuldigung, keine
Rechtfertigung, keine Absolution geben kann."
Und
die Empörung war auch groß, als Alexander Gauland die Integrationsbeauftragte
der Bundesregierung, Aydan Özoguz,
wie Müll behandeln wollte:
„Das sagt eine
Deutsch-Türkin. Ladet sie mal ins Eichsfeld ein, und sagt ihr dann, was
spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir
werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“
Der
frühere SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Thomas Oppermann, warf dem AfD-Vorsitzenden damals vor, „wie ein Nazi“ zu sprechen.
Sagt
das derzeit auch jemand über Hengameh Yaghoobifarah?
Ich finde, auch eine offene und demokratische Gesellschaft braucht Tabus, vielleicht sogar dringender als eine autoritäre, in welcher
sowieso alles verboten ist. Man darf sich bei uns pointiert, scharf, ja sogar
polemisch auseinandersetzen. Aber Menschen mit Schädlingen oder Müll zu
vergleichen, widerspricht dem wichtigsten Verfassungsgrundsatz:
der Würde des Menschen, die
unantastbar ist. Mit Blick auf die dunkelsten Stunden unserer Vergangenheit
haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes diesen Satz allen anderen
vorangestellt. Und das ist gut so – und offenbar wieder dringend nötig .
Ich fürchte, man verwechselt bei uns immer
mehr einen ersthaften und fairen demokratischen
Diskurs mit primitivem Gehetze.
Da die SPD-Vorsitzende Saskia Esken es kürzlich wagte, rassistische Tendenzen auch bei der
deutschen Polizei zu hinterfragen, wirft man ihr nun vor, für die Steinwürfe in
Stuttgart mitverantwortlich zu sein. Ich halte das für völlig abwegig.
Man darf die Polizei in der Sache kritisieren. Aber nicht mit Gewalt gegen sie vorgehen. Dieser notwendige Unterschied scheint sich in manchen Köpfen zu
verwischen.
Dazu kommt: Die triebgestauten jungen Männer, welche die Stuttgarter Innenstadt in
ein Schlachtfeld verwandelten, taten
dies doch nicht, obwohl sie es nicht
durften, sondern weil es verboten
ist. In Ermangelung von Fußballspielen, Discos und Puffs konnten sie dergestalt
ihren Testosteron-Überschuss
abbauen. Und sich mit ihrem „Heldentum" in den asozialen Medien profilieren. Doch
sie sind alles andere als „Opfer der
Corona-Krise“ – da hätten schon alleinerziehende
Mütter randalieren müssen – oder Senioren,
die man monatelang und dennoch unter unzureichendem Schutz vor Infektion
wegsperrte.
Man könnte ja auch einmal – wenn man sich
nicht in Bars betrinken kann – einige Bücher
lesen. Allerdings nur bei entsprechender geistiger Eignung… Sollen wir mit solchen Volltrotteln jetzt auch noch darüber diskutieren, warum man Polizisten nicht verhauen darf? Wie so oft fängt aber das Elend bereits in der Schule an: Heute verwenden Pädagogen allen Ernstes Stunden auf „Verhaltensverträge" mit der Klasse, welche besagen, dass man den Nachbar nicht mit der Zirkelspitze in den Hintern stechen darf. Unsere Lehrkräfte damals gingen fest davon aus, dass uns dies bekannt war.
Auch als Blogger
ist mir klar: Wenn man gewisse Diskussionen
verweigert, erhält man das Klischee
des Autoritären aufgeklebt. Einige Kritiker
meiner Texte versuchen das seit langem. Aber da sage ich ebenfalls: Wer mich
mit fairen Argumenten angreift, ist willkommen. Diejenigen aber, welche meine
Arbeit mit hinterhältigen und wahrheitswidrigen Anspielungen diffamieren, erhalten von mir keinen
Platz auf Augenhöhe – und deshalb auch nicht mehr das Wort.
Ihnen fehlt – und ich verwende ganz bewusst
das völlig aus dieser Zeit gefallene Wort – die Ehrenhaftigkeit.
ALLES RICHTIG!!!
AntwortenLöschenAber was hat das mit Tango zu tun?
F. Becker
Na ja, gegen Schluss des Artikels schon ein wenig.
LöschenAber ich erlaube mir gelegentlich - gerne auch ohne Ihre gnädigste Zustimmung - Artikel zu veröffentlichen, die wenig oder nichts mit Tango zu tun haben. Ich hoffe, Sie können damit leben. Falls nicht, wäre es mir allerdings auch egal.
Vor vier Tagen erreichte mich per Mail der folgende Text. Auf meine Nachfrage erhielt ich heute die Erlaubnis, ihn als Kommentar zu einem beliebigen Blogartikel zu veröffentlichen, wofür ich mich herzlich bedanke.
AntwortenLöschenBeim Namen handelt es sich um ein Pseudonym. Mir ist der wahre Name des Schreibers allerdings bekannt.
Lieber Herr Riedl,
Das Wesentliche zuerst:
Vielen Dank für Ihre hervorragenden Texte!!!
Ihre Blogbeiträge, ebenso Ihre zwei Milongaführer und der Lehrerretter waren und sind für mich jedes Mal wieder ein Genuss zu lesen. Es ist ein Glück, dass zumindest ein Tangotänzer die Verirrungen und Missstände in der Tangoszene erkennt und diese auch noch pointiert und humorvoll in klare Worte fassen kann.
Ebenso wertvoll für mich sind Ihre Ratschläge, Anregungen und Hinweise in Ihren
Büchern und auf Ihrer Webseite. Auch dafür vielen Dank!
In der heutigen Zeit, in der man vor allem in der digitalen Welt mit ständigen
Anfeindungen konfrontiert wird, finde ich es besonders bewundernswert, dass Sie
Zeit, Nerven und Kosten dafür verwenden, Ihre dem digitalen (scheinbaren)
Mainstream widersprechende Meinung öffentlich zu vertreten und trotz der
niederschmetternden bzw. nicht vorhandenen Diskussionskompetenz Ihrer Kritiker
weiterschreiben. Sie sind ein Don Quichotte gegen die Windmühlen der
Kleingeistigkeit des selbsternannten Tangoadels und dessen Anhängerschaft.
Ich freue mich auf viele weitere Ihrer Satiren, und damit verbunden wünsche ich
Ihnen eine gute Gesundheit, ein langes Leben und noch möglichst viele genussvolle Tangos.
Hochachtungsvoll und mit freundlichen Grüßen,
Peter Schneider
Lieber Herr Schneider,
Löschenüber Ihre Komplimente habe ich mich sehr gefreut!
Ich leiste mir halt den Luxus, meine sehr persönlichen Ansichten unbekümmert zu äußern. Muss ja keinem gefallen, kein Problem.
Über Heftigkeit und Qualität der Anwürfe in einem an sich „harmlosen" Gebiet wie dem Gesellschaftstanz Tango war ich anfangs aber schon sehr verblüfft. Ich hätte sie eher gegen mein Lehrerbuch erwartet. Komisch - da gab es ausschließlich lobende Anmerkungen...
Obwohl es vielleicht nicht so aussieht, habe ich diejenigen, welche mich heftig und teilweise unfair kritisieren, weniger im Blick.
In erster Linie schreibe ich für die Mehrzahl, die still mitliest und daran, so hoffe ich, öfters ihren Spaß hat und zu neuen Erkenntnissen gelangt. Und vor allem: Ich schreibe halt gern.
Dennoch tut es natürlich gut, gelegentlich auch ein dickes Lob zu erhalten. Vielen Dank dafür.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr Gerhard Riedl