Die Wissenschaft hat ein eiskaltes Händchen
Menschen,
die mich kennen, dürfte es kaum verwundern: Prof. Christian Drosten, der Leiter des virologischen Instituts der
Berliner Charité, hat mich ab Anbeginn der Corona-Krise am meisten mit seinen Expertisen beeindruckt.
Bereits
2003, im Jahr seiner Promotion zum Dr. med., gelang ihm zusammen mit seinem
Kollegen Stephan Günther die
Mitentdeckung und Sequenzierung des neu aufgetretenen SARS-Coronavirus und die Entwicklung eines Testverfahrens, welches
der Wissenschaft sofort frei zur Anwendung übergeben wurde. Dafür erhielten die
beiden Forscher das Bundesverdienstkreuz.
Und schon im Januar des jetzigen Jahres entwickelte Drostens Arbeitsgruppe ein allgemein
eingesetztes Testverfahren für das
neue Coronavirus auf der Basis der PCR (Polymerase-Kettenreaktion).
Drosten gilt weltweit als einer der führenden
Wissenschaftler bei der Erforschung der Coronaviren. „Er hat schon ein bisschen was von einem wunderlichen Professor, etwas
verwuschelt Nerd-haftes“, schreibt die „Frankfurter Rundschau“. Aber ist er
auch für Laien verständlich?
Die
Frage dürfte inzwischen beantwortet sein: Vor einigen Tagen erhielt sein „Coronavirus Update“ den renommierten Grimme Online Award gleich in zwei Kategorien
– einen Jurypreis in der Sparte „Information“
und den Publikumspreis.
Weiterhin
erhielt Dosten heuer den mit 50000 Euro dotierten „Communicator-Preis“ der Deutschen
Forschungsgemeinschaft.
Aus
der Begründung:
Drosten habe es
geschafft, dass die Wissenschaft in der Öffentlichkeit innerhalb sehr kurzer
Zeit als verlässlichste Orientierung für das Management der Krise wahrgenommen
wird. Er erkläre den Menschen auf anschauliche, transparente und faktenbasierte
Weise, was die Wissenschaft weiß, wie sie arbeitet und welche Unsicherheiten
bestehen.
Mir
haben die ab 26.2. dieses Jahres zunächst werktäglich erscheinenden Podcasts
der NDR-Wissenschafts-Redaktion manche Milonga-freien Abende versüßt. 50 Folgen
sind bisher erschienen, inzwischen ist das Format (leider) bis Ende August in
der Sommerpause. Bis Anfang Mai hatte das Update bereits über 40 Millionen
Aufrufe und wird in 60 Ländern gehört.
Der Berliner Virologe war anfangs ein sehr
geschätzter Berater der Regierenden
und daher auch öfters in Interviews und Talkshows zu sehen. Nach meinem
Eindruck hat er sich aus dem öffentlichen Meinungsstreit inzwischen eher
zurückgezogen. Seine Probleme deutete er bereits in der Talkshow bei Maybrit Illner am 12.3.20 an:
„Das ist genau der
Grund, warum ich im Moment darauf bestehe, dass dieses Thema eine längere
Aufmerksamkeitsspanne braucht als eine Schlagzeile. Und es ist mir ganz egal,
wie ich da verkürzt werde – ich werde ständig verkürzt, und ich halte das jetzt
einfach aus. Ich muss nämlich nicht zurücktreten. Ich bin
Universitätsprofessor, und diese akademische Robustheit – ich sage jetzt ganz
bewusst das und nicht Unabhängigkeit und Freiheit – die muss ich jetzt mal bringen,
und die bringen auch andere meiner Kollegen. Und unter diesen Kautelen können
wir diese Dinge jetzt gerne auch besprechen.“
Erst
als sich die zitierten Kollegen öffentlich von einer solchen Instrumentalisierung distanzierten,
brach die Kampagne in sich zusammen. Drosten arbeitete, wie wissenschaftlich
üblich, die Einwände in seine Studie ein und beteiligte sogar einen seiner
Kritiker als Mitautor. Inzwischen gilt die Arbeit als solide und gut begründet.
Aber,
ohne Zweifel, der Berliner Virologe kann auch emotional – zwar selten, aber
dafür umso treffender. Als sein Kollege Alexander
Kekulé äußerte, die Studie sei so,
wie sie dastehe, nicht zu retten, konterte er: „Kekulé selbst könnte man nicht kritisieren, dazu müsste er erstmal
etwas publizieren."
Und
die Medien-Professorin Johanna Haberer
stellt fest, BILD-Chefredakteur „Reichelt
und seine Boygroup“ hätten sich „ins Aus manövriert“.
https://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Drosten
https://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Drosten
Immerhin
bewirkte die Kampagne aber, dass der Berliner Experte plötzlich als Hauptschuldiger für die zahlreichen Restriktionen galt, insbesondere die
Schließung von Schulen und Kitas zu verantworten habe. Er erhielt Hassmails und Morddrohungen – also das heute Übliche, wenn man Tatsachen benennt,
die bei manchen nicht ins Weltbild passen.
In
der neuesten Ausgabe seines Podcasts beschreibt Drosten noch einmal, was ihn bei diesem Thema umtreibt:
„Nicht ohne Grund
haben wir hier in diesem Podcast so viele Hörer. Die hören sich das ja nicht
an, weil die meinen, dass hier interessante Einschlafgeschichten erzählt
werden, sondern die sind inhaltlich interessiert und verstehen diese Dinge
auch. (…)
Einerseits bin ich
Bürger und auch Familienvater und auch sonst kein Verrückter im normalen Leben.
Aber andererseits bin ich Wissenschaftler. Und die Wissenschaft hat ein
eiskaltes Händchen. Die Wissenschaft ist nicht so, dass man sich mit der nochmal auf der Tonspur unterhalten kann und hintenrum noch mal sagt: Hey, wir
Wissenschaftler, wir sind uns doch einig, in Wirklichkeit wollen wir doch das
Gleiche, und jetzt änderst du mal hier ein bisschen deine Meinung. Die
Wissenschaft hat keine Meinung. Die Wissenschaft ist eine Faktenlage.“
Ich
gestehe, dass ich bei diesen Worten stolz darauf bin, Naturwissenschaften studiert zu haben. Christian Drosten steht
beispielhaft für deren Ansatz, die Realitäten
frei von vorgefassten Meinungen und
Absichten zu untersuchen, Hypothesen
aufzustellen, Beweise zu suchen und
im Ringen mit akademischer Kritik zu allgemein akzeptierten Ergebnissen zu
kommen.
Sein
„Coronavirus Update“ ist eine
gigantische Quelle nicht nur für Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet,
sondern auch eine Werbung für
wissenschaftliches Arbeiten, bei dem Zweifel
keine Abwertung bedeuten, sondern geradezu Voraussetzung
für Fortschritte sind. Stellvertretend für das Team des Podcasts wurde den
Moderatorinnen und Wissenschaftsjournalistinnen Korinna Hennig und Katharina
Mahrenholtz der Preis der
Bundespressekonferenz 2020 zuerkannt.
Und
das erstaunliche öffentliche Interesse
am Podcast beweist: Die Menschen sind nicht
so blöd, wie BILD-Zeitungs-Redakteure offenbar meinen. Viele sind froh, die
Dinge einmal detailliert und in voller Breite erklärt zu bekommen,
inklusive der Erkenntnis, dass man die Ergebnisse von gestern vielleicht schon
morgen korrigieren muss. Das unterscheidet echte
Naturwissenschaftler von den Hobby-Virologen,
welche einander auch im Tango mit Daten bewerfen, welche sie sich vorher
passend zu ihrer Meinung herausgesucht haben.
Noch
kann man sich alle 50 Folgen des
Podcasts anhören. Dazu gibt es u.a. nützliche Links zu Hörerfragen und den besprochenen Studien. Ich kann die Seiten nur empfehlen:
Ich
bin jedenfalls dankbar für das „eiskalte Händchen“ der
Naturwissenschaften – anders als der Poet Rodolfo in der Puccini-Oper „La Bohème“ angesichts der eiskalten
Mansarde seiner geliebten Mimì, die dann logischerweise an Tuberkulose stirbt. Der Erreger ist hier nicht mal ein Virus,
sondern ein Mycobakterium. Mit 10 Millionen Erkrankten und zirka anderthalb Millionen
Todesopfern pro Jahr weltweit übrigens immer noch auf Platz 1 der tödlichen
Infektionskrankheiten – auch wenn es wieder zunehmend viele Durchgeknallte
gibt, welche die „Infektionstheorien“ für unbewiesen halten und dann sogar
Strafanzeige gegen Christian Drosten stellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Tuberkulose
Gerade erreichte mich der folgende Kommentar:
AntwortenLöschenFolgenden Satz unterschreibe ich gerne in Königsblau:
»Die Menschen sind nicht so blöd, wie BILD-Zeitungs-Redakteure offenbar meinen. Viele sind froh, die Dinge einmal detailliert und in voller Breite erklärt zu bekommen, inklusive der Erkenntnis, dass man die Ergebnisse von gestern vielleicht schon morgen korrigieren muss.«
Des Weiteren würde ich diesen Beitrag gerne um einen Verweis auf einen etwas schnippischen Artikel ergänzen, der sich ebenfalls mit dem Wirken von Prof. Dr. Drosten befasst.
Auf diesen Beitrag (rund 3000 Wörter) bin ich gestoßen, nachdem ich mir Gerhards Rat zu Herzen nahm, mich ausnahmsweise NICHT in einer Bar zu betrinken, sondern einige Bücher zu lesen – und ich leider meinen Gustav Schwab bereits zum dritten Mal durchgelesen hatte:
[ https://www.rubikon.news/artikel/der-goldjunge ]
Wer weiß, womöglich hat Prof. Dr. Drosten nicht nur ein eiskaltes Händchen, sondern auch ein goldenes Herz?
Jetzt frage ich mich halt: Hätte ich Gerhards Ratschlag überhaupt befolgen dürfen?
Ich kann ja unmöglich wissen, ob Erik R. Fisch, Jens Wernicke und ich überhaupt die geistige Eignung fürs Lesen mitbringen!
Nun ja – das können wohl leider nur Andere für uns beurteilen.
Vielleicht sollten wir in dieser Frage mal jemanden zu Rate ziehen, der schon mal einen Preis für die Beurteilung von Menschen erhalten hat?
Grüblerische Grüße,
Matthias Botzenhardt
Lieber Matthias Botzenhardt,
Löschenich habe mir den verlinkten Artikel angesehen. Mein Eindruck: ein ziemlich tendenziöser und gehässiger Text. Zu den beiden Autoren fand ich keine Wikipedia-Einträge, wohl aber zu der Seite, auf welcher der Artikel erschien:
„Rubikon ist eine seit 2017 bestehende und im Stil eines Internetblogs gehaltene Website, die sich hauptsächlich mit aktuellem politischen Geschehen beschäftigt, das zum Teil in Form von Verschwörungstheorien kommentiert wird. Sie wird von Jens Wernicke, dessen Publikationen unter anderem von KenFM weiterverbreitet werden, vertreten.
Der Amerikanist Michael Butter reiht Rubikon ein in die alternative Medien wie KenFM, Telepolis oder NachDenkSeiten, die alle eine Gegenöffentlichkeit zu den traditionellen Qualitätsmedien und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk bilden würden. Sie bedienten Verschwörungstheorien wie die von der ‚Lügenpresse' und verkauften diese als seriöse Nachrichten.
Während der COVID-19-Pandemie wurde Rubikon zu einer Plattform der Verschwörungsszene in Berlin, die die Gefährlichkeit des Virus negiert. Der Spiegel nennt Rubikon ‚eine Art Hausmedium der Protestler‘ um Anselm Lenz, in dem ‚immer wieder verschwörungsideologische Beiträge‘ veröffentlicht würden.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Rubikon_(Webseite)
Was wirft man Prof. Drosten vor? Soweit ich es verstanden habe, dass er an seinen Virustests nichts verdient – und auch sein Arbeitgeber nicht. Da könnte ich mir Schlimmeres vorstellen. Dazu stellt man dann komplizierte rechtliche Konstrukte auf. Sicher, irgendwer muss die Tests produzieren und verkauft sie dann wohl auch. So what?
Aber klar, wen man nicht mag, wirft man am besten vor, dass er Geld verdient. Eine der üblichen Strategien in dieser Szene.
Das Ganze hat nur mit meinem Artikel überhaupt nichts zu tun. Mir ging es um die wissenschaftlichen Leistungen Drostens und seine Art, wie er sie Laien, vor allem in seinem Corona Update, präsentiert. Dazu hätte mich Deine Meinung interessiert – und nicht der Hinweis auf einen Artikel, welcher dazu überhaupt nichts aussagt.
Mit besten Grüßen
Gerhard Riedl