Heute schon gespendet?


„Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!“
(Johann Tetzel, deutscher Dominikaner und Ablassprediger)

Wahrlich, der Tango hat sich seit einigen Monaten kräftig gewandelt: Statt Milongas, Festivals und Workshops gibt es nun Sonderangebote, Spendenaufrufe und Online-Petitionen.

Auf der bekannten Plattform „change.org“ macht derzeit ein solches Maus-Plebiszit die Runde: „Weltkulturerbe Tango Argentino in Deutschland retten“. Na klar, muss doch sein, oder?

Ich bin da hin- und hergerissen: Eigentlich hätte ich eine solche Initiative schon vor vielen Jahren starten können, ganz ohne Corona. Im Text der Petition wird behauptet:

„Nicht nur in den Großstädten (…), sondern überall in Deutschland fördern Menschen, die ihre Leidenschaft für den Tango Argentino zum Beruf gemacht haben, in ihren Schulen, mit ihrer Musik und ihren tänzerischen Interpretationen nicht nur Bewegung und Gesundheit vieler tausend Menschen. Sie lassen vielmehr das große kulturelle Erbe des Tangos fortleben“.

Da wird schon einmal  der Eindruck erweckt, nur beruflich mit dem Tango Beschäftigte würden solch hehre Zwecke verwirklichen. Das ist grob falsch. Der Tango-Hype in Europa wurde ab den 1980-er Jahren hauptsächlich durch zwei Faktoren ausgelöst: Die Tangoshows mit der Musik Piazzollas und das Engagement vieler Laien, welche einen Großteil ihrer Freizeit für diesen Tanz einsetzten. Noch 2007, als wir – als Teil dieser Bewegung – unsere erste öffentliche Milonga veranstalteten (selbstredend ohne jede Gewinnabsicht), waren sicherlich 90 Prozent der Aktiven in der Szene reine „Aficonados“. Die Kommerzialisierung setzte sich erst danach allmählich durch.

Und inwiefern viele von denen, welche sich heute vollmundig als „Tango-Profis“ titulieren, „ihre Leidenschaft für den Tango Argentino zum Beruf gemacht haben“ – nun, darüber lässt sich trefflich sowie satirisch spekulieren. Manchmal dürfte der Grund eher darin gelegen haben, dass man in Argentinien mit Vortanzen halt noch lausiger verdiente oder die Heilkräuter-Beratung respektive Partnerschafts-Coaching-Agentur Pleite machte. Nun soll es der Staat richten – mit Beihilfen und Steuererleichterungen.

All jene, die ihr Einkommen ausschließlich mit dem Tango erwirtschaften, sollen von ihrer Arbeit leben und nicht nur knapp überleben können“ – so heißt es in der Petition.

Da wäre schon einmal zu fragen, wie groß in Deutschland dieser Personenkreis wirklich ist: ein Dutzend oder doch ein paar mehr? Und selbst bei denen reichte es oft schon bisher hinten und vorne kaum. Durch die jetzige Krise brechen halt illusionäre Vorstellungen endgültig zusammen. Wäre dies nicht ein Anlass, einmal darüber nachzudenken, ob der Tango als kommerzielle Branche ein sinnvolles Konzept darstellt – oder man sich nicht doch zur Subkultur zurückentwickeln sollte?

Und weil der Petitions-Text natürlich vollmundig auf den Tango als „UNESCO-Weltkulturerbe“ abstellt, könnte man sich nochmal die Begründung dieser Organisation ansehen:

„Als eine der bekanntesten Erscheinungsformen dieser Identität verkörpern und fördern Musik, Tanz und Poesie des Tangos Vielfalt und kulturellen Dialog. Sie werden in den traditionellen Tanzlokalen von Buenos Aires und Montevideo praktiziert und verbreiten den Geist seiner Gemeinschaft auf der ganzen Welt, auch wenn sie sich an neue Umgebungen und sich ändernde Zeiten anpassen.“

Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: „Vielfalt“, kultureller Dialog“, Anpassungen an „neue Umgebungen“, „sich ändernde Zeiten“?

Echt? Das will sich nun eine ehrenwerte Gesellschaft ans Panier heften, die in den letzten zwei Jahrzehnten oft alles dafür getan hat, eine Anpassung des Tango ans 21. Jahrhundert zu verhindern? Die ausschließlich von der allein seligmachenden Wirkung von Traditionen und Musik aus der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts schwobelte? Die alle heruntermachte, welche zeitgenössischen Tango oder liberalere Umgangsformen propagierten?

Sorry, Leute: „Verbundenheit in und mit der Tangokultur“ haben ich und andere da nicht immer erfahren, sondern öfters Ausgrenzung, Verachtung und Shitstorms. Und zu dem Thema könnte man auch mal die älteren und unspektakulär aufgemachten Frauen befragen, welche diese „Verbundenheit“ in erster Linie als sitzende Zuschauerinnen erlebt haben…

Vor allem seit der Professionalisierung ist die Tangoszene hierzulande weitgehend vertikal strukturiert – und zwar so sehr, dass dies sogar in Petitions-Texten kaum noch auffällt. Da spricht man ungeniert von den „Menschen, von deren professioneller Arbeit und leidenschaftlichem Engagement die Tangokultur lebt“.
Nein: Sie lebt auch heute noch ein gutes Stück von den vielen, die sich in ihrer Freizeit für den Tango einsetzen – aber die zählen offenbar nicht wirklich.

Es geht aber noch schlimmer:

„All jene, die zum Leben dieses immateriellen Kulturerbes beitragen, stehen damit finanziell am Abgrund.“

Mit Verlaub: Das tun sie bei Weitem nicht alle. Als ich die Dimension der herannahenden Corona-Krise einigermaßen abschätzen konnte, war mein Entschluss klar: Ich würde meine Lieblings-Milongas finanziell kräftig unterstützen. Was mich hernach verblüffte: Von denen kamen gar keine Spenden-Aufrufe! Eigentlich logisch: Die Mehrzahl arbeitete gar nicht auf Gewinn ausgerichtet, sondern sozusagen „ehrenamtlich“. Ihre materielle Existenz war somit nicht gefährdet.

Na gut, ich habe dann etliche Spenden an andere Veranstalter verschickt – teilweise von enthusiastischem Dank begleitet, manchmal auch völlig folgenlos. Klar: Warum sollte sich der von mir oft beschriebene „Alien-Blick“ von Tangopromis nun plötzlich ändern?

Ich habe schon in einigen Artikeln angeregt, die nun entstandene Tango-Pause vielleicht nicht nur für Petitionen und Spendenaufrufe, sondern extremerweise zum Nachdenken zu nutzen: Wenn sich denn mit der Zeit die Tanz-Optionen wieder verbreitern – wollen wir allen Ernstes so weitermachen wie bisher? Oder das gepriesene „Kulturerbe“ nicht doch ans 21. Jahrhundert anpassen, was Liberalität hinsichtlich neuer Tanz- und Musikstile betrifft – und einen Verhaltenskodex fördern, der nicht auf bürgerliche Zwangsneurosen der 1940-er Jahre fußt?

Je länger die Krise dauert, desto mehr fürchte ich: Nein – man wartet einfach ab, bis man genau da weitermachen kann wie vorher. In der Zwischenzeit sammelt man Spenden und Unterschriften.

Da darf ein wenig Sarkasmus schon sein – oder zumindest einer meiner gefürchteten Lieblingswitze:

Mitten in einem furchtbaren Unwetter kommt die Durchsage des Piloten: „Beide Triebwerke sind ausgefallen, eine Bruchlandung ist unvermeidlich. Gibt es an Bord einen Geistlichen?“ Keine Reaktion. „Oder jemand, der ein Gebet sprechen kann?“ Schweigen. „Oder sonst einen religiösen Ritus vollziehen möchte?“ Da erhebt sich ein Passagier – und geht mit dem Hut zum Sammeln herum.

Merke:
„Sobald das Geld im Kasten klingt, der Tango aus Corona springt!“


P.S. Die Petition wird derzeit von 3400 Personen unterstützt. Fast 3900 Unterschriften sammelte auf „change.org“ die Aktion „Abrissstop für die Poelzig-Villa in Berlin-Westend von Marlene Moeschke-Poelzig“. Da ist also noch Luft nach oben…
   
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