Das Geschiss mit dem Auffordern
Dieser Spruch hat mir ein wenig Ärger
eingebracht: In einem Tangoblog, in
dem Berliner Frauen vor allem erklären, warum und mit wem sie
nicht tanzen wollen, erhielt ich nun eine deutliche Replik auf meinen Text mit der
entsprechenden Formulierung:
https://milongafuehrer.blogspot.de/2017/11/brauchts-beim-tango-notlugen.html
„Eine Freundin las
kürzlich in einem ziemlich chauvinistisch anmutenden Beitrag eines Tango-Blogs
die Frage, warum ‚beim Tango um das Auffordern so ein Geschiss‘ gemacht wird.
Ihre Antwort: ‚Weil ich auch nicht mit jedem Scheiß-Typen tanzen möchte!‘“
Abgesehen davon, dass man bei der indirekten
Rede besser den Konjunktiv verwendet: Gut gebrüllt, Löwin! Es stört mich auch
nicht, wenn gewisse Damen etwas als „chauvinistisch“ bezeichnen, was nicht
ihrer Meinung entspricht.
Aber zur Sache:
Es tut mir natürlich leid,
wenn sich im Berliner Tango eine erwähnenswerte Menge an „Scheiß-Typen“
herumtreibt. Und selbstredend muss man mit denen nicht tanzen. Nur: Wenn genannte
Freundin schon groß genug ist, abends noch weg zu dürfen, könnte sich die
Einübung des Wortes „Nein“ generell empfehlen. Es mag im Berliner Nachtleben prekärere
Situationen geben, wo ein einfaches Wegschauen als Cabeceo-Vermeidung nicht mehr
hilft. Das könnte man doch im vergleichsweise harmlosen Biotop Tango schön
üben! Abgesehen davon, dass ein „Scheiß-Typ“, wenn er denn wirklich einer ist,
ihr möglicherweise stundenlang Löcher in die Figur starren und schließlich doch
vor ihr aufbaumen könnte, um sich ein „Nein“ (oder wegen mangelnden Muts doch
einen Tanz) abzuholen.
Im vorliegenden Fall könnte allerdings auch die Einübung des Wortes „Ja" nicht direkt schaden...
Im vorliegenden Fall könnte allerdings auch die Einübung des Wortes „Ja" nicht direkt schaden...
Noch putziger wird es in der folgenden
Erklärung:
„Die üblichen Begleitargumente:
Einen Tango/eine Tanda kann man mit Jedem tanzen. Hier werden dann gerne alte
und konservative Tangomaestros zitiert, die das schließlich auch schon so
gesehen haben. Und? Muss es deswegen so bleiben? Dürfen sich Dinge nicht
ändern?“
Halten
zu Gnaden – aber die Chuzpe, ein Ritual aus vergangenen Zeiten, als es
in Buenos Aires noch zu wenige
Psychiater gab, nun auch noch als Fortschritt zu verkaufen, ist schon stark.
Nur zur Info: Die „alten und
konservativen Tangomaestros“ brabbeln, wenn sie es noch können, so gut wie
immer von den Vorzügen der Blinzeleinladung!
Ich
gebe einmal allgemein zu bedenken: Die Tangoszene hierzulande wird nun
seit zirka acht Jahren von den Propheten
des Cabeceo beglückt, welche unentwegt und gerne unter Schmähung Andersgläubiger
für die flächendeckende Segnung der gluhen Blicke aus der Tango-Steinzeit trommeln.
Wenn es sich denn dabei wirklich um die Neuerfindung des Rades handeln würde – wieso rufen nicht schon längst alle begeistert: „Genial, jetzt holpert’s nicht mehr so“?
Stattdessen
nehmen die Debatten kein Ende – und das liegt wahrlich nicht (nur) an der
Gegenstimme aus Pörnbach! Beispielsweise gelang es unlängst dem Berliner Neu-Blogger
Thomas Kröter mühelos, auf Facebook eine längelange Diskussion zu entfachen.
Daher verstehe ich seine Mutlosigkeit überhaupt nicht:
„Um es vorweg zu sagen: Ich brauch‘ die äugelnde
Wackeldackelei nicht. Aber es gibt Schlimmeres. Und für aussichtslose
Donquichotterien fühl ich mich zu alt. Denn die wortlose Aufforderung per
Blickkontakt und Nicken des Kopfes hat sich in den meisten Berliner Milongas
durchgesetzt.“
Aus anderen Quellen und eigener Erfahrung
weiß ich, dass dies bundesweit mitnichten so ist. Auch auf Milongas mit
traditioneller Musik wird oft, je nach Publikum, Beleuchtung und Sitzordnung, ganz unterschiedlich aufgefordert. Was
ich zugebe: Milongas, wo der Zwang zum Cabeceo (meist noch mit der
Verpflichtung zu enger Tanzhaltung, Spurtreue und choreografischer
Enthaltsamkeit) bereits in der Einladung prangt, besuche ich nicht. Ich habe
schon mit 18 den Kriegsdienst verweigert, weil ich mich den Befehlen von
Deppen nicht unterordnen wollte. Da fange ich nun – mit 67 – nicht mit dem Gegenteil
an!
Welch kompliziertes Reglement manche für
erforderlich halten, habe ich beispielsweise hier dokumentiert:
Wirklich erfolgreiche Dinge hingegen sind meist sehr
einfach…
Auch meine Bloggerkollegin Manuela Bößel hat es neulich gewagt, bei
einem Beitrag über „Achtsamkeit“ in einem kleinen Absatz auch das Distanz-Genicke
anzusprechen.
„Auch dem Cabeceo wird das Kittelchen der Achtsamkeit
verpasst: Er würde die Damen vor Zudringlichkeiten schützen. Dass er die
Tangueras in passive Starrhaltung zwingt, damit die Männer
befindlichkeitsverbessernd in Ruhe wählen können, ist selbstverständlich nur
die ketzerische Außenseitermeinung einer pseudoemanzipierten, unachtsamen
Bloggerin.“
Sofort
kriegte sie in einer (geschlossenen) Facebook-Gruppe von solchen „Florians-Jüngern der Achtsamkeit“ ihr Fett ab:
„Es
scheint, dass da, wo du tanzen gehst, eine besondere Form des Cabeceo betrieben
wird. Ich meine explizit ‚dass er die Tangueras in passive Starrhaltung
zwingt‘. (…) Diese Behauptung habe ich schon öfter gehört. jedoch muss
es sich dabei um eine mir unbekannte Form des Cabeceo handeln.“
„Die
leidvolle Erfahrung in einigen Orten dieser Republik drängt mich zur Anmerkung,
dass der Cabeceo mancherorts reichlich missverstanden wird. Da gehört
eigentlich die Mirada dazu, die einen aktiven Anteil der Tanguera beinhaltet.
In südwestdeutschen Gefilden vermute ich eine Sozialisation vieler Frauen, die
eine solche Rolle nicht vorsieht – da wartet sie halt auf den fordernden
Macho-Cabeceo. Mit höherem Alter scheint sich das aber dann irgendwann doch zu
legen...“
Lustigerweise stellt sogar die
Cabeceo-Befürworterin in dem eingangs erwähnten Blogbeitrag dazu fest:
„Als ich auf einer
meiner ersten Milongas per Cabeceo einen Tänzer aufforderte, brachte es mir
prompt böse Kritik plus Belehrung ein, das man (oder besser frau) das nicht mache.“
Tja, was denn nu'?
Tja, was denn nu'?
Ich
kenne solche Debatten seit meiner Jugendzeit.
Sie verlaufen in drei Stufen:
Erstmal
bekommt man gesagt, man habe die zugrunde liegenden Tatsachen „missverstanden“.
Bleibt
man halsstarrig, heißt es im zweiten Schritt, man wolle diese „absichtlich missverstehen“.
Bei
weiterer Renitenz kommt schließlich die Feststellung: „Was hast du für ein Problem?“ Meist verbunden mit einer persönlichen Herabsetzung.
Gar keins, meine Lieben: Auch bei einer
(gefühlten) Akzeptanz von 99 Prozent kann es vorkommen, dass jemand aus denselben Tatsachen andere Schlüsse zieht,
sie unterschiedlich bewertet. Dies hat man zu respektieren, ohne dem Andersdenkenden
mit großmäuliger Arroganz zu kommen. Achtsamkeit wäre das bessere Rezept…
Und meine
Interpretation ist halt die:
Jede Aufforderungsart hat – je nach Geschlecht,
Sehvermögen, Beleuchtung, Sitzordnung und vielen anderen, speziellen Aspekten – ihre Vor-
und Nachteile. Und darum sollte man alles oberhalb des Schleifens der Tänzerin
an den Haaren aufs Parkett gütigst tolerieren.
Wir erwarten heute Nachmittag wieder unsere
Gäste zur „Wohnzimmer-Milonga“. Wie
ich schon öfters betont habe: Bei uns
darf jeder spinnen, wie er will – auch hinsichtlich der Aufforderung. Zwei
Dinge würde ich als Hausherr allerdings nie zulassen: Die Bildung elitärer
Cliquen und die Haltung, jemand sei es nicht wert, aufgefordert zu werden oder
auffordern zu dürfen. Das sind meine „Códigos“…
Vor einiger Zeit hatten wir bei uns einen
argentinischen (!) Tangolehrer (!) zu Gast. Nie werde ich vergessen, wie der
sich mit geneigtem Kopf an eine Tänzerin neben sich wandte und fürchterliche
Grimassen schnitt. Diese verstand das Signal, lachte und stand auf. Bevor er
ihr aufs Parkett folgte, sagte er leise zu mir: „Und dafür brauchst du Workshop?“
Die Dame hörte es aber wohl noch, drehte sich um und antwortete: „Ich nicht!“
Die Dame hörte es aber wohl noch, drehte sich um und antwortete: „Ich nicht!“
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AntwortenLöschenLiebe Kommentatorin,
Löschenleider gilt auch für Dich: Beiträge müssen hier mit vollem Namen gezeichnet sein. Wenn ich den habe, stelle ich Deinen Text gerne wieder ein.
Ein Vorschlag zur Güte:
AntwortenLöschenDa ja heutzutage so gut wie jeder, aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen, jederzeit ein Handy, nein tschuldigung, ich hinke wie immer der Zeit hinterher, ein Smartphone, dabei hat, könnte man doch beim Eintritt in die Milonga an der Rezeption seine Telefonnummer einspeichern lassen.
(Dies selbstverständlich in Verbindung mit eigenem Porträt, Name, Alter, Tanzerfahrung, wenn ich noch etwas vergessen habe lass es mich wissen…).
Jeder hätte Zugriff auf die entsprechende Datei und könnte dann bequem, wie in den Tanzlokalen der, waren es die sechziger Jahre? den/die gewünschte(n) Tanzpartner(in) anrufen, und zum Tanz einladen.
Mit dieser Methode hätten wir uns sofort das fürchterliche Geblinzel, und besser noch irgendwelche öffentlich sichtbaren Körbe gespart.
Außerdem läge es voll im Trend der Zeit.
Natürlich wären dann Dinosaurier wie ich, die ihr Taschentelefon nicht immer mitschleppen, und sich über flirtenden Augenkontakt freuen, völlig abgehängt.
Aber wenn es denn dem Wohl des guten Großen und Ganzen dient...
Lieber Wolfgang,
Löschenich gestehe, dass ich kein Smartphone besitze und Frauen, welche bei einer Milonga das Surfen im Internet nicht lassen können, bestimmt nicht auffordere.
Mein Handy liegt meistens ausgeschaltet im Auto.
Zudem: Die meisten Damen trauen sich ja nicht mal, im Internet unter Nennung ihres wahren und vollständigen Namens zu posten - und da sollen sie dann jedem Heinz und Kunz ihre Telefonnummer geben?
Nö, wenn schon, dann Tischtelefone wie weiland im Café Keese. Hatte ich schon mal vorgeschlagen. Die würden auch zu den heutigen Sitten im Tango gut passen - am besten noch mit Kurbel.
Herzliche Grüße
Gerhard
Lieber Gerhard,
AntwortenLöschenich denke, es hängt sehr davon ab, ob man irgendwo regelmäßig hin geht, vielleicht sogar in der Provinz, wo ohnehin meist die gleichen Leute verkehren oder ob man in einer Großstadt zum Tanzen geht, wo sich vieles verläuft oder ob man vielleicht sogar irgendwo völlig fremd ist. In letzterer Situation würde ich auch erst mal zurückhaltend mit Cabaceo-Mirada auffordern. Bewegt man sich zumeist in den gleichen Kreisen ist es doch wiederum so, dass die meisten Tänzer/innen wissen wer-mit-wem und wer-eben-nicht-mit-wem, insofern finde ich hier das Gedöns um Cabaceo und Mirada schon übertrieben. Klar hat jeder seine Favoriten und jene, mit denen er/sie nicht kann/will. Aber wenn ich schon mit dem Gedanken auf eine Milonga gehe, nur mit bestimmten Leuten tanzen zu wollen, dann sollte ich eigentlich zu Hause bleiben (oder ich muss mit den entsprechenden Tänzern vorab Verabredungen treffen). Denn diese Einstellung ist für mich nicht Tango-konform. Ebensowenig, dies dann durch permanente Blickvermeidung bestimmten Leuten gegenüber durchzusetzen.
Mir persönlich passiert es aufgrund meiner Sehschwäche nach wie vor regelmäßig, Aufforderungen nicht zu erkennen oder sogar misszuverstehen. Unlängst war ich zu 90% sicher, dass der Blickkontakt eines Mannes mir galt. Da er mich noch nie vorher aufgefordert hatte, warf ich vorsichtshalber einen kurzen Blick auf die Frau neben mir – welche sich schon freudig erregt zur Stuhlkante vorrückte und ihr Jackerl auszog. Aha – galt also doch nicht mir. Also setzte ich wieder eine unbedeutende Miene auf. Als der Mann jedoch die Reihe entlang zu uns rüber kam, da zögerte er vor meinem Stuhl, sah mich an (sah eine ausdruckslos dreinblickende Frau) und tanzte selbstverständlich mit der Dame neben mir, welche sich schon erhoben hatte. Hätte ich auch, wäre ich an seiner Stelle gewesen, sonst hätte er sie ja vollends blamiert. Da ich mich selber aber auch nicht blamieren wollte, brachte ich mich wahrscheinlich selbst um diesen Tanz. In diesen Situationen hasse ich dieses Cabaceo-Getue.
Was also tun? Ich tendiere zur fallweisen Entscheidung. Bei schlechten Sichtverhältnissen und bekannten Personen kann man doch ruhig in die Offensive gehen. Wenn Mann (oder Frau) dann einen Korb bekommt, ebenso fallweise den Mülleimer mit der Aufschrift „Schnepfe/Schnösel“ oder „das-merk-ich-mir“ öffnen und rein damit.
Liebe Grüße
Sandra
Liebe Sandra,
Löscheneben – es hängt von verschiedenen Umständen und Geschmäckern ab, wie man auffordert. Diese Einstellung unterscheidet halt Pragmatiker von Ideologen. Dieser Diskrepanz zieht sich ja durch den ganzen Tango: Ich halte gerne mal zwei Stunden EdO aus (noch dazu, wenn die Titel gut ausgewählt sind) – die lieben Freunde aus der anderen Fraktion beschweren sich schon nach einer Tanda Otros Aires.
Wenn mal ein Blick reicht – prima! Ich habe aber keine Lust, die Hälfte meiner Konzentration auf diese Herumglotzerei zu verwenden. Zudem kann man Missverständnisse nur dann einigermaßen ausschließen, wenn man die ganze Sitzordnung und Beleuchtung darauf abstellt: Männlein und Weiblein müssen sich dann gegenüber aufbauen wie im englischen Unterhaus. Dass manche lieber gemütlich an einem Tisch zusammen sitzen (auch noch gemeinsam mit dem Partner), darf dann keine Rolle mehr spielen. Ein Wahnsinn!
Noch etwas unterscheidet die Freunde des rein traditionellen von denen eines lebendigen, vielfältigen Tango: Letztere schreiben oft darüber, mit wem und zu welcher Musik sie tolle Tänze hatten. Erstere verbreiten sich eher zu dem Thema, wie sie es anstellen, nicht tanzen zu müssen – und schon gar nicht zu unpassender Musik.
Danke und liebe Grüße
Gerhard
„Ich fordere auf wen ich will und wie ich will. So einfach ist das für einen emanzipierten Mann. - So einfach wäre es auch für die Damen, wenn sie wenigstens den Sprung aus dem 19. ins 20. Jahrhundert schafften. Aber nein: Die sitzen sich lieber den Arsch platt als dasselbe zu tun wie Männer: Aufzufordern wen sie wollen und wie sie wollen. Selber schuld! Kein Mitleid!“
AntwortenLöschenDiesen Kommentar habe ich unter dem zitierten Artikel der Berlintangovibes abzugeben versucht. Zugegeben: Brüsk formuliert. Aber die Berliner Tangoweiber formulieren auch nicht gerade zimperlich. Zimperlich sind sie aber im Nehmen: Kommentar wurde nicht freigeschaltet...
...und bei mir landete der Text im Spam. Erst jetzt gesehen und freigeschaltet, sorry.
LöschenTja, ich fürchte, da bist ins "Land des Weglächelns" geraten: Kontroverse Ansichten auszutauschen liebt man dort nicht direkt.
Ich meine aber, dass man Kommentare nicht einfach spurlos verschwinden lassen sollte. Zumindest ein Hinweis, wieso man gelöscht hat, müsste schon zu sehen sein.
Ich würde da mal per Mail anfragen!
Wie ich gerade sehe, wurde Dein Kommentar ja nun freigeschaltet und auch beantwortet.
LöschenAlso, geht doch, oder? Inhaltlich sehe ich die Reaktion als Relativierung, die man aus dem Originaltext nur mit sehr viel Optimismus ableiten kann.
Dieser Text landete inzwischen unter allen 597 Veröffentlichungen mit momentan 607 Direkt-Zugriffen auf Platz drei!
AntwortenLöschenTja, immer diese "ausgelutschten Themen"...
Was muss ich doch sagen, wie wenig ich den Tango Argentino vermisse.
AntwortenLöschenNachdem mein Versuch, sich diesem ca. 1,5 Jahre zu nähern, nun vor ca. 1,5 Jahren gescheitert ist (für mich als Standard/Latein Tänzer zu unvorhersehbare Musik und das Gefühl ständig neben der Musik zu sein, zu komische Leute und ihre Dogmatik, nur Stehkuscheln statt Bewegung auf den Milongas), sehe ich jetzt nach nur einem guten halben Jahr beim West Coast Swing so krasse Unterschiede.
Da wird auch ein Neuling, mit nur einem Wochenende Einsteigerworkshop, freudig von der Veranstalterin begrüßt. Da wird auch mit besagten Frischling gleich mal ein Probetanz avisiert und kurz danach ausgeführt. Und das auch noch, oh Schock und Schreck, per verbaler Aufforderung durch die Dame selber!
Und auch andere anwesende Damen sind weder schüchtern noch versnobt und fordern Mann trotzdem auf, auch wenn sie gesehen haben, dass da noch nicht das große Figurenfeuerwerk abgefackelt werden kann.
Die Erfahrung beschränkt sich bisher, mangels viel Auswahl in meiner eher salsalastigen geographischen Ecke Deutschlands, bisher auf drei Veranstaltungen und Parties. Ich konnte sie aber überall sehr ähnlich machen, die "Willkommenskultur" und der Umgang miteinander? Welten zwischen diesen beiden Szenen.
Ach ja, und zum West Coast Swing habe ich auch noch keine Blogs gefunden, geschweige denn sich gegenseitig befehdende Sekten mit alleinigem Heilsanspruch.
Einen schön getanzten Tango werde ich mir sicher gerne auch in Zukunft anschauen (wie auch jeden anderen schön ausgeführten Tanz), aber die Abkehr vom Tango und seinen Vertretern wird wohl endgültig sein.
Das einzige, was ich mir, vielleicht unnötig verkopft und durch die Tangodiskussionen verdorben, noch bewahrt habe ist, keine Damen aus sich intensiv unterhaltenden Gruppen an anderen Tischen aufzufordern. Ob die das wirklich als "Bitte nicht stören" Schild meinen oder auch in dieser Situation ohne offenes Umherschauen für eine Aufforderung zu haben wären? Hm, vielleicht wäre ja doch ein Blog oder eine gedruckte Hausordnung sinnvo..... nein, lassen wir das lieber, das finde ich auch noch durch praktisches Ausprobieren raus ;-)
Der ehemalige Tangoprobierer ;-)
Christian Windtschneider
Lieber Christian,
Löschenich will dir den Tango argentino keinesfalls wieder einreden! Letztlich stimmen deine geschilderten Beobachtungen – jedenfalls für eine große Anzahl von Veranstaltungen, in Großstädten mehr als in der Provinz. Doch es gibt sie schon noch, die kleinen Milongas, auf denen man genau die Verhaltensweisen erlebt, wie du sie beim West Coast Swing geschildert hast. Leider tendieren Anfänger meist dazu, der Masse zu folgen, was sie dann genau in die Szenen führt, wo man die Nase ziemlich hoch trägt.
Meines Erachtens hat das damit zu tun, dass der Tango in den letzten zehn Jahren sehr viel Zulauf hatte – und damit wird er interessant für diejenigen, welche Machtpositionen erobern wollen und sich durch ideologische Bekenntnisse wichtigmachen. Ich habe den Tango noch als ähnliche „Randerscheinung“ erlebt, wie sie wohl der WCS und dergleichen Tänze darstellen. Da freut man sich über jeden, der überhaupt neu dazukommt. Wollen also hoffen, dass dort der Hype ausbleibt!
Aber sag mal: drei Veranstaltungsbesuche in einem halben Jahr? Ist dir das nicht zu wenig? Und übrigens gibt es natürlich auch Blogs zum WCS. Ich hab in 60 Sekunden schon mal zwei gefunden (einen davon auch mit Verhaltensregeln):
http://www.socialdancingblog.com/category/west-coast-swing-2/
https://berlin-loves-wcs.de/blog/west-coast-swing-netiquette/
Es stimmt aber, dass dort die ideologischen Debatten weitestgehend ausbleiben – ich habe das in einem anderen Artikel schon einmal beim Salsa beschrieben. Hoffen wir, dass dies so bleibt!
Und klar, wenn man keinen Zugang zur Musik findet, sollte man nicht dazu tanzen. Mir gefällt aber gerade das „Unvorhersehbare“ moderner Tangomusik. Allerdings spielt man auf vielen Milongas eher die alten Aufnahmen, und da ist „vorhersehbar“ noch eine schwache Beschreibung…
Vielen Dank und beste Grüße
Gerhard