Auffordern – das Geschiss geht weiter
Bereits
vor einiger Zeit musste ich feststellen, dass es in der (gefühlten)
Tangohauptstadt Europas (Berlin) wohl vor allem darum geht, wie man nicht Tango
tanzt:
Ein
neuer Artikel auf dem dortigen Blog „Berlin
Tango Vibes“ bestätigt leider meinen Eindruck:
In
dem Textfragment beklagt sich eine Tanguera, dass sie auf einer Milonga nicht
in Ruhe pausieren könne, sondern sich dann Männer neben sie stellten – „immer schön den Schrittbereich in ihrem
Blickfeld“ – und Sie dann auf die „harte
Tour“ zu einem Tanz nötigen wollten: Man stelle sich vor – sie fragen
einfach „Willst du tanzen?“ oder – „noch schlimmer“ – tippen sie an (die Körperstelle wird leider nicht mitgeteilt).
Abgesehen
davon, dass ich jedem Schreiber –
pardon: jeder „Schreibsie“ – nur raten
kann, mit der Veröffentlichung sexueller Fantasien vorsichtig zu sein: In
meiner Heimat, dem ländlichen Oberbayern, würde ein solches männliches
Verhalten beim Dorftanz noch unter der Rubrik „Schüchternheit“ geführt! „Madel,
do geh her“ – verbunden mit einem kräftigen Ruck am Arm – wird hierzulande weiblicherseits
vom schneidigen Burschen schon als Beweis seiner Tanzlust erwartet.
Ja,
„hinter den sieben Bergen“, so hat
mein Berliner Kollege Thomas Kröter
neulich bekannt, wohne doch im Märchen die wahre Schönheit. Nicht nur das. Ich
darf noch akustisch ergänzen: In unseren Breiten gehört auch beim
weiblichen Geschlecht eine ziemlich große Klappe zum Lieferumfang: „Jetz loss mi, i bin miad“ wäre wohl die
Replik der heimischen Maid im Falle von Erholungsbedarf – anstatt sich, wie im
fernen „Preissen“, angepisst an den Computer zu setzen und einen Blogartikel zu
schreiben.
Freilich:
Lustiger ist Letzteres schon, da man solcherart die „Cabeceo-Experten“
anfüttert und auf bislang 22 Kommentare
(!) kommt:
So
beklagt sich ein männlicher „Mervin“
bitterlich über Frauen, die ihn einfach nicht zur Kenntnis nähmen: „Weißt du eigentlich, wie unglaublich
verletzend es ist, aktiv ignoriert zu werden? Das erste Mal, als ich noch recht
frisch in der Berliner Szene war, saß ich am Ende auf meinem Bett und war den
Tränen nahe.“ Die Frau solle doch lieber Blickkontakt aufnehmen und dann demonstrativ wegschauen oder mit dem Kopf schütteln: „So ist der Cabeceo
auch ursprünglich gedacht gewesen.“
Und
ich Depp hab bisher gemeint, er sei eine Aufforderungsart…
„TRH“ (mit Sicherheit
ebenfalls ein Mann) findet dies wiederum gar nicht schlimm. „Abschätzige/abwertende Blicke“ hingegen
müssten nicht sein: „Neutral
schauen/wegschauen, das ist für mich OK und gehört dazu.“
Oh,
oh, zwei Kampel mit unterschiedlichen Auffassungen zum Cabeceo – das kann nicht
gutgehen. Tut es auch nicht: Flugs trocknet sich „Mervin“ die Tränen und keift zurück:
„Denkst du, ich ordne
mich deinen verschrobenen Idealvorstellungen von Etiquetten unter? Andere Leute
zu ignorieren ist wohl das Schlimmste, was man ihnen antun kann. Es ist noch
schlimmer als sie zu beleidigen, denn wenn du jemanden beleidigst, setzt du
dich zumindest mit der Person auseinander. Es ist mir vollkommen egal, ob Wegschauen
für dich dazugehört oder nicht – es bleibt ein zutiefst asoziales und abwertendes
Verhalten!“
Der
Kommentator „Waldstern“ erinnert die Herren an
althergebrachte männliche Tugenden:
„Es geht darum, im
Hinblick auf sein archaisches Erbe hat der Mann das Mammut zu erlegen, um für
die Familie, den Clan Nahrung zu besorgen. Wenn dich Ablehnungen und
Misserfolge so zurückwerfen, bist du schlicht nicht überlebensfähig. Eine Frau
spürt das. Ihr Fazit: uninteressant, nicht überlebensfähig!“
Na schön, aber in den guten alten Steinzeiten musste der Mann das Mammut ja nur
erlegen, nicht mit ihm tanzen…
„TRH“ kann es nicht
lassen, noch etwas Salz in die Wunde zu streuen:
„Tipp von mir: Werd‘
ein besserer Tänzer und es wird mehr geben, die Lust drauf haben, mit dir zu
tanzen.“
Der
spürbar angefressene Mervin antwortet
etwas, das in der Frauensprache „Vielleicht
hast mich missverstanden“ hieße:
„Du hast anscheinend
immer noch nicht verstanden worum es überhaupt geht. (…)
Andere Leute zu
ignorieren und so zu tun, als ob man sie gar nicht sehen würde, ist die falsche
Vorgehensweise. Und auch das Pseudoargument, es sei für die Auffordernden ‚schonender‘,
ist doch völliger Quatsch.“
Nun
ist auch „TRH“ eingeschnappt:
„Du möchtest doch
lediglich, dass jeder den Kontakt so gestaltest, wie DU es möchtest… Reines
Egoding aus meiner Sicht… Hinterfrag mal lieber deine eigene Haltung kritisch!“
„Ein Tänzer“ führt uns schließlich
in die „Übercodierung“ des verwickelten Blickelei-Systems ein. Leseprobe:
„Ich empfinde dies
hierzulande als weniger verletzend und daher als höflicher. Vor allem,
innerhalb der ersten 30 Sekunden einer neu beginnenden Tanda.
Ist dagegen bereits der erste Titel einer Tanda verstrichen und man möchte noch immer nicht einer andauernden Mirada nachkommen, so empfinde ich es als EHRLICHER, dieser Person eine aktive Ablehnung per Blickkontakt zukommen zu lassen. Ein ehrlich gemeintes Lächeln und dann das anschließende Abwenden des Blicks stellt Klarheit für die/den Gegenüber her. Es hilft vor allen denjenigen, die lediglich eine sehr subtile Mirada pflegen… sie müssen sich nicht fragen, ob die Mirada überhaupt als solche erkannt wurde.“
Ist dagegen bereits der erste Titel einer Tanda verstrichen und man möchte noch immer nicht einer andauernden Mirada nachkommen, so empfinde ich es als EHRLICHER, dieser Person eine aktive Ablehnung per Blickkontakt zukommen zu lassen. Ein ehrlich gemeintes Lächeln und dann das anschließende Abwenden des Blicks stellt Klarheit für die/den Gegenüber her. Es hilft vor allen denjenigen, die lediglich eine sehr subtile Mirada pflegen… sie müssen sich nicht fragen, ob die Mirada überhaupt als solche erkannt wurde.“
Die
einzige externe Frau in der Debatte, „Ingrid d.
l. Fuente“, benützt schließlich das Standard-Argument des „sozialen Tango“:
„Wenn es euch nicht
passt, wie die Damen reagieren (Korb mit oder ohne Kopfschütteln, aktives Ignorieren oder was auch immer), sucht euch eine andere Veranstaltung aus.“
Ein
sehr guter Rat! Daher werde ich auch in Zukunft Milongas besuchen, auf denen
sich vorwiegend Menschen treffen, die miteinander
tanzen wollen anstatt sich genauestens zu überlegen, wie man dies am
unschädlichsten vermeiden kann. Und mich mit den Feinheiten des Cabeceo erst im nächsten Leben befassen...
Den
Tango-Tiefgrüblern hingegen sei ein Artikel empfohlen, in dem Manuela Bößel und ich bereits vor über
zwei Jahren die Möglichkeiten des elaborierten Blickkontakts erschöpfend
behandelt haben:
Üsch tanzö nuä müt Prämium-Matöriahal. |
Beim
Dorftanz in Pörnbach jedoch würde ich solche Faxen lassen. Möglicherweise
bekäme man von einer ländlichen Schönheit die Reaktion:
Das Problem der Verfasserin und Ingrid kenn ich nicht, hätt ich aber gern, da ich Ü40 bin und niemand Schlange steht, egal wie ich mich aufbretzel. Beide dürften in den 20ern sein.
AntwortenLöschenJunge Frauen werden immer aufgefordert, egal wie wenig sie können.
Welche Ü40-Frau kann es sich denn leisten, dauernd Herren wegzuschicken???
Daher kann ich beide Damen trösten: wenn sie älter werden, bleiben diese lästigen Aufforderungen von alleine aus.
Den Herren ruf ich zu, nicht nur nach Oberflächlichkeiten auszuwählen, es sitzt genug Material herum.
Frauke Schmidt
Ja, dem schließe ich mich voll und ganz an!
LöschenBei mir ist es umgekehrt: Frauen, die "noch nicht wissen, wer sie sind", fordere ich kaum auf - und meist sind das die Jüngeren. Man muss im Leben schon einiges durchgemacht haben, damit man eine so widersprüchliche Musik interpretieren kann.
Ich hatte schon Tanzpartnerinnen, die weit über 70 waren und sich wunderbar bewegten. Aber die Suche nach Jugend und "Schönheit" ist wohl tief im männlichen Genom verwurzelt.
Aber einmal ehrlich: Wäre es ein Vergnügen, mit solchen Knallköpfen zu tanzen? Da lieber selber führen!
Vielen Dank und herzliche Grüße
Gerhard Riedl
Die Autorin des anderen Blogs hat jetzt auf meinen Kommentar hin zugegeben, daß ihr die beschriebene Situation nur 1x passiert ist. Somit wird in dem Beitrag ein allgemeingültiger Eindruck vermittelt, der sachlich falsch ist.
AntwortenLöschenFrauke Schmidt
Ich zitiere hier noch die Antwort der Autorin:
Löschen„Liebe Frauke, wir Autorinnen sind alle nicht mehr in den 20ern. Mir ist die Situation auch nur einmal passiert. Aber darum geht es hier auch gar nicht.“
Doch, ich finde, darum geht es schon. Ein solches Einzelerlebnis derart aufzubauschen halte ich nicht für günstig. Aber immerhin wird es auf Nachfrage zugegeben.
In anderer Hinsicht würde ich allerdings auch relativieren: Ob eine Frau viel aufgefordert wird oder nicht, hängt von einem ganzen Bündel Ursachen ab und ist im Einzelfall schwer zu ergründen. Aber Alter und Aussehen spielen sicher eine große Rolle.