Jahresrückblick 2018


„Wir müssen wieder lernen zu streiten, ohne Schaum vorm Mund, und lernen, unsere Unterschiede auszuhalten. (…) Aber wer gar nicht spricht und erst recht nicht zuhört, kommt Lösungen kein Stück näher. Sprachlosigkeit heißt Stillstand.“
(Frank-Walter Steinmeier: Weihnachtsansprache 2018)

Nun, „Sprachlosigkeit“ herrschte auf meinem Blog in diesem Jahr nicht: Im Dezember werden es wohl wieder gut 500 Zugriffe pro Tag, dazu kommen heuer noch 475 Kommentare zu den insgesamt 205 Veröffentlichungen. Was mich am meisten freut: In der „ewigen Bestenliste“ der Zugriffszahlen finden sich unter den ersten 10 Artikeln 8 aus diesem Jahr! Seit der Gründung meines Blogs Ende 2013 gab es über 490000 Klicks auf diese Seite – die halbe Million wird wohl im Januar erreicht werden.

Klar, dass da diejenigen, welchen die ganze Richtung und schon gar dieser Erfolg nicht passt, das Kaliber ihrer Attacken deutlich vergrößert haben: Es gab heuer mehrere Versuche, meine Seite mit Spam-Kommentaren übler Sorte anzugreifen. Die Argumente sind wenig fantasievoll: Ich würde meine Mitmenschen herabsetzen und beleidigen, falsch zitieren, schriebe nicht „die Wahrheit“, sei arrogant sowie selbstgefällig und zensiere abweichende Meinungsäußerungen.

Kostproben aus Mails, die mich erreichten:

„Du richtest hier in aller Öffentlichkeit Menschen aus und machst Dich über sie lustig, ohne dass diese sich wehren können. Das ist letztklassig“   
„Mieser geht’s fast nicht mehr (Riedl wird schon noch etwas Mieseres einfallen, um sich über Menschen lustig zu machen).“
Ich weiß jetzt wenigstens, wie die Riedls ihre Blogs betreiben: Verfasserinnen und Verfasser unliebsamer Kommentare werden einfach zensuriert, als ‚Gegner‘ bezeichnet und – auch noch nach vielen Jahren – ‚ironisiert‘ ins Lächerliche gezogen und diffamiert, ohne dass sie darauf reagieren können. Unterste Schublade eben.“

Nun, da kann und darf man geteilter Meinung sein. Spaßig finde ich allerdings die Behauptung, man könne sich gegen meine Anwürfe nicht wehren: Gerade bei diesem Blog ist das ein Leichtes – schon, da er (in der Tangowelt nicht unbedingt üblich) über ein Impressum verfügt. Wer sich also in seinen Kommentarmöglichkeiten eingeengt fühlt, weder auf Facebook antworten noch ein eigenes Blog aufmachen möchte, darf mir gerne schreiben oder dies zum Zwecke einer Abmahnung seinen Anwalt erledigen lassen – eine „ladungsfähige Anschrift“ liegt vor.

Mich erinnert das an den Kabarettisten Dieter Nuhr, der über die Herrschaften mit der rechten Einstellung meinte, sie würden ständig behaupten, bei uns würde die „Lügenpresse“ regieren, und man dürfe ja seine Meinung nicht mehr laut sagen. Seltsamerweise säßen die Damen und Herren der AfD wöchentlich mindestens einmal in einer öffentlich-rechtlichen Talkshow und würden dort alles erzählen, was sie angeblich nicht sagen dürften…

Wegen solcher Attacken habe ich in diesem Jahr die Kommentarmöglichkeiten meines Blogs umgestellt: Man muss mir nun eine E-Mail schicken, welche ich dann auf meiner Seite veröffentliche. Allerdings gilt weiterhin: mit vollem Namen und einem Minimum an Höflichkeit. Und zumindest im weitesten Sinne sollte sich der Beitrag inhaltlich auf den betreffenden Artikel beziehen.

Die öfters im Tagesrhythmus eingehenden Schimpfkanonaden haben sich seither auf fast Null reduziert. Ist wohl doch nicht so anregend, lediglich im Spam-Filter zu landen…

Da ist es natürlich vorteilhaft, wenn man auf der Seite Dritter ungehindert gegen mich pöbeln kann wie in der „Unterste Schublade-Affäre“. Ausgelöst wurde das Geblöke durch einen (wie ich finde) spaßig-lockeren Spruch, mit dem ich die Aussage einer Münchner DJane und Tangoveranstalterin versah:

Dabei hätte ich wissen müssen: In gewissen Tangokreisen wird Humor bestenfalls in Globuli-Dosis vertragen. Flugs sammelte sich auf der betreffenden Facebook-Seite das nicht sehr bunte Heer meiner Widersacher und gab Dinge von sich, für welche ich bis heute das Attribut „Tango-Pegida“ gerne verantworte:

Na gut, den Zugriffszahlen hat das Ganze wahrlich nicht geschadet: Sie erreichten den bisherigen Spitzenwert – obwohl etliche Leser immer wieder behaupten, sie seien lediglich an seriösen Sachbeiträgen interessiert. So siehste aus…

Tja, und dann forderte man noch meinen Hinauswurf aus einer geschlossenen Facebook-Gruppe, weil ich es gewagt hatte, aus dortigen Kommentaren zu zitieren (ich habe die Gruppe dann aus eigenem Entschluss verlassen). Im Netz ständig verfügbare Amateur-Juristen bescheinigten mir umgehend, illegal zu handeln. Dass dem wohl nicht so ist, interessierte dann kaum noch jemanden:

War sonst noch was? Allerdings! Gelegentlich erhielt ich richtig unerwartetes Lob: So bescheinigte mir ein altgedienter Tangolehrer, der mich bis dahin in Grund und Boden verdammt hatte, manche meiner Texte gefielen ihm ausnehmend gut. Und auch sonst kamen von diesem Berufsstand erstaunlich viele freundliche und konstruktive Kommentare, manchmal sogar öffentlich. Veranstalter und DJs beschäftigten sich zunehmend mit dem, was sie jahrelang offiziell ignoriert hatten: meinen über 50 Playlists – und siehe da: Nicht alles dort scheint so uninteressant und abwegig zu sein, wie es bislang den Anschein hatte.

Viele private und öffentliche Nachrichten bestärkten mich sogar ausdrücklich in meinem Tun. Und ohne jede Ausnahme behandelten mich Milonga-Gastgeber freundlich, oft sogar mit herzlicher Zuwendung – auch wenn wir in der Sache weit auseinander lagen. Daher möchte ich an dieser Stelle allen herzlich danken, die meine Arbeit mit Anerkennung, Anregungen und fairer Kritik begleiteten. Hätte ich noch einen Grund gebraucht, um weiterzumachen, wäre es dieser gewesen.

Was hat sich in diesem Jahr beim Tango verändert? Obwohl ich nur eine begrenzte Region überblicke, meine ich doch: Die Fronten sind brüchiger geworden. Ich sage voraus, dass sich einige restriktive Einstellungen – was öffentliche Veranstaltungen betrifft – immer weniger durchhalten lassen:

·        
Die Begrenzung der Musik auf die „goldene Epoche“ ist faktisch vom Tisch. Selbst „streng traditionelle“ DJs legen immer öfter Aufnahmen von nach 1955 auf, insbesondere aus dem Bereich der jungen Orchester, die frisch aufpolierte EdO-Titel bieten. Und sogar die eine oder andere Piazzolla-Tanda wird gelegentlich ins Programm geschmuggelt…

Von den früheren ideologischen Auseinandersetzungen um die Códigos wie den Cabeceo bemerke ich im Milonga-Alltag kaum etwas. Manche verwenden ihn, andere auch nicht. Wie schrieb heute Kollege Kröter? Die Blickelei-Aufforderung spiele in den Küstenregionen ungefähr die Rolle, wie die Norddeutschen das Wasser im Grog dosieren: kann, aber muss nicht.“ Ich bestätige gerne: In Süddeutschland ist das – ohne Grog – genauso!

Und selbst bei den „Tanzspur-Verordnungen“ ist irgendwie die Luft raus: Im Tangoalltag regelt sich das begrenzte Chaos auch ohne sie irgendwie. Der Deutsche lässt sich zwar gerne Vorschriften machen – allerdings nicht unbedingt in der Freizeit.

Was meine Wünsche fürs Neue Jahr betrifft, so möchte ich sie mit einem Eindruck beschreiben, den ich kürzlich auf einer Milonga hatte: Da die Musikrichtung als „überwiegend traditionell“ beschrieben wurde, wussten die Gäste natürlich, worauf sie sich einließen. Dennoch waren unter den Besuchern sicherlich 20 Prozent, die durchaus zu moderneren Klängen neigen. Aber wie es in der Provinz so ist: Bevor man 100 km fährt, akzeptiert man halt das Übel – natürlich still und wohlerzogen. Den DJ oder Organisator anzupöbeln ist in diesem Publikumssegment nicht vorgesehen.

Und klar, jeder Veranstalter hat das Recht… geschenkt! Ich frage mich nur: Könnte man nicht im Tango bis zur Unkenntlichkeit plagiierte Begriffe wie „Respekt“, „Achtsamkeit“ oder „sozialer Tanz“ mit etwas Leben erfüllen? Vielleicht durch die Ansage: „Da unter unseren Gästen heute einige sind, die sich moderne Tangomusik wünschen, spielen wir nun…“  Es würde sicher kein Blitz vom Himmel fahren – und dann eventuell querulierende Betonköpfe würden sich als das erweisen, was sie im Tango sind: überflüssig.

Oder wie wäre es, wenn eine direkt und verbal auffordernde Frau nicht sofort der allgemeinen Verachtung anheimfiele? Wenn eine entschuldigende Geste und ein Lächeln die einzigen Folgen wären, falls einmal ein Neo-Fuß einen Tradi-Knöchel streift?

Das „hohe Ross“ ist nämlich – auch im Tango – keine geschützte Spezies:

Illustration: Manuela Bößel * www.tangofish.de

Ich lege viel Wert darauf, mich nicht einer Fraktion" zuordnen zu lassen. Folglich bin ich direkt froh, es mir heuer auch mal mit der Avantgarde im Tango verdorben zu haben. Die Reaktionsweisen sind übrigens frappierend ähnlich...

Stets ziehe ich die Vielfalt der Einfalt vor. Daher plädiere ich für die Einführung eines Fremdworts in die Tangoszene: Kompromiss. Aber das kann der von mir hoch verehrte Dieter Nuhr (in erstaunlicher Parallele zu unserem Bundespräsidenten) viel besser:

„Wie oft höre ich in meinem Bekanntenkreis plötzlich so Sätze wie ‚Ich bin diese Kompromisse so satt‘. Das kommt doch irgendwo her! Und wissen Sie was? Wenn es ein sicheres Zeichen für den Niedergang unserer Zivilisation gibt, dann, dass das Wort ‚Kompromiss’ heute so einen negativen Beigeschmack hat. Kompromisse sind das Wichtigste überhaupt. Weil wir nicht allein sind auf der Welt. Und viele unserer Mitbürger sind Spacken, Irre und Trottel – und da muss man Kompromisse machen. So sieht’s aus. Kompromisse sind der Nachteil, der dadurch entsteht, dass noch andere Menschen da sind. Den Zustand, im Kompromiss zu leben, nennt man Zivilisation. Und den würde ich gerne erhalten. Frohes Neues Jahr!“
(Dieter Nuhr: Jahresrückblick 2018)

P.S. Und wer die Weihnachtsansprache von Frank-Walter Steinmeier noch nicht kennt:

Kommentare

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.