Milonga in der Nicht-Tanzbar
Am Montag, den 10.12., ereignet sich in München ein
wahrhaft revolutionärer Kulturevent: Das Tangoseminar von Theresa Faus (regelmäßig und bezeichnenderweise im Europäischen
Patentamt veranstaltet) widmet sich Astor
Piazzolla! Die international bekannte DJane schreibt dazu auf Facebook:
„Astor Piazzolla -
mit 18 begann er als Bandoneonist in Troilos Orchester, er wurde Arrangeur und
Komponist, er gründete diverse Ensembles, spielte irgendwann nur noch seine
eigenen Kompositionen, hatte weltweit Erfolg. Er erfand den ‚Tango Nuevo‘, mit
neuen Rhythmen, neuen Harmonien, Melodien, Klangfarben und Formen.
Wir hören komplexe traditionelle Tangos, experimentelle Musik im Grenzbereich zu Jazz und Rock, aggressive Musik und meditative Musik, immer mit Piazzollas kraftvollem und expressivem Bandoneon-Spiel.“
Wir hören komplexe traditionelle Tangos, experimentelle Musik im Grenzbereich zu Jazz und Rock, aggressive Musik und meditative Musik, immer mit Piazzollas kraftvollem und expressivem Bandoneon-Spiel.“
Freilich sollte man sich nicht zu früh freuen. Obwohl, wie von ihr zitiert, sogar Pugliese meinte, diese Musik sei Tango – Piazzolla zum Tanzen wird es bei ihr
auch weiterhin kaum geben:
„Meine Seminare sind
zwar für Tänzer. Aber dass ich jetzt ein Piazzolla Seminar mache, bedeutet
nicht, dass ich in Zukunft Piazzolla in Milongas auflege. Wie bisher auch, nur
in Ausnahme-Momenten.“
Manch altgedientem DJ entlockt die
Ankündigung durchaus nostalgische Seufzer: „Früher
habe ich öfter Piazzolla aufgelegt (vielleicht bis 2010).“
Tja, inzwischen geht das natürlich kaum noch,
wäre ideologisch nicht vertretbar. Dennoch beschleicht mich – nicht nur bei
diesem Beispiel – der Verdacht, so manchem Tradi-DJ gefällt es nicht mehr ganz in
der Ecke des „Muffs von tausend Jahren“. Ein paar Globuli Innovation wären nicht schlecht...
So kündigte jüngst der Münchner DJ Olli Eyding das bislang bei modernen
Tänzern eher als „Rentner-Tango“ geltende „Tango
Café“ in der Sonnenstraße wie folgt an:
„Am Sonntag wieder mit romantischen, rhythmischen,
energiereichen Tandas voller Abwechslung aus dem großen musikalischen Schatz
vieler Jahrzehnte. Von allem das Beste und immer ein bisschen anders.“
Na
ja, „wieder“ – das ist aber schon
lang her…
Fest
steht jedenfalls: Nachdem man im Tango 20 Jahre fröhlich zu Piazzollas Musik
herumhüpfte, stand spätestens ab 2010 allgemein fest: Dazu kann man nicht tanzen.
Wieso
eigentlich nicht? Aber Google weiß ja alles! Daher habe ich dort den
Suchbegriff „Piazzolla nicht tanzbar“ eingegeben. Hier das Ergebnis der ersten drei Seiten:
„Viele von Piazzollas
Tangos sind nicht mehr im traditionellen Sinne tanzbar, sondern in erster Linie
Musik zum Zuhören.“
„Seine Kompositionen
eines Tango Nuevo, die ab 1955 nach seiner Rückkehr nach Argentinien
entstanden, sind als Konzertmusik angelegt und somit ‚nicht tanzbar', zumindest
nicht im herkömmlichen Sinne. Sie fordern vielmehr zum konzentrierten Hören
auf.“
„Die Tangokompositionen Piazzollas sind nicht tanzbar, zumindest nicht im
herkömmlichen Sinne. Sie fordern vielmehr zum konzentrierten Hören auf.“
„Die
Tangokompositionen Piazzollas sind nicht tanzbar, zumindest nicht im
herkömmlichen Sinne. Sie fordern vielmehr zum konzentrierten Hören auf.“
„Seine Kompositionen
eines Tango Nuevo,
die ab 1955 nach seiner Rückkehr nach Argentinien entstanden, sind
als Konzertmusik angelegt und somit ‚nicht tanzbar', zumindest nicht im
herkömmlichen Sinne. Sie fordern vielmehr zum konzentrierten Hören auf.“
„Seine Tangos sind
zumeist nicht tanzbar, sondern sind reine Musik zum Anhören.“
„Seine Kompositionen
sind nicht tanzbar, zumindest nicht im traditionellen Sinn. Sie sind umso mehr
‚hörbar‘.“
„Die
Tangokompositionen Piazzollas sind nicht tanzbar, zumindest nicht im
herkömmlichen Sinne. Sie fordern vielmehr zum konzentrierten Hören auf.“
„Die
Tangokompositionen Piazzollas sind nicht tanzbar, zumindest nicht im
herkömmlichen Sinne. Sie fordern vielmehr zum konzentrierten Hören auf.“
„Seine
Tangokompositionen sind nämlich nicht tanzbar, zumindest nicht im herkömmlichen
Sinn. Sie fordern vielmehr zum konzentrierten Hören auf.“
„Viele von Piazzollas
Tangos sind nicht mehr im traditionellen Sinne tanzbar, sondern in erster Linie
Musik zum Zuhören.“
„Viele seiner Tangos
sind nicht mehr im traditionellen Sinne tanzbar, sondern in erster Linie Musik
zum Zuhören.“
„Dieser
ist nicht ‚tanzbar‘, sondern verlangt einen aufgeschlossenen Hörer.“
„…
warum bei Piazzolla ein Tango entstand, der im traditionellen Sinne nicht mehr
tanzbar, sondern zum Zuhören gedacht war.“
„So
entstand ein Tango, der im traditionellen Sinne nicht mehr tanzbar, sondern zum
Zuhören gedacht war.“
„Viele
von Piazzollas Tangos sind nicht mehr im traditionellen Sinne tanzbar, sondern
in erster Linie Musik zum Zuhören.“
„Der neue, als
Konzertmusik angelegte Tango, galt lange als nicht tanzbar, wurden bei diesem
doch die zuvor rhythmischen Muster nun durch Einflüsse aus Jazz, Folklore,
Klassik und Kunstmusik unvorhersehbar. Erst im 21. Jahrhundert trauten sich
passionierte Tänzer, vollständig improvisierte, jedoch führbare Schritte zum
Tango Nuevo auf die Bühne zu bringen.“
Echt?
Na immerhin…
Ich
darf zu den Beispielen noch
festhalten:
Nirgends
in den Texten wird die jeweilige Aussage als Zitat gekennzeichnet. Man darf also getrost annehmen, dass sie stets eigenen Denkprozessen und tänzerischen Erfahrungen geschuldet
ist. Eine Begründung fehlt jedoch durchgehend. Und: Es gibt keine anders lautenden Texte, außer den des Außenseiters Thomas Kröter, welchen Google ebenfalls aufführt, und wo Gegenteiliges
behauptet (und erklärt) wird:
Daher
wissen wir nun endgültig:
Wenn so viele das
Gleiche sagen, kann es kein Irrtum sein! Der gesamte Globus der Tangomusik muss es nicht sein – Globuli reichen.
P.S.
Übrigens haben auch die „Flacherdler“
auf Facebook über 100000 Fans, welche anscheinend fest davon überzeugt sind, dass die Erde
keine Kugel (äh Rotationsellipsoid) ist. Die Bewegung geht auf Samuel Rowbotham
(1816–1884) zurück. Seit 1956 gibt es „Flat
Earth Society“, welche derzeit wieder einen Aufschwung erlebt.
Auf der FB-Seite von Thomas Kröter hat sich nun Theresa Faus wiederum um einige Globuli Moderne bemüht:
AntwortenLöschen„Übrigens lege ich in seltenen Fällen auch Piazzolla nach 1948 auf, z.B. gestern als letzte Tanda. Ein Gast, der dabei viel Spaß hatte, kommentierte: ‚Das letzte Mal, dass ich auf Oblivion getanzt habe, war vor 15 Jahren‘".
Ich finde, schöner kann man das Elend nicht beschreiben...