Wie Männer und Frauen ihre Tanzpartner wählen
Ivica Anteski, dem mazedonischen
„Tangolehrer, internationalen DJ und Eventveranstalter“ (so seine
Selbstbeschreibung) tut man sicher nicht unrecht, wenn man ihn als
knochen-konservativ beschreibt. Schon mehrfach habe ich seine Thesen zum Tango
übersetzt und kommentiert.
Als
ich kürzlich wieder einmal in sein Blog „Tango Mentor“ schaute, fielen mir zwei
Artikel auf, die ein zentrales Tangothema beleuchten und – jedenfalls auf den
ersten Blick – nicht gruselig steinzeitlich wirken. Immerhin scheinen sie
mir die Realität auf den meisten Milongas ganz gut zu beschreiben:
„Wie Männer ihre
Partnerinnen auswählen“
„Wie Frauen ihre
Partner auswählen“
Fangen
wir mit den Männern an:
Es
gehe jedenfalls weit über die Vorstellung hinaus, so Anteski, dass die Herren
vor allem nach Schönheit aufforderten. Wenn dies das einzige Kriterium sei,
wäre der Tango „zu einer traurigen Geschichte von Spielchen und Intrigen
geworden.“ Es gebe „tiefere und wertvollere“ Motive. Im Folgenden zitiert er
vor allem Tango-Kolleg/innen.
Zuerst beobachten
Der
Autor und auch seine männlichen Freunde berichten von ihrer Angewohnheit, auf
Milongas (zumal, wenn sie niemanden kennen) erst einmal sitzen zu bleiben. Man
müsse ja zunächst herauskriegen, wer gut tanze:
„Sie
werden finden, was Sie erfahren möchten, wenn Sie die Tanzfläche beobachten.
Ich schaue, welche Damen oft aufgefordert werden und beobachte, ob sie gute
Tänzerinnen sind. Und man muss darauf achten, ob die Damen die richtige
Einstellung haben“, so der bekannte argentinische Tangolehrer Pibe Avellaneda.
Beliebtheit zählt
„Wenn
Sie niemanden auf der Milonga kennen, kennt Sie höchstwahrscheinlich auch
niemand. So können Sie normalerweise nicht zu wählerisch sein, zumindest zu
Beginn, oder Sie sitzen sonst die ganze Nacht (es sei denn, Sie sind Alain
Delon, was die Qualität Ihres Tanzes unwichtig machen würde)“, so ein
international erfahrener Milonguero aus Litauen. Und man solle natürlich darauf
achten, welche Frauen besonders oft aufgefordert würden.
Haltung wird
geschätzt
„Ich
beobachte normalerweise, wie sie ihre Füße in überfüllten Milongas
kontrollieren, und ihren Umgang mit dem Cabeceo“, so ein italienischer DJ. „Ich
wähle oft Milongueras, die ein echtes Interesse am Tanzen zeigen, statt
hochqualifizierte Tänzerinnen, die zu sehr auf ihren ‚VIP-Status‘ konzentriert
sind.“
Und
Ray Barbosa, der Veranstalter des Chicago Tango Festivals, meint: „Ich
konzentriere mich darauf, wie eine Frau ihre Füße bewegt. Wenn sie diese mit
Eleganz führt und sie beim Gehen streichelt, möchte ich sie gerne auffordern. “
Soziale Intelligenz
Als
Erstes suche er sich auf einer Milonga einen Platz, wo er alles überblicken
könne und auch selber gut gesehen werde, so ein argentinischer Milonguero. Dann
beobachte er, wer eine gute Umarmung und Musikalität aufweise. Und schließlich:
„Das Dritte und Wichtigste: Ich warte auf den richtigen Moment für die
Aufforderung, auf die richtige Musik, auf die richtige Tanda und auf den
idealen Partner, mit dem dieser wunderbare Moment geteilt werden kann!“
Verwende den Cabeceo
Hierzu
zitiert Anteski nochmals Pibe Avellaneda mit einer erstaunlich zurückhaltenden
Formulierung: „Es gibt keine Regel, wie man eine Frau zum Tanzen einlädt. Es
geht um den Cabeceo, es geht um den Blick und andere Bewegungen, einschließlich
der Augen und Lippen. Damen von ihren Sitzen zu ziehen ist das Einzige, was
niemals getan werden sollte. Dies führt dazu, dass sich die Frau verletzt
fühlt, weil sie die Entscheidung nicht selbst treffen kann und stattdessen
Druck akzeptiert. “
Und
nach welchen Kriterien urteilen die Damen?
Im
Vordergrund, so der Autor, stehe es, „schreckliche Tandas“ zu vermeiden. Und
Männer könnten ihr Tanzen an die Vorlieben der Damen anpassen und entsprechend
entwickeln.
Frauen beobachten
Der
wichtigste Job sei für sie, neugierig und aufmerksam die Tanzfläche im Blick zu
behalten. Durch die Beobachtung der Tänzer ergäben sich viele Rückschlüsse. Und
Männer müssten sich bewusst sein, dass die Dame, welche sie per Cabeceo
einlüden, schon einiges über sie wisse.
Haltung ist Eignung
Worauf
Frauen bei einem Tänzer achteten, sei eigentlich mit zwei Worten zu
beschreiben: Haltung und Musikalität. Anteski zitiert eine lettische Tanguera:
„Wenn
ich den Tänzer nicht kenne, versuche ich immer zuerst zu sehen, wie er mit
einer anderen Dame tanzt. Ich beobachte seine Haltung gegenüber der Frau – ist
er auf sich selbst konzentriert, zeigt seine perfekte Technik und verwendet die
Tänzerin nur als Werkzeug oder ist er auf seine Partnerin fokussiert, versucht
zuerst, sie zu fühlen, ihr Vertrauen zu gewinnen und es nur dann zu haben, wenn
sie dazu bereit ist, kompliziertere Dinge zu tanzen.
Ich
betrachte seine Haltung gegenüber anderen Männern und Paaren. Meiner Meinung
nach tanzt der erfahrene Führende nicht alleine, er versteht, wie wichtig
Zusammenarbeit ist. Mit einem solchen Führenden werde ich mich sicher und
entspannt fühlen und ihm mein Bestes geben können.“
Kein Tanz ohne
Musikalität
Auch
hierzu zitiert der Autor eine Tänzerin – diesmal aus Kuba:
„Ich
beobachte, wie Paare tanzen. Zuerst lade ich musikalische Führende ein.
Diejenigen, die das Timing respektieren und damit spielen. Ich wähle auch
diejenigen aus, die eine bequeme Umarmung und Haltung zu haben scheinen, und
schaue, wie sie sich mit der Partnerin verbinden.“
Kompatibilitätsfaktor
Es
gebe noch einen weiteren Faktor, der berücksichtigt werden sollte – die
wechselseitigen Geschmäcker.
„Normalerweise
schaue ich sorgfältig auf seine Umarmung und wie er aussieht, wenn er tanzt.
Neben der Musik zu spielen ist wichtig, wenn er auf die Frau wartet: Warten in
dem Sinne, dass sie Zeit hat, sich auszudrücken. Ich versuche herauszufinden,
ob er die Frau belastet und vor allem, dass er keine Boleos und Ganchos führt,
die ich nicht mag, weil sie meine Vorstellung von Tango nicht widerspiegeln
", so eine italienische Tanguera.
Das Vergnügen
entscheidet
Der
wertvollste Weg, zu erkennen, ob jemand gut tanze, so Anteski, sei die Reaktion
seiner Partner: „‚Das Gesicht der Partner beobachten‘ ist also ein Faktor.
Meine Damen, das ist ein unverkennbares Zeichen eines guten Tänzers. Jungs, ihr
könnt das nicht fälschen – ihr müsst euren Partner genießen und solche
Gesichter machen. Dies ist der beste Weg, um mit jeder Milonga mehr ein
gesuchter Tänzer zu werden.“
Quellen:
Um
mit dem Positiven anzufangen:
Ich
bin ebenfalls der Ansicht, dass beide Geschlechter ihre Blicke viel zu wenig
auf der Tanzfläche haben. Wenn ich eine Milonga besuche, weiß ich nach einer
Viertelstunde, welche Frauen da sind und ob ich sie kenne, ob sie in Begleitung
oder allein sind – und, auch wenn ich sie nicht kenne, wie sie
(vermutlich) tanzen: Anfängerinnen erkennt man nämlich meist bereits im Sitzen
(hochnäsige Schnepfen übrigens auch).
Daher
kann ich nur jedem (und jeder) raten: Zunächst beobachten, dann nachdenken,
erst anschließend auffordern! Ich würde nie eine Frau um einen Tanz bitten,
welche mich ersichtlich überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt. Und wenn das Objekt meines
Interesses gerade tanzt, ermöglicht mir das natürlich viele Rückschlüsse:
Musikalität, da pflichte ich Ivica Anteski bei, ist sicherlich der wichtigste
Aspekt. Für mich aber genauso entscheidend: Eine freundliche, einladende
Attitüde und der unübersehbare Wunsch, Spaß zu haben.
Obwohl
die Texte also durchaus einzelne Wahrheiten enthalten, riecht mir das Ganze
viel zu sehr nach: „Für mich das Beste und für die anderen der Rest!“ Letztlich
beschreiben die meisten genannten Kriterien eine positive Rückkopplung, die
sich für Anfänger/innen als „Teufelskreis“ auswirkt: Je schlechter jemand
tanzt, desto seltener wird er aufgefordert. Das sieht dann der Rest und lässt
es lieber auch bleiben. Und wer kaum zum Tanzen kommt (und wenn, dann mit
ungeübten Partnern), entwickelt sich nicht wirklich weiter.
Welche
Chancen lässt ein solches System also einem Anfänger, sein Tanzen zu
verbessern? Soll er das alles in Kursen und Workshops lernen? Und wenn ja: bei
welchen Tangolehrern? In einem anderen Text schreibt der Autor zudem, die
wesentlichen Fortschritte mache man auf den Milongas. Da pflichte ich ihm bei –
nur: Wie soll das funktionieren, wenn die Guten nur mit den Besten tanzen
wollen?
So
verständlich dieser Wunsch ist: „Sozialer Tänzer“ sollte sich nur der nennen,
welcher öfters auch einer Anfängerin oder einem „Mauerblümchen“ eine Chance
gibt. Das gilt natürlich ebenso für erfahrene Tänzerinnen. Und nicht selten ist das mit schönen, vielleicht ungewöhnlichen
Erfahrungen verbunden.
Zu
Beginn seines Artikels schreibt der Autor, wenn Schönheit das einzige Kriterium
für die Tanzpartner-Wahl sei, wäre der Tango „zu einer traurigen Geschichte von
Spielchen und Intrigen geworden.“
Die im Dunkeln sieht man nicht * www.tangofish.de |
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