Beinhebe-Verbot
„Voleo, auch Boleo (gesprochen WOLEO): Kommt von den Boleadoras. Diese
halfen den Gauchos zum Viehfang. Drei Kugeln, wie ein Stern an einem Lasso
angeordnet, werden geschleudert und wickeln sich um die Beine des Tieres. Diese
drehende Bewegung macht im Tanz das freie Bein, indem der Mann die Ochobewegung
der Frau unterbricht und in Gegenrichtung führt. (Voleo bajo: niedriger Voleo,
voleo alto: hoher Voleo)“
Im
Internet kursiert derzeit ein nettes Video. Als erstes erhalten wir,
tangotypisch traditionell, ein rot gerahmtes Verbotsschild gezeigt: „Prohibidos
los boleos altos en pista llena“ – auf voller Piste seien also hohe
Boleos verboten.
Statt
eines „Stückchen Himmels“, welches
uns der Hintergrund-Walzer „Pedacito de
cielo“ verheißt, erblicken wir eine wahrhaft abschreckende Szene: Auf einer kleinen Tanzfläche bewegen sich drei
Paare. Bereits am Outfit erkennt
man: links und rechts die beiden Guten,
in der Mitte der pomadisierte Bösewicht
mit seiner Schnecke im dunkel glitzernden Minikleid.
Selbige
tritt fortwährend ponyartig und ohne Musikbezug nach vorne und hinten aus.
Dabei kriegt erst die Dame rechts einen Vorwärtstritt,
sodann die linke einen Kick auf den Hintern ab. Nun reicht es aber:
Bedrohlich nähern sich die Belästigten und keilen die Bösewichter ein, die es
nun mit der Angst zu tun bekommen. Mit Fug und Recht:
Nein, keine Angst, ich weiß natürlich: Das ist Satire. Und wer davon so viel
produziert wie ich, darf sich (wie mir erst jüngst wieder ein Leser schrieb), „über
entsprechende Antworten nicht wundern“. Kein Problem also!
Es
ist nur so: Wenn Konservative Satire
produzieren, gelingt sie (wohl wegen mangelnder Übung) oft nicht so richtig: In dem
Fall ist sogar die gezeigte kleine Tanzfläche mit drei Paaren keineswegs „voll“.
Das Problem ist vielmehr, dass die sich keinen Millimeter in Tanzrichtung bewegen, sondern an einer
Stelle drängen. Daher kann man nur „Der
Depp vor mir geht nicht weg“-Schritte tanzen. Das Schlimme sind also nicht
die Boleos, sondern die ungünstige Verteilung der Paare auf dem
Parkett!
Dass
man sich auch bei minimaler Schrittlänge
einigermaßen flüssig und (selbst in viereckigen Wohnzimmern) im Kreis bewegen kann, habe ich schon mit
unserer „Blumenuntersetzer-Ronda“ demonstriert – kann doch nicht so schwer
sein:
Ich
fürchte daher, die Anti-Boleo-Satire
geht – im Doppelsinn – nach hinten los.
Als
ich neulich mit einer Tangofreundin aus
alten Zeiten tanzte und eine solche Beinbewegung führte (übrigens auf einem
vergleichbar kleinen Parkett), raffte sie es beim ersten Mal nicht gleich. Ihr Kommentar gab mir zu denken: „Sorry, bin ich nicht mehr gewohnt, einen
Line-Boleo führt kaum noch einer.“
Klar
erfordert eine solche Aktion vom Führenden viel Routine und Augenmaß: In
der Bewegungslinie des Tanguera-Füßchens sollte niemand stehen, den man mag (heute
ein schwindendes Problem…). Zudem haben Tänzerinnen, welche erst seit einigen
Jahren tanzen, eine solche Option gar nicht mehr auf dem Schirm - zwecklos, sie
überhaupt anzudeuten.
Ich
habe trotzdem einmal nachgerechnet: Bei 3000 Milongabesuchen mit geschätzt je 8
Tandas, also über 80000 Tänzen, habe ich sicherlich 50000 Boleos geführt. Kein einziger traf Mensch, Hund oder Katze
(nach meiner Erinnerung wenige Male ein Stuhl- oder Tischbein).
Warum
also macht man so ein Gewese um
raumgreifende Beinaktionen? Ein Anfänger kann ebenso viel Schaden anrichten,
wenn ihm ein Depp von Tangolehrer die berüchtigte „Achter-Basse“ beigebracht hat und er auf der Eins rückwärts in
ein anderes Paar rumpelt. Oder wenn Tanzende vor lauter „Ronda-Spurtreue“ den Platz nicht gleichmäßig ausnutzen, sondern
sich auf einem Teil des Parketts drängen.
Aber
vielleicht sollten wir auch wieder mal ein Satire-Video drehen. Ich hätte schon
einen Arbeitstitel: „Arrogancia
prohibida“. Der Böse wäre bei
mir ein Schlaghosen-Heini mit weißen Tanzschläppchen, der sehnsüchtige Blicke
von Anfängerinnen konsequent ignoriert, ebenso vice versa seine mitgebrachte
Schnecke (deren Kleidung könnte so bleiben). Die Stricke
fänden bei mir eine andere Verwendung: Ihn würde ich in engster Umarmung an
eine hässliche Dicke fesseln lassen, mit welcher er mehrere Tandas durchzustehen hätte
– und sie an ein Wasserrohr, von dem man sie erst befreit, wenn sie das ganze
Klo geputzt hat. Als Musik stelle ich mir – thematisch passend, einen Piazzolla-Titel vor: „Tres
minutos con la realidad“ – „drei Minuten
mit der Wirklichkeit“. Es dürften auch ein paar mehr sein…
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