#Tango4All
Männer und
Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung
der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung
bestehender Nachteile hin. (Grundgesetz Art. 3.2)
Manchmal geben die Themen einander die Hand: Erst gestern habe ich hier
den Beitrag einer Tänzerin veröffentlicht, die zwar auch das Führen beherrscht,
sich im Tango aber dennoch (oder vielleicht gerade deshalb?) nicht eben
besonders willkommen fühlt.
Heute stieß ich auf den Facebook-Post von Viacheslav Ivanov, der ein Vorkommnis kommentiert, bei dem mir die
Luft wegblieb. Hier meine Übersetzung des Textes:
Im
russischen St. Petersburg hat der Veranstalter eines lokalen Festivals während
einer Tanda ein Paar von der Tanzfläche verwiesen. Der Grund: Es waren zwei
Frauen, und das war ihm aus seiner Sicht nicht “traditionell” genug. Es war
eine öffentliche, keine geschlossene Veranstaltung.
Wie ihr
wisst, gibt es nach meiner Meinung zu viel “Trennung” im Tango. Und das ist
ganz allgemein nicht gut für den Tango:
“Ich will
nicht mit ihr/ihm tanzen, weil...
• sie führt
• sie/er flache Schuhe / Jeans / ein
T-Shirt trägt
• sie/er zu einer anderen Schule gehört"
usw.
Übrigens ist
der Grund, eine Frau nicht aufzufordern, weil sie führt, weiter verbreitet als
manche glauben. Man findet ihn ebenso in Ost- wie Westeuropa. Und ich habe noch
nie gehört, dass manche Tangueras sagen: “Ich will nicht mit ihm tanzen, weil
er auch das Folgen beherrscht.”
Und aus
meiner Sicht ist es zwar nicht normal, aber leider durchaus üblich, dass Leute
aus einer Schule nicht zu Milongas oder Workshops gehen, die von einer anderen
organisiert werden - man folgt einer Fahne, nicht dem Tango.
All das ist
sehr traurig...
(...)
Für mich
geht es im Tango um “geben”, nicht aber um “verbieten” oder “spalten” - und ich
würde hinzufügen: nicht um “verurteilen” - weder andere noch sich selber.
Natürlich,
wenn jemand eine geschlossene Veranstaltung durchführen will - warum nicht, das
ist ihm oder ihr überlassen. Aber grundsätzlich sollte eine Milonga ein Platz
für alle sein.
Persönlich
tanze ich auf Milongas nicht als Folgender. (...) Dennoch würde ich lieber
nicht auf eine Milonga mit “Regeln” gehen.
Na gut,
anfangs war die Idee dieses Posts, führende Frauen zu unterstützen. Aber jetzt
ist es offiziell: Falls eine von ihnen mich als Folgender auffordern möchte,
ist sie willkommen!
Ich habe
einmal gelesen, dass Menschen sehr leicht mentale Blockaden aufbauen können,
welche ihnen selber etwas verbieten... und dann beginnen, auch von ihren
Mitmenschen die Befolgung dieser Verbote zu verlangen. Trennung, Grenzen,
Regeln - das alles tötet die Freiheit.
Und um auf
die Frauen zurückzukommen, die gerne führen: Ich bin mir nicht sicher, ob
Hashtags auf Facebook funktionieren, aber ich gedenke so eine Art von Flashmob
zu organisieren, in dem ich einige Fotos und Videos mit dem Hashtag #Tango4All
poste. Bitte zögert nicht mitzumachen!
Hier der Originaltext:
Der Artikel hat auf Facebook, insbesondere auf der Seite des
Verfassers, für Furore gesorgt - und die Ablehnung
eines solchen Ausschlusses vom Parkett ist umfassend, teilweise mit starken
Worten. Ich füge jedoch sicherheitshalber hinzu: Ob und wie sich der Vorfall
abgespielt hat, weiß ich nicht. Jedenfalls wird er bislang von keinem einzigen
Kommentator bezweifelt oder in Abrede gestellt.
Gelegentlich wird auf die stark homophobe
Tendenz in Russland verwiesen. Doch das sollte uns hierzulande nicht in
Sicherheit wiegen. Wie der Autor zu Recht erwähnt, ist die männliche Neigung, führende Frauen nicht aufzufordern,
durchaus europaweit verbreitet. Was sich da in manchen männlichen Dumpfhirnen
an kruden Lesben-Fantasien zusammenbraut, möchte ich im Einzelnen gar nicht
wissen.
Mir reicht die Erkenntnis: Das, was eine Menge Konservativer an
teilweise “erfundenen Traditionen” in den Tango reimportiert hat, trägt oft äußerst unappetitliche sexistische
Züge. Die reichen von Aufforderungsregeln, welche Frauen eindeutig
benachteiligen, über die Idee des Führens als männliche Verfügungsgewalt bis zu
dringenden Erwartungshaltungen, was Kleidung und Schuhmode betrifft. Da Männer
im Tango “Mangelware” sind, meinen viele, die Tänzerinnen auf ein Rollenbild aus der Mitte des 20.
Jahrhunderts zurückwerfen zu können: passiv, schön und unterwürfig.
Was man offenbar in St. Petersburg unternahm, ist lediglich die logische Konsequenz: selbstständige,
ungebärdige Weiber von der Tanzfläche zu werfen. Und ja, man sollte – wenn
bekannt – Namen nennen und solche
Veranstalter meiden. Sie sind eine Schande für unseren Tanz, der einst von
Unterprivilegierten geschaffen wurde. Tango ist für alle - außer für diese.
Und nein – bei öffentlichen Veranstaltungen kann der Organisator
(zumindest in Deutschland) nicht beliebige Reglements verordnen. Ich wäre
jedenfalls gespannt, wie da ein Gerichtsverfahren angesichts des Verfassungsrangs der Gleichberechtigung ausginge.
Daher muss man wohl noch oft den Artikel
3 unseres Grundgesetzes zitieren, um daran zu erinnern: Tango dieser
Machart wird in einer offenen, aufgeklärten Gesellschaft immer mehr zum
Fremdkörper.
P.S. Meine Facebook-Recherche hat nun ergeben: Urheber scheint das
Tangostudio "El abrazo" in St. Petersburg zu sein. Auf dessen
FB-Seite fand ich folgenden bemerkenswerten Text (in Google-Übersetzung, ich
kann kein Russisch):
„Das Studio
El Abrazo, das in diesem Jahr sein 16-jähriges Bestehen feiert, stellt sich der
kreativen und künstlerischen Aufgabe, den argentinischen Tango als eine
Tanzkultur zu entwickeln, in der es männliche und weibliche Individualitäten
gibt. Treffen Sie sich harmonisch und gehen Sie zusammen, um Inspiration aus
gegenseitiger Kreativität zu ziehen. Für das Studio El Abrazo ist es wichtig,
dass der argentinische Tango in einer Ära der Unisex- und universellen
Gleichheit es Ihnen ermöglicht, dieses uralte Bedürfnis zu genießen - ein Mann
zu sein und eine Frau zu sein. Alle vom El Abrazo Studio organisierten oder
gemeinsam organisierten Milongas (sowohl kleine als auch große, Clubs und
Städte) warten auf ihrer Tanzfläche auf Paare, in denen der Mann führt und die
Frau folgt. Und sonst nichts! Dies ist das Format unserer Milongas in
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“
Offenbar
wurde das betreffende Festival von mehreren Gruppen ausgerichtet – besagtes
Studio nimmt jedoch für sich in Anspruch, diese „Spielregel“ zu bestimmen.
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