Hier irrt Lüders
Ich
schicke voraus, dass ich die Arbeit des Münchner Englisch- und Sportlehrers Jochen Lüders sehr schätze. Nicht nur
betreibt er ein (sogar mal preisgekröntes) Blog
mit vielen für Gymnasiallehrer sehr nützlichen Texten und auch Anmerkungen zum Tango.
Weiterhin veröffentlicht er (im Gegensatz zu 99 Prozent seiner Kollegen) sogar
gelegentlich Playlisten. Und er hat es als DJ
geschafft, in München regelmäßige Neotango-Veranstaltungen
zu etablieren. Wer die Münchner Szene kennt, kann solche Leistungen nicht
heftig genug würdigen.
Allerdings
bitte ich schon vorab um Verständnis dafür, dass ich bei der Kombination „Sportlehrer und Musik“ unter heftigen posttraumatischen Belastungsstörungen
leide. Zum letzten Mal durchlitt ich diesen Zweiklang, als wir Studienreferendare
dereinst beim „Wanderführer-Lehrgang“ in einer versifften Jugendherberge von
zwei Sportpädagogen dazu gezwungen wurden, Volkstänze und
Ringelrangelreihen-Partygehüpfe zu erlernen. Damals etablierte sich bei mir der
Eindruck: Mehr als im Rhythmus pfeifen können die nicht.
Um
nicht von solchen Vorurteilen
getrieben zu werden, habe ich es bislang unterlassen, Beiträge von Jochen Lüders in einem eigenen Text zu
besprechen. Nun jedoch hat er sich auf ein Terrain gewagt, von dem er wissen
muss, dass er es dann mit mir zu tun bekommt: In seinem neuesten Artikel
beschäftigt er sich mit der „(Un)Tanzbarkeit
von Piazzolla“.
Natürlich
müssen zum Beleg der Problematik des
korrekten Tanzens im Takt Stücke wie „Escualo“
oder gar „Four for Tango“ herhalten. Alle,
die „musikalisch noch bei Trost sind“,
müssten doch erkennen, dass sie Solches „einfach
nicht halbwegs akzeptabel ‚vertanzen‘ können“. Na gut – jeder sucht sich
die Beispiele, welche seine Thesen untermauern. Ich gestehe, „Escualo“ schon ein paarmal zum Tanzen
angeboten zu haben, ohne dass dabei ein Blitz vom Himmel fuhr. Und wer sich die
Mühe macht, die Playlisten auf
meinem Blog gründlich durchzusehen, findet Dutzende
von Piazzolla-Kompositionen – und ich bekenne, manchmal gehofft zu haben,
ich hätte zum Umsetzung viel Platz auf dem Parkett. Leider meist nicht, fast
alle wollten probieren, was man aus dieser Musik tänzerisch machen kann…
Aber
klar: Auch ich lege nicht jedes Stück
auf, nur weil es von Piazzolla ist,
sondern nur dann, wenn ich meine, es sei tänzerisch interessant und anregend.
Das unterscheidet ja Pragmatismus von Ideologie.
In
weiten Teilen beschäftigt sich der Autor mit einem Text von Thomas Kröter, den ich ebenfalls
verlinkt hatte: http://kroestango.de/aktuelles/zu-piazzolla-tanzen-warum-nicht/
„In einer herrlich
euphemistischen Formulierung meint Kroeter denn auch, dass man zu ‚komplizierter‘
Musik nicht unbedingt kompliziert tanzen müsse. (…) Wenn Kroeter schreibt: ‚Wenn
wir dann den sprichwörtlichen ‚Flow’ finden – der pure Traum, mag auch die
persönliche Choreografie zunächst noch unterkomplex sein‘, dann werden ihm da
nur wenige Leute folgen können, weil sie es einfach nur mühsam finden, diese
Musik in Bewegung umzusetzen, weil sie das (richtige) Gefühl haben, dass sie
nur rummurksen und genau das Gegenteil von ‚Flow‘ empfinden.“
In
der Summe meint Lüders also, viele würden sich vielleicht einbilden, auf
solche Musik tanzen zu können – es entspräche aber halt nicht den Tatsachen: „Dann gibt es einfach gar keine Kriterien
mehr, anything goes und man tanzt
so, wie man die Musik subjektiv halt gerade empfindet.“
Abgesehen
davon, dass dies schon sehr nach der Sportlehrer-Bewertung eines korrekten
Felgaufschwungs klingt: Mein lieber Jochen, ich habe aus deiner Feder schon
despektierliche Äußerungen zum reduzierten
Getrappel auf Encuentros gelesen.
Setzen diese Leute die weiß Gott „tanzbare“ Museumsmusik dort eigentlich „korrekt“ um? Was sagt dir dein doch
wahrlich geschärfter Blick auf die Tanzflächen Münchner Tradi-Milongas? Ist die
Musik dort kompliziert oder gar „untanzbar“, nur weil es viele nicht
hinbekommen, sie halbwegs adäquat umzusetzen? Wollen wir wirklich Musik danach beurteilen, ob sie eine Mehrheit nach Expertenmeinung „richtig" interpretiert?
Im
Endeffekt lehnt Lüders es ab, sich
Piazzollas Musik zu „erARBEITen“, da
er sich beim Tanzen nicht anstrengen,
sondern Spaß haben wolle. Nun gut,
ich kenne Sportler, denen es Spaß macht, sich anzustrengen, aber sei's drum. In dem Zusammenhang
bekomme jedenfalls ich mein Fett ab:
„Ich habe den
Verdacht, dass das Bekenntnis zu Piazzolla mitunter lediglich als
Alleinstellungs- bzw. Distinktionsmerkmal dient, um sich vom musikalisch
ungebildeten und anspruchslosen Tango-Plebs abzuheben. Da werden dann schon mal
alle diejenigen, die trotz aller Bekehrungsversuche einfach nicht zu Piazzollas
Knarzen, Kratzen und Quietschen tanzen möchten, mit bescheuerten ‚Flacherdlern‘
verglichen bzw. gleichgesetzt. Aber auch solche Diffamierungen werden nichts
daran ändern, dass auch in Zukunft die meisten Tänzer auf die Frage ‚Zu
Piazzolla tanzen?‘ antworten werden: ‚Nein danke – warum?‘“
Hier irrt Lüders:
Ich würde mich riesig freuen, wenn dieses „Alleinstellungsmerkmal" keines mehr wäre. Niemals
jedoch habe ich Menschen deswegen verurteilt, weil sie Piazzollas Musik nicht mögen
oder jedenfalls nicht dazu tanzen wollen. Der persönliche Geschmack, die individuelle
Neigung ist mir heilig. Darum geht es mit keinem Wort. Aber:
Die
Behauptung, Tango nuevo sei untanzbar, bedeutet den Rückzug von der
Bereitschaft, Tatsachen zu akzeptieren. Es gibt im Internet tausende von
Videos, auf denen Menschen zu solchen Tangos tanzen. Und eine solche Haltung
darf man durchaus mit der von Zeitgenossen vergleichen, welche trotz ebenso
vieler NASA-Bilder von unserer blauen Wunderkugel unbeirrt dazu stehen, die Erde
sei eine Scheibe. Eine „Diffamierung“ sehe ich darin überhaupt nicht –
nicht mal Satire. Es ist schlicht die Wahrheit!
Die
Sache ist doch die: Würde man anerkennen, dass man zu vielen Kompositionen
Piazzollas durchaus tanzen könnte, wenn man es denn wollte (und sich mit den
höheren Ansprüchen befasste), würde der Druck
auf Tangolehrer, Veranstalter und DJs wachsen, solche Musik auch
einzubeziehen. Das Problem wäre aber dann, dass man den Tango nicht mehr als
Tanz verhökern könnte, den jeder Depp mit ein paar Vor- oder Rückwärtsschrittchen
hinkriegt. Diesen Umsatzrückgang
fürchten Tango-Funktionäre wie der Teufel das Weihwasser. Wie in meinem Artikel dargetan, werden dann papageienartig dieselben Sätzlein nachgebetet.
Andererseits,
so stelle ich derzeit immer wieder mit Schmunzeln fest, möchte man denn doch
nicht so „uncool“ erscheinen, diese Musik hundertprozentig zu verbannen. Nicht nur Theresa Faus legte nach eigenem Bekenntnis bei ihrer letzten
Milonga in München eine Schlusstanda mit
Piazzolla-Titeln auf, auch Jochen Lüders kündigt in der FB-Gruppe „Tango
München“ nun Gleiches an. Und nachdem er bislang schrieb „kein Piazzolla & Co“,
heißt es inzwischen „wenig Piazzolla & Co“.
Tja,
liebe Leute, ich fürchte nur, das wird nicht reichen. Lasst euch von einem
ehemaligen Biologielehrer sagen: Ein bisschen
schwanger gibt es nicht!
Heute erreichte mich ein Kommentar von Helmuth Schaller:
AntwortenLöschenLieber Gerhard,
Deine "posttraumatischen Belastungsstörungen" könnten darin begründet sein, dass Du die Volkstänze mit dem "Ringelrangelreihen-Partygehüpfe" nicht verstanden hast. Ich meine, über so manches Gehüpfe würden Tango-Tänzer bestenfalls d'rüberstolpern.
Beispiel: https://www.bing.com/videos/search?q=volkstanz+zwiefacher&view=detail&mid=7A1E27AF7AED29C547E67A1E27AF7AED29C547E6&FORM=VIRE
VIEL ZU KOMPLIZIERT FÜR TANGOTÄNZER!
Diese Diskussion über das (Un)Tanzbare ist doch sinnlos! Alles ist letztlich tanzbar - selbst wenn gar keine Musik gespielt wird. Was soll all dieses Geschreibsel über "der oder die irrt - ich habe Recht"?
Aber bitte: jeder, wie er mag.....
Weiterhin viel Spaß beim Leute ausrichten wünscht,
Helmuth
Lieber Helmuth,
Löschenso ganz verstanden hast meinen Artikel, wie ich fürchte, nicht:
Die beiden Sportlehrer haben uns damals genötigt, Volkstänze und (!) Partytänze (so im Stil von „Jiffy Mixer“) zu erlernen. Da meine Frau früher eine Zeitlang zum Volkstanz ging, werde ich die Schwierigkeit dieses Metiers sicher nicht unterschätzen.
Entscheidend war aber: Die beiden „DJs“ haben uns das aufgenötigt, obwohl wir lieber Standardtänze geübt hätten. Da sehe ich durchaus Tango-Parallelen.
Und ja: Behauptungen über „Untanzbarkeit“ sind sinnlos, da man sich letztlich zu jeder Musik bewegen kann. Der Rest ist Geschmackssache. Das war in etwa der Kern meines Textes.
Was du unter „ausrichten“ verstehst, erschließt sich mir nicht: Jochen Lüders hat mich in seinem Artikel öffentlich angegriffen. Dagegen habe ich mich verteidigt. Man kann natürlich meinen, solche Attacken solle man stillschweigend hinnehmen. Persönlich habe ich da halt andere Erfahrungen.
Beste Grüße
Gerhard
Ein Kommentar von Helmuth Schaller:
AntwortenLöschenLieber Gerhard,
doch, doch – ich habe alles bestens verstanden. Und die Volkstänze hattest Du eben auch erwähnt. Schön, dass Du das offensichtlich doch anders siehst, als ursprünglich geschrieben. Und wenn mir eine Veranstaltung nicht gefällt, verlasse ich sie. Nötigung kann ich da keine erkennen. Dass so etwas bei Dir ein Trauma hinterlässt, ist bedauerlich.
Auch finde ich keine persönlichen "Attacken" gegen Dich im Artikel von Herrn Lüders. Lediglich ein Link zu einem Artikel von Dir ist zu finden. Wenn Du das als "Attacke" siehst, dürften Deine Nerven ziemlich blank liegen.
Sachliche Beiträge wären mir lieber statt permanente persönlichen Angriffe oder Quizfragen. Ich kenne viele Tänzer, die nicht einmal wissen, wie man Piazzolla schreibt – zu seiner Musik aber hervorragend tanzen können. Was mich beispielsweise interessieren würde: für welche Tänzer hat Piazziolla geschrieben? Für wen schrieb er z.B. "Four for Tango"? Dieses Hintergrundwissen zu erfahren, wäre mir lieber, als diese persönlichen Scharmützel zu lesen oder Lexikonwissen abgefragt zu bekommen ... Fehlen nur noch Schulnoten und Zeugnisse.
Beste Grüße,
Helmuth
Lieber Helmuth,
Löschenmein Text enthält keinerlei Herabwürdigung des Volkstanzes – allerdings mochte und mag ich ihn nicht tanzen, das ist alles. Viel hätte ich damals dafür gegeben, den „Wanderführer-Lehrgang“ verlassen zu dürfen – ging aber nicht, da er eine dienstliche Fortbildung war. Jetzt verstanden?
Na ja, Herr Lüders verlinkte meinen Artikel mit den Worten: „Da werden dann schon mal alle diejenigen, die trotz aller Bekehrungsversuche einfach nicht zu Piazzollas Knarzen, Kratzen und Quietschen tanzen möchten, mit bescheuerten ‚Flacherdlern‘ verglichen bzw. gleichgesetzt. Aber auch solche Diffamierungen werden nichts daran ändern…“ Wer das nicht als Attacke sieht, ist ultimativ friedfertig. Aber meinen Nerven schadet das nicht, da ich weiß, dass Kontroversen Leser anziehen.
Insgesamt entscheide ich durch Zuhören, ob mich ein Stück zum Tanzen animiert, und nicht durch Studium der Biografie des Komponisten. Was Astor Piazzolla betrifft, gibt es in meinem Blog ausreichend Gelegenheit, sich selber zu informieren. Einfach mal den Namen in die Suchfunktion eingeben!
Was die von Herrn Lüders zur Abschreckung gewählte Komposition betrifft, hat Thomas Kröter geschrieben:
„Astor Piazzolla hat dies Stück 1987 für das KRONOS QUARTETT geschrieben - gleich nachdem er das experimentierfreudige, moderner aufgeschlossene Ensemble zum ersten Mal gehört hatte. (…) Im gemeinsamen Album mit den 4 Musikern 'five tango sensations' ist es nicht enthalten. Sie nahmen es in 'Winter was hard' auf, eine Sammlung von Kompositionen zeitgenössischer Komponisten. Dies ist nun wirklich Hardcore Konzertsaal-Musik. Da zuckt‘s selbst mir nicht in den Beinen.“ Mir auch nicht…
Ansonsten finde ich Leser-Anregungen stets interessant, allerdings oft ohne ihnen nachzukommen. Die Mischung aus Information, Satire und persönlichen Erfahrungen hat zu einem Erfolg meines Blogs geführt, den ich nie erwartet hätte. Darum werde ich die auch nicht ändern. Aber zum Glück gibt es viele Tangoseiten im Netz, die andere Ansprüche befriedigen.
Beste Grüße
Gerhard
Die Antwort von Helmuth Schaller:
AntwortenLöschenLieber Gerhard,
die Bemerkung "Jetzt verstanden?" empfinde ICH als Beleidigung. Ich kann schließlich nicht riechen, welche verpflichtend vorgeschriebenen Fortbildungskurse bei Dir traumatische Schäden hinterlassen. Bisschen überempfindlich bist schon, oder? Und gutes Benehmen hast Du schon gar nicht!
Und wer schreibt: "....als wir Studienreferendare dereinst beim „Wanderführer-Lehrgang“ in einer versifften Jugendherberge von zwei Sportpädagogen dazu gezwungen wurden, Volkstänze und Ringelrangelreihen-Partygehüpfe zu erlernen.", wirft nun einmal Volkstänze und Ringelrangelreihen-Partygehüpfe in einen Topf. Das ist unmissverständlich.
"Na ja, Herr Lüders verlinkte meinen Artikel mit den Worten: „Da werden dann schon mal alle diejenigen, die trotz aller Bekehrungsversuche einfach nicht zu Piazzollas Knarzen, Kratzen und Quietschen tanzen möchten, mit bescheuerten ‚Flacherdlern‘ verglichen bzw. gleichgesetzt. Aber auch solche Diffamierungen werden nichts daran ändern…“ Wer das nicht als Attacke sieht, ist ultimativ friedfertig."
Offensichtlich bin ich ultimativ friedfertig, denn ich sehe hier keine Attacke. Da empfinde ich die Anmerkung über die "Flacherdler" in Deinem Artikel schon eher als solche. Da darf man sich über entsprechende Antworten nicht wundern (und vermutlich war diese Provokation von Dir ganz genau so gewollt).
Aber nachdem es Dir ohnehin nur um die Besucherstatistik geht, dürfte der Inhalt wohl Nebensache sein.
Schade.
Beste Grüße,
Helmuth
Lieber Helmuth Schaller,
Löschenna gut, da scheint der Begriff „Studienreferendare“ nicht klar gewesen zu sein. Zur Information: Das Referendariat ist die zweijährige Ausbildungszeit bis zum 2. Staatsexamen. Wenn die Auszubildenden da zu etwas „gezwungen“ werden, dann ist dies beamtenrechtlich schon eine sehr klare Aussage.
Ansonsten ist der Vorwurf, mir gehe es „nur“ um Leser, schon zigmal erhoben worden. Fakt ist: Ich habe von vornherein so geschrieben, wie es mir gefiel und Freude machte. Wäre es mir nur um Zugriffe gegangen, hätte ich eine Seite zu Lob und Preis des „traditionellen“ Tango nebst Código-Exegese plus Tanda-Vorschlägen aus der EdO gegründet. Man wird mir aber gestatten müssen, mich darüber zu freuen, wenn die Leserzahlen trotzdem kontinuierlich steigen und manchen mein Blog sogar gefällt. Auch daher werde ich meine Linie nicht ändern.
Weiterhin habe ich die Erfahrung gemacht, dass es unbedingt nötig ist, Diskussionen zu beenden, wenn sie ins allzu Persönliche abgleiten. Debatten um die „Tanzbarkeit“ von Tangoaufnahmen können wir gerne weiter führen – nicht aber Argumentationen, wer nun wen wie beleidigt hat. Kommentare in dieser Richtung werde ich daher nicht mehr veröffentlichen.
Beste Grüße
Gerhard Riedl