Jahresend-Résumé einer Rollentauscherin


Schon einige Male habe ich Gastbeiträge meiner „Berliner Hauptstadt-Korrespondentin“ veröffentlicht. Ihr Text „Allein unter Weibern“ rangiert auf Platz 5 der meistgelesenen Artikel dieses Blogs:

Seit einiger Zeit habe ich nichts mehr von „Quotenfrau“ gehört – den Grund erklärt sie nachfolgend.

Ihr Jahresrückblick hat mich gleichzeitig nachdenklich gemacht und amüsiert: Immer noch scheinen sich Frauen im Tango sehr schwer zu tun, wenn nicht bereit sind, dem Prinzessinnen-Klischee zu entsprechen und klaglos jede männliche Zumutung zu ertragen. Andererseits entwickelt die Autorin einen derart gepflegten Galgenhumor, dass ich aus dem Schmunzeln nicht herauskomme.

Alsdann, Bühne frei:  

Jahresend-Résumé einer Rollentauscherin

Im September 2017 habe ich zusätzlich das wahrlich mühsame Führungsgeschäft begonnen und hier schon mehrfach dazu berichtet.

Diesen Sommer gab es eine Zäsur, weil ich mal wieder umgezogen bin und mich notgedrungen hauptamtlich mit Dübeln, Spachteln, Kisten und deren Befüllung beschäftigt habe. In einem Lager lauerten noch diverse Möbel und weitere Kisten, die ich drei Jahre zuvor eingelagert hatte beim Herzug nach Berlin, und schon gar nicht mehr wusste, was alles darin schlummerte. Toll, was man drei Jahre lang alles nicht vermisst hat! Ich fürchte, summa summarum waren es 90 Kisten... Nein, ich habe keine sechsköpfige Familie, alles meins... Ein Großteil ist unbesehen im neuen Keller gelandet, und so will ich mich den tristen Winter über mit dessen Leerung sinnvoll beschäftigen.

Foto: Quotenfrau
Die letzten Monate seit dem Umzug bin ich immer mal wieder alleine zu Practicas und Tanzstunden losgezogen, und jedes Mal war niemand für mich übrig, und ich durfte mich wieder trollen. Weiter ist mein Rollentauschkurs eingestellt worden und auch sonst kein fester Tanzpartner für jegliche Rolle in Sicht. Die Suche in diversen Tanzbörsen war auch erfolglos, zumal die einzige kostenlose überregionale dem Datenschutz zum Opfer fiel. Den letzten festen Tanzpartner hatte ich vor 1,5 Jahren. Da es im neuen Heim immer behaglicher wurde und vor der Tür immer unbehaglicher, ist die Motivation zusätzlich geschwunden, zum Tanz auszurücken.

Daher überlegte ich, was mir in der Jugend – damals, vorm Krieg – immer Freude gemacht hatte, und so habe ich das Musizieren wieder aufgenommen. Kurz entschlossen habe ich eine versierte Lehrkraft gefunden, viel geübt und werde ab Januar in einem großen und einem kleinen Ensemble mitspielen. Beide Gruppen können meine Verstärkung wirklich brauchen, es wird Auftritte, kleine Reisen und auch Wettbewerbe geben, und ich habe im Gegensatz zum Tangozoo nicht das Gefühl, eigentlich überflüssig und austauschbar zu sein.

Am vergangenen Freitag besuchte ich wieder vergebens eine Practica, wo kein Tanzsportgerät für mich frei war, in keiner Rolle. In der anschließenden Milonga tummelten sich ein paar Anfänger- und Mittelstufenherren, die ich kannte, da war für etwas Auslauf beim Folgen und Gespräche gesorgt, wenn auch für kein Ausreizen meiner teuer erworbenen Folgekunst. Vier Damen wollte ich führen, die lieber miteinander ratschen wollten, oder erst wenige Stündchen absolviert hatten und sich nicht trauten, so jedenfalls die Aussagen mir gegenüber.

Kurz vor Feierabend fragte ich eine fünfte, und die sagte endlich bereitwillig zu und stellte sogar selber Führungskünste in Aussicht. Halleluja! Den ersten Tanz führte ich und dann tauschten wir, und sie führte. Und wie! Das Bisschen, was ich vorher zusammengeführt hatte, war mir direkt peinlich. Das Mädel war keine 30 und sah aus wie ein Engel mit honigblondem Haupthaar im schwarzen Samthosenanzug. Ich frug, wie lang sie denn schon führe? Och.... also wohl schon sehr lange. Warum sie den ganzen Abend noch nicht geführt habe? Sie habe da auch schon schlechte Erfahrungen gemacht – so wie ich – wenn sie außerhalb von Queer-Veranstaltungen Damen auffordere. Was für eine Verschwendung! Sie war definitiv die beste Führungskraft vor Ort und hat mir den ganzen Abend gerettet.

Nun habe ich mich am vergangenen Sonntag auch noch zu einem Adventstanz einer alternativen Tangoschule aufgerafft, ohne große Erwartungen. Doch halt – ich hoffte auf Plätzchen, da mein erster Versuch nach Jahren gründlich danebengegangen war, und die gab es dann auch.

In der Practica war wieder einmal niemand für mich übrig, was meine Laune nicht gerade beförderte. Auf der anschließenden Milonga kam als erster Herr des Abends jedoch ein alternativer großer Fremder auf mich zugesteuert, der in kreativster Manier mit mir herumwirbelte, wie ich es schon lange nicht mehr getan hatte. Erstaunlich, was an eingeschlafenem Können binnen Sekunden alles reaktivierbar ist, wenn man es spontan braucht! Beziehungsweise, wenn es einen reizt. Gleiche Größe, unaffektierter, freundlicher Tanzpartner, offene Tanzhaltung, somit Platz für lustiges Beingehakel, echte Improvisation, rasante Bewegung, alle (Fahr)Spuren unfallfrei nutzend – in dem Laden beherrschen die das – und alles zu modernen Klängen jenseits der Steinzeit. Und dann meinte er noch, wenn etwas anderes passiere als geplant, finde er das nicht schlimm, sondern interessant. Fast hätte ich ihm stante pede einen Heiratsantrag gemacht!

Er versicherte sich einer späteren Fortsetzung und entschwebte ins Milongadunkel. Der Laune ging es hernach prächtig. Zwei Damen mit geringen Kenntnissen schob ich ein wenig durch die Gegend, und mir machten ein paar Anfänger ihrerseits noch ihre Aufwartung. Merke: Der Anfänger von heute ist der Profi von morgen.

Dann blinzelte ein schwarzgewandeter Fremder herüber, der sich als urlaubender Düsseldorfer herausstellte. Dieser übertraf sogar noch den kreativen Ersttäter. So viel Glück an einem Abend war ja kaum zu fassen! Ich versuchte. mich an alles zu erinnern, was ich in teuren Privatstunden jemals gelernt hatte, und trotz Beschleunigungskräften in unerwartetste Richtungen die Achse zu wahren, es hat wohl zu seiner Zufriedenheit funktioniert. Es murmelte dann etwas von „Augen zumachen?", aber da bat ich um Verständnis wegen des „visuellen Horizonts" für mein Gleichgewicht.

Als gegen Mitternacht die letzte Tanda ausgerufen wurde, kam er extra noch einmal zu mir herüber und fragte, ob ich ihm die letzte Tanda „schenken" würde? Die Beschenkteste an dem Abend war wohl eher meine eine, und das nach so wenig Praxis die letzten Monate!

Eigentlich war ich dem Tango schon ziemlich gram, weswegen ich mir auch ein neues Hobby gesucht hatte, aber solche Abende machen natürlich Lust auf mehr. Nur planen kann man solche Glücksmomente leider nicht.

Wie es wohl nächstes Jahr weitergehen mag?

Der kreative Ersttäter ist aus Berlin und hat Bedarf für die nächste Alternativmilonga angemeldet. Der eine hoffnungsvolle Anfänger braucht Unterstützung bei der Exploration der Tangoszene Berlins außerhalb seiner Tanzschule. Ich werde ihn ins legendäre Tangoloft schleppen – mehr Anarchie geht nicht in Berlin – und als Kontrastprogramm auf eine kreuzbrave Tradimilonga mit Kronleuchter, Anzug, Schiedsrichter und Zahnschmerzgesicht. Die eine oder andere Dame zum Herumschieben werde ich mir auch immer wieder herauspicken, manchmal ist auch ein Rauschgoldengel dabei.

Im musischen Bereich als Alternativprogramm wird es auf jeden Fall viele andere Erlebnisse und Kontakte geben.

Der geneigte Leser mag gespannt sein, und wenn es soweit ist, finden sich die neusten Geschichten natürlich hier auf Gerhards Tango-Report.

Viele gelungene Plätzchen und allseits eine Handbreit geseiftes Parkett unterm Chromlederschuh wünscht
die Quotenfrau

Ich meine, der Artikel verdient es, mehr als einmal gelesen zu werden. Da wird landauf, landab vom „sozialen Tango“ geschwafelt – und dann beschreibt eine Frau, die noch dazu beide Rollen beherrscht, im Tango das Gefühl, eigentlich überflüssig und austauschbar zu sein“.

Wenn es nicht einzelne, positive und sogar männliche Gegenbeispiele gäbe, wäre der Ruf unseres Tanzes schon längst vollständig ruiniert! Da wäre Raum für etliche gute Neujahrs-Vorsätze. An meinem Blog soll es nicht liegen…

Mein herzlicher Dank gilt meiner Gastautorin „Quotenfrau“ – ich freue mich schon sehr auf ihre Erfahrungsberichte im Neuen Jahr!

Kommentare

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