Jahresend-Résumé einer Rollentauscherin
Schon einige Male
habe ich Gastbeiträge meiner „Berliner
Hauptstadt-Korrespondentin“ veröffentlicht. Ihr Text „Allein unter Weibern“ rangiert auf Platz 5 der meistgelesenen
Artikel dieses Blogs:
Seit einiger Zeit habe
ich nichts mehr von „Quotenfrau“ gehört – den Grund erklärt sie nachfolgend.
Ihr Jahresrückblick
hat mich gleichzeitig nachdenklich gemacht und amüsiert: Immer noch scheinen
sich Frauen im Tango sehr schwer zu tun, wenn nicht bereit sind, dem
Prinzessinnen-Klischee zu entsprechen und klaglos jede männliche Zumutung zu
ertragen. Andererseits entwickelt die Autorin einen derart gepflegten
Galgenhumor, dass ich aus dem Schmunzeln nicht herauskomme.
Alsdann, Bühne frei:
Jahresend-Résumé
einer Rollentauscherin
Im
September 2017 habe ich zusätzlich das wahrlich mühsame Führungsgeschäft
begonnen und hier schon mehrfach dazu berichtet.
Foto: Quotenfrau |
Daher
überlegte ich, was mir in der Jugend – damals, vorm Krieg – immer Freude
gemacht hatte, und so habe ich das Musizieren wieder aufgenommen. Kurz
entschlossen habe ich eine versierte Lehrkraft gefunden, viel geübt und werde
ab Januar in einem großen und einem kleinen Ensemble mitspielen. Beide Gruppen
können meine Verstärkung wirklich brauchen, es wird Auftritte, kleine Reisen
und auch Wettbewerbe geben, und ich habe im Gegensatz zum Tangozoo nicht das
Gefühl, eigentlich überflüssig und austauschbar zu sein.
Am
vergangenen Freitag besuchte ich wieder vergebens eine Practica, wo kein
Tanzsportgerät für mich frei war, in keiner Rolle. In der anschließenden
Milonga tummelten sich ein paar Anfänger- und Mittelstufenherren, die ich
kannte, da war für etwas Auslauf beim Folgen und Gespräche gesorgt, wenn auch
für kein Ausreizen meiner teuer erworbenen Folgekunst. Vier Damen wollte ich
führen, die lieber miteinander ratschen wollten, oder erst wenige Stündchen
absolviert hatten und sich nicht trauten, so jedenfalls die Aussagen mir
gegenüber.
Kurz
vor Feierabend fragte ich eine fünfte, und die sagte endlich bereitwillig zu
und stellte sogar selber Führungskünste in Aussicht. Halleluja! Den ersten Tanz
führte ich und dann tauschten wir, und sie führte. Und wie! Das Bisschen, was
ich vorher zusammengeführt hatte, war mir direkt peinlich. Das Mädel war keine
30 und sah aus wie ein Engel mit honigblondem Haupthaar im schwarzen
Samthosenanzug. Ich frug, wie lang sie denn schon führe? Och.... also wohl
schon sehr lange. Warum sie den ganzen Abend noch nicht geführt habe? Sie habe
da auch schon schlechte Erfahrungen gemacht – so wie ich – wenn sie außerhalb
von Queer-Veranstaltungen Damen auffordere. Was für eine Verschwendung! Sie war
definitiv die beste Führungskraft vor Ort und hat mir den ganzen Abend
gerettet.
Nun
habe ich mich am vergangenen Sonntag auch noch zu einem Adventstanz einer
alternativen Tangoschule aufgerafft, ohne große Erwartungen. Doch halt – ich
hoffte auf Plätzchen, da mein erster Versuch nach Jahren gründlich
danebengegangen war, und die gab es dann auch.
In
der Practica war wieder einmal niemand für mich übrig, was meine Laune nicht
gerade beförderte. Auf der anschließenden Milonga kam als erster Herr des
Abends jedoch ein alternativer großer Fremder auf mich zugesteuert, der in
kreativster Manier mit mir herumwirbelte, wie ich es schon lange nicht mehr
getan hatte. Erstaunlich, was an eingeschlafenem Können binnen Sekunden alles
reaktivierbar ist, wenn man es spontan braucht! Beziehungsweise, wenn es einen
reizt. Gleiche Größe, unaffektierter, freundlicher Tanzpartner, offene
Tanzhaltung, somit Platz für lustiges Beingehakel, echte Improvisation, rasante
Bewegung, alle (Fahr)Spuren unfallfrei nutzend – in dem Laden beherrschen die
das – und alles zu modernen Klängen jenseits der Steinzeit. Und dann meinte er
noch, wenn etwas anderes passiere als geplant, finde er das nicht schlimm,
sondern interessant. Fast hätte ich ihm stante pede einen Heiratsantrag
gemacht!
Er
versicherte sich einer späteren Fortsetzung und entschwebte ins Milongadunkel.
Der Laune ging es hernach prächtig. Zwei Damen mit geringen Kenntnissen schob
ich ein wenig durch die Gegend, und mir machten ein paar Anfänger ihrerseits
noch ihre Aufwartung. Merke: Der Anfänger von heute ist der Profi von morgen.
Dann
blinzelte ein schwarzgewandeter Fremder herüber, der sich als urlaubender
Düsseldorfer herausstellte. Dieser übertraf sogar noch den kreativen Ersttäter.
So viel Glück an einem Abend war ja kaum zu fassen! Ich versuchte. mich an
alles zu erinnern, was ich in teuren Privatstunden jemals gelernt hatte, und
trotz Beschleunigungskräften in unerwartetste Richtungen die Achse zu wahren,
es hat wohl zu seiner Zufriedenheit funktioniert. Es murmelte dann etwas von
„Augen zumachen?", aber da bat ich um Verständnis wegen des „visuellen Horizonts"
für mein Gleichgewicht.
Als
gegen Mitternacht die letzte Tanda ausgerufen wurde, kam er extra noch einmal
zu mir herüber und fragte, ob ich ihm die letzte Tanda „schenken" würde?
Die Beschenkteste an dem Abend war wohl eher meine eine, und das nach so wenig
Praxis die letzten Monate!
Eigentlich
war ich dem Tango schon ziemlich gram, weswegen ich mir auch ein neues Hobby
gesucht hatte, aber solche Abende machen natürlich Lust auf mehr. Nur planen
kann man solche Glücksmomente leider nicht.
Wie
es wohl nächstes Jahr weitergehen mag?
Der
kreative Ersttäter ist aus Berlin und hat Bedarf für die nächste
Alternativmilonga angemeldet. Der eine hoffnungsvolle Anfänger braucht
Unterstützung bei der Exploration der Tangoszene Berlins außerhalb seiner
Tanzschule. Ich werde ihn ins legendäre Tangoloft schleppen – mehr Anarchie
geht nicht in Berlin – und als Kontrastprogramm auf eine kreuzbrave
Tradimilonga mit Kronleuchter, Anzug, Schiedsrichter und Zahnschmerzgesicht.
Die eine oder andere Dame zum Herumschieben werde ich mir auch immer wieder
herauspicken, manchmal ist auch ein Rauschgoldengel dabei.
Im
musischen Bereich als Alternativprogramm wird es auf jeden Fall viele andere
Erlebnisse und Kontakte geben.
Der
geneigte Leser mag gespannt sein, und wenn es soweit ist, finden sich die
neusten Geschichten natürlich hier auf Gerhards Tango-Report.
Viele
gelungene Plätzchen und allseits eine Handbreit geseiftes Parkett unterm
Chromlederschuh wünscht
die
Quotenfrau
Ich meine, der
Artikel verdient es, mehr als einmal gelesen zu werden. Da wird landauf, landab
vom „sozialen Tango“ geschwafelt –
und dann beschreibt eine Frau, die noch dazu beide Rollen beherrscht, im Tango das
„Gefühl,
eigentlich überflüssig und austauschbar zu sein“.
Wenn es nicht einzelne,
positive und sogar männliche Gegenbeispiele gäbe, wäre der Ruf unseres Tanzes
schon längst vollständig ruiniert! Da wäre Raum für etliche gute Neujahrs-Vorsätze. An meinem Blog
soll es nicht liegen…
Mein herzlicher Dank
gilt meiner Gastautorin „Quotenfrau“
– ich freue mich schon sehr auf ihre Erfahrungsberichte im Neuen Jahr!
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