Von Amts wegen schimmelt’s
Das bayerische Corona-Management scheint trotz des Seuchen-Supermanns Söder derzeit vom Pech verfolgt. In Form von Frauen natürlich: Nach der etwas verschusselt wirkenden Gesundheitsministerin Huml legte dem Corona-Markus nun eine Ausländerin ein faules Ei.
In den Pressemeldungen klang das vor einer guten Woche so:
„Der heftige Corona-Ausbruch im oberbayerischen Garmisch-Partenkirchen geht nach Behördenangaben wohl zu einem großen Teil auf das Konto einer feierfreudigen jungen Frau. Davon ist zumindest das zuständige Landratsamt überzeugt. Die 26-Jährige soll an verschiedenen Tagen durch mehrere Kneipen in der Marktgemeinde am Fuße der Zugspitze gezogen sein und dabei zahlreiche Menschen angesteckt haben. Eine Superspreaderin. (…)
‚Die Dame hat Symptome gehabt, war bei uns bei der Teststation und wurde aufgrund der Symptome aufgefordert, in Quarantäne zu bleiben. Das hat sie aber nicht getan‘, sagt der Sprecher des Landratsamtes, Stephan Scharf, am Samstag.“
Über 30 positiv Getestete gab es zunächst im Umfeld des „Edelweiss Lodge and Resort“, eines örtlichen amerikanischen Hotels (das ich allein wegen des Namens schon längst geschlossen hätte). Und dort arbeitete die Corona-Verbreiterin, nachdem sie von einem Urlaub aus Griechenland zurückgekehrt war.
In der Politik gab man seiner Empörung freien Lauf. Der bayerische Innenminister beispielsweise ließ es wie folgt krachen:
„Gegen so eine Rücksichtslosigkeit sollte ein klares Signal und ein mahnendes Beispiel gesetzt werden, dass jeder mit empfindlichen Sanktionen rechnen muss, der in dieser besonderen Situation der Pandemie gegen die Regeln verstößt und andere vorsätzlich in Gefahr bringt."
Und der bayerische Ministerpräsident nannte als Vater der Beschränkungen das Ganze einen „Musterfall der Unvernunft“, der Konsequenzen haben müsse.
Hektisch wurden vor allem die im Nachtleben Aktiven zum Abstrich gebeten – doch, oh Wunder – bei über tausend Tests wurden genau drei weitere Neuinfektionen festgestellt! Aber wegen der Überschreitung der 7-Tages-Inzidenz hatte man schon diverse zusätzliche Beschränkungen eingeführt.
Aber, siehe da: In nicht mehr ganz so riesig aufgemachten Meldungen berichteten vor einigen Tagen die Medien, so super sei die Spreaderin wohl doch nicht. Fakt bleibt: Die Dame hatte, nachdem sie die Nacht vorher ein Lokal besucht hatte, Symptome verspürt und sich testen lassen.
Ob ihr dann allerdings das örtliche Gesundheitsamt die Weisung gegeben hatte, sich bis zur Klärung des Testergebnisses in Quarantäne zu begeben, oder ihr nur der freundliche Rat dazu erteilt wurde, lässt sich wohl nicht mehr klären. Das sei „aus Kapazitätsgründen bei Teststationen und Ämtern derzeit auch schwer nachzuvollziehen", so das Landratsamt. Sprich: Wahrscheinlich war der Praktikant am Telefon.
Na gut, ich hatte mir bisher eingebildet, solche Quarantäne-Verfügungen würden umgehend schriftlich zugestellt. Es gibt ja so Computerprogramme mit Drucker…
Juristisch ist das nicht ganz uninteressant: Einen freundlichen Rat muss man nicht befolgen, und ob die Behörde die Weisung rechtssicher belegen kann, glaube ich nach dem dilettantischen Vorgehen nicht. Also wird’s eventuell nichts mit den 2000 Euro Bußgeld. Und erst recht nichts mit dem in Aussicht genommenen Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung. Dazu müsste schon bewiesen werden, dass die junge Frau wirklich wen angesteckt hat.
Zudem ist sie wohl nach dem Test nicht „durch die Kneipen gezogen“, sondern hat in besagter Nacht genau ein Lokal besucht. Weiterhin dürfen in Bayern reine Bars und Betriebe des Nachtlebens noch gar nicht öffnen. Kann also eh nicht sein. Der Faktencheck der ARD ergab zusätzlich: Es sei noch nicht mal klar, ob die Amerikanerin andere angesteckt hat oder vielleicht selber von Beschäftigten des Hotels infiziert wurde.
So viel also zur „potenziellen Killerin“, wie die BILD-Zeitung in einem Video zitierte…
https://web.de/magazine/news/coronavirus/superspreaderin-garmisch-partenkirchen-35095824
https://www.tagesschau.de/faktenfinder/superspreaderin-garmisch-corona-101.html
https://www.sueddeutsche.de/bayern/garmisch-partenkirchen-corona-test-ergebnis-1.5032571
Ich habe in etlichen Artikeln stets die Anstrengungen der Behörden verteidigt – zumal man mit einer Pandemie dieses Ausmaßes wahrlich noch keine Erfahrungen hatte. Und sicherlich haben viele Angehörige der Verwaltung seit Monaten ein riesiges Arbeitspensum zu bewältigen.
Dennoch: Allmählich sollte das teilweise amateurhafte Gewurstel aufhören, welches sich ja nicht nur in dieser Hinsicht zeigt. Ich verstehe beispielsweise nicht, dass man in digitalen Zeiten die Kontaktdaten Getesteter noch mit einem Stift in eine Liste schreiben muss und diese Personaldaten nicht kontrollieren kann. Warum höre ich seit einem halben Jahr jeden Montag, von einigen Bundesländern würden am Wochenende keine neuen Corona-Zahlen gemeldet? Könnte man in den Amtsstuben nicht mal einen Wochenenddienst einrichten? Gibt es ja auch in anderen Berufsgruppen!
Ich hatte in den 1970er-Jahren zweimal mit Gesundheitsämtern zu tun. Mein jeweiliger Eindruck: Nie zuvor oder danach habe ich derartig altmodische und vermuffte Behörden erlebt. Die Einrichtung des Untersuchungszimmers hätte zu einem Film über das Leben Sauerbruchs getaugt. Ich sah noch hölzerne Hörrohre sowie Waschschüsseln auf Drahtgestellten und fürchte: Beim „Pschyrembel“(*) auf dem verstaubten Bücherbord dürfte es sich um die Erstausgabe gehandelt haben!
Wenn ich dann noch bedenke, dass man das öffentliche Gesundheitssystem nach dieser Zeit noch heruntergefahren hat, wird mir so einiges an den aktuellen Pleiten und Pannen klar. Seit 1995 ist die Zahl der dort beschäftigten Ärzte um 33 Prozent zurückgegangen. Schon vor Corona fielen etwa Schuluntersuchungen oft weg.
Aber auch in den Arztpraxen und Kliniken scheint Informationsaustausch, zumal digitaler, eher noch ein Fremdwort zu sein. Beispielsweise habe ich einmal versucht, ein EKG von mir, das an demselben Krankenhaus einige Monate vorher erstellt wurde, zu erhalten. Mein onkologischer Chefarzt riet mir ab: „Die Chirurgen rücken sowas nicht raus.“ Und es war ebenfalls unmöglich, ein Röntgenbild von einer Klinik in eine Arztpraxis zu verschicken. Nochmal zum Mitschreiben: Der elektronische Versand einer simplen Bilddatei…
Daher rate ich momentan dringend zu Vernunft, Akribie und professioneller Arbeit. Und auch dazu, Verstöße gegen Quarantäne-Bestimmungen konsequent zu ahnden. Der Eiertanz von Garmisch war das Gegenteil, ebenso Söders Autobahn-Teststätten. Da hat man dem Schimmel nicht mal die Sporen gegeben.
Aber Pannen haben auch ihre amüsanten Seiten. So meine ich, der Darsteller des Landrats ist in Wahrheit der Kabarettist Michael Altinger:
(*) Das „Klinische Wörterbuch“ alias „Pschyrembel“ kauft jeder werdende Arzt einmal zu Beginn des
Studiums. Das wichtigste Medizin-Nachschlagewerk erschien erstmals 1894.
Gerade kam die Meldung im Bayerischen Fernsehen: Keine einzige der Corona-Infektionen in Garmisch-Partenkirchen sei auf die angebliche "Superspreaderin" zurückzuführen - so das Landratsamt in einer Erklärung.
AntwortenLöschenSo viel zu Markus Söder und seinem perfekten Krisenmanagement...