Populismus Barometer
Zu
Beginn ein kleiner Test: Für wie
berechtigt halten Sie die folgenden Aussagen?
·
Mir wäre es lieber,
von einfachen Bürgern vertreten zu werden als von Politikern.
·
Wichtige Fragen
sollten nicht im Parlament, sondern durch Volksabstimmungen entschieden werden.
·
Die Parteien wollen
nur die Stimmen der Wähler, deren Ansichten interessieren sie nicht.
·
Die Politiker verraten
ihre eigenen Prinzipien und nennen es Kompromiss.
·
Die Bürger sind sich
oft einig, aber die Politiker verfolgen ganz andere Ziele.
·
Die Politiker haben
längst den Kontakt zum einfachen Volk verloren.
·
Die da oben machen
eh, was sie wollen.
·
Die Abgeordneten im
Parlament sollten endlich das beschließen, was das Volk will.
Finden
Sie solche Ansichten tendenziell eher
richtig? Gratulation – dann sind Sie ein Populist!
Seit
2017 veröffentlicht die Bertelsmann
Stiftung regelmäßige Auswertungen von Umfragen unter dem Titel „Populismus Barometer“ – letztmals im
Juni dieses Jahres auf der Basis von 10000 Interviews.
Der
Begriff „Populismus“ ist an sich
widersprüchlich – er leitet sich vom lateinischen „Populus“ („Volk“) ab. Klar ist natürlich, dass die Vertreter des
Volkes (also die Parlamentarier) dessen Willen umsetzen sollen. Forderungen,
welche einen allgemeinen Trend repräsentieren, nennt man daher ja
auch „populär“. Aber halt nicht
unbedingt „populistisch“.
Wikipedia beschreibt
Populismus so:
Oft thematisieren
Populisten einen Gegensatz zwischen „Volk“ und „Elite“ und nehmen dabei in
Anspruch, auf der Seite des „einfachen Volkes“ zu stehen. So geht Populismus
häufig mit der Ablehnung von Machteliten und Institutionen einher, mit Anti-Intellektualismus,
einem scheinbar unpolitischen Auftreten, der Berufung auf den „gesunden
Menschenverstand“ und auf die „Stimme des Volkes“. In der politischen
Auseinandersetzung setzen Populisten oft auf Polarisierung, Personalisierung, Moralisierung
und Argumente ad populum oder ad hominem. (Anm: Die Forderung entspreche der „Volksmeinung“
bzw. man kritisiert Personen, keine Sachverhalte.)
Ebenfalls bezeichnend
ist die Ablehnung traditioneller politischer Parteien. Die Funktion von Parteien,
an der politischen Willensbildung der Bürger mitzuwirken (siehe Art. 21
Grundgesetz), deuten Populisten gern als eine Bevormundung mündiger Bürger und
fordern stattdessen unmittelbare Willensartikulation durch direkte Demokratie.
Populismus gründet sich nicht auf ein bestimmtes Wertesystem und kann daher mit
ganz unterschiedlichen Ideologien und Zielsetzungen einhergehen. Oft ist er
Stilmittel von Protestparteien und -politikern oder auch von sozialen
Bewegungen.
Bevorzugt
würden emotional besetzte Themen
aufgegriffen, die sich dem traditionellen Rechts-Links-Schema entzögen. Man argumentiere
scheinbar klassenübergreifend und beanspruche so eine „gemeinsame Identität“.
Zur
grundlegenden Argumentationsweise
zitiert Wikipedia die Politologin Karin
Priester:
·
die Gegenüberstellung
von „gemeinem Volk“ und Eliten
·
die Berufung auf das
durch die Eliten noch unverfälschte Urteilsvermögen des Volkes oder auf den common
sense
·
die verschwörungstheoretische
Denunziation der Machenschaften von Eliten
·
die Moralisierung des
Diskurses (Wahrheit versus Unwahrheit; moralische Rückgratlosigkeit der Eliten)
·
die Beschwörung von
Krise und Niedergang
·
die Legitimationsbasis
des „gemeinen Volkes“ als „Stimme Gottes“ (höhere Macht)
Bei
den aktuellen Corona-Debatten
erleben wir ja jede Menge Populismus.
Desto erstaunlicher ist das Ergebnis
der neuen Umfrage der Bertelsmann-Stiftung:
Der
Anteil populistisch eingestellter Wähler
hat in den letzten zwei Jahren deutlich abgenommen!
Während im November 2018 noch 32,8
Prozent der Befragten eine solche Orientierung zeigten, sind es aktuell noch 20,9 Prozent.
Nicht populistisch denken derzeit 47,1 Prozent der Wähler (plus 15,7
Prozent), teilweise diese Einstellung zeigen jetzt 32,0 Prozent (minus 3,8 Prozent).
Insbesondere
in der politischen Mitte ist eine
starke Abkehr von populistischen Einstellungen zu verzeichnen. Im
Parteienspektrum zeigt sich hierbei ein wachsender Block (CDU/CSU, Grüne, SPD
und FDP). Aber auch an den Rändern
nimmt diese Orientierung ab. Am wenigsten ist bei den Grünen der Populismus verbreitet, am meisten bei den Linken und – mit weitem Abstand – der AfD:
Nur
13 Prozent der Wähler dieser Partei
sind nach der Umfrage nicht populistisch
oder rechtsextrem eingestellt. Eine
deutliche Mehrheit ist latent rechtsextrem (27 Prozent) oder manifest rechtsextrem (29 Prozent). 38 Prozent zeigen eine klar
populistische Orientierung, bei 35
Prozent ist diese teilweise vorhanden. Insgesamt zeigen also 87 Prozent der AfD-Wähler klare oder
zumindest ansatzweise populistische
bzw. rechtsextreme Ansichten.
Seit
dem März 2017 hat diese Partei auch ihre Wähler-Akzeptanz
kaum verbessert: Mehr als 7 von 10
Wählern halten nach den Umfragen „sehr
wenig“ von der AfD – ein Spitzenwert. Auf Platz 2 liegt die Linkspartei, die aber ihre Ablehnung
von etwa 50 auf gut 40 Prozent verringern konnte. Bei der FDP dagegen stieg diese Quote von zirka 30 auf 40 Prozent. Die
größte Akzeptanz genießt derzeit die CDU,
gefolgt von CSU und SPD.
Fazit:
Der
Populismus geht also – nicht erst seit der Corona-Krise – deutlich zurück. Solche Einstellungen werden aber vor allem am rechten Rand zunehmend radikaler.
Einerseits
darf man also beruhigt sein: Die im Internet und auf Demonstrationen verbreitete Mär von der wachsenden Unzufriedenheit des „Volkes“ mit den
Regierenden ist eine. Ein Umsturz
ist also nicht zu befürchten – ganz im Gegenteil!
Allerdings
vertreten die schrecklichen Vereinfacher ihre populistischen Forderungen
zunehmend aggressiv und totalitär. Jeder, der solche
Zeitgenossen unterstützt, sollte sich einmal überlegen, welche Freiheiten ihm noch blieben, wenn diese
Maulhelden eine politische Mehrheit erringen würden. Und wie dann eigentlich
das „Regierungsprogramm“ dieser
Mixtur aus Spinnern aller Art aussehen würde…
Vielleicht
müsste man dann keine Masken mehr
tragen – zu sagen freilich hätte man
auch nicht mehr viel.
Politik
ist schwierig und muss bei uns die Interessen von über 83 Millionen Einwohnern
berücksichtigen – mit Kompromissen
und Pragmatismus. Gerne auch mit Idealen. Aber nicht mit Ideologien. Die stürzen nur Menschen
ins Verderben.
Besonders
irritieren mich dabei Appelle, man solle doch dieses oder jenes vermeiden, um
nicht noch mehr Menschen „in die Arme der
Rechtsextremen zu treiben“. Ganz ehrlich: Mir reichen 6 Millionen ermordeter Juden und an die 80 Millionen Tote im 2. Weltkrieg locker, um mich aus jeder
Demonstration zu vertreiben, in der auch nur ein Extremist mitläuft…
Weitere Quellen:
https://www.tagesschau.de/inland/populismus-deutschland-101.html
DANKE für den Überblick! Ich muss zugeben, dass ich mit einer Abnahme populistischer Ansichten wahrlich nicht gerechnet hätte in diesen Tagen. Immer noch erschreckt mich vor allem, wie viel begeistert blinde Unterstützung Trump im eigenen Land bekommt, obwohl seine Misserfolge so auf der Hand liegen. Aber der Wunsch, sich bei den Starken einzureihen ist wohl gerade bei vielen weißen Verlierern groß.
AntwortenLöschenBei der Abstinenz von Demos mit "falschen" Teilnehmern ist es aber komplizierter. Das schaffen nur ganz ausgefuchste ... . In Berlin war es eigentlich nun wahrlich deutlich genug. Aber es gibt halt sehr viele, die einfach ihre Wut kanalisieren wollen. Und da zieht gerade diese Formel vom einheitlichen Widerstand "des" Volkes offenbar gewaltig. Ich kenne immer noch viele, die sich völlig missverstanden fühlen, wenn man sie rechts einordnet. Und leider kann man sie gerade dadurch nach rechts treiben. Das hatten wir schon bei Pegida & Co.
Lieber Tom,
Löschenich fürchte, in unserer digitalen Welt wird die Verzerrung der Wirklichkeit immer mehr gefördert: Da zeigt man viertelstündlich die Bilder vom "Sturm auf die Reichstagstreppe", die beschriebenen Umfrageergebnisse dagegen bilden eine Randnotiz.
Und wir sollten Deutschland nicht zu sehr mit den USA vergleichen: Das dortige Bildungsniveau ist - gerade in Geschichte oder Politik - erbärmlich: https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/bildungskrise-in-den-usa-schueler-scheitern-am-grundwissen-a-768928.html
Sonst wären solche Präsidenten nicht denkbar.
Was die "Demos mit falschen Teilnehmern" betrifft, möchte ich nur für mich sprechen. Es geht ja nicht um Demonstranten, die heimlich AfD wählen, sondern um jene, welche es ganz bewusst nach außen hin zeigen, wes Geistes Kind sie sind. Und sorry, das wäre für mich Schluss. Da ist es dann völlig unerheblich, ob ich mich selber als Rechter "missverstanden fühlen" würde.
Übrigens schafft es die SPD seit 150 Jahren, ganz ohne Faschisten zu demonstrieren - nur so als Anregung am Rande...
Vielen Dank und beste Grüße
Gerhard
"Übrigens schafft es die SPD seit 150 Jahren, ganz ohne Faschisten zu demonstrieren - nur so als Anregung am Rande..."
LöschenTja, aber leider nicht ohne "Antifa", die ich für genauso undemokratisch und unerträglich halte, wie die rechtsradikalen Neonazis ...
Unbedingt!
LöschenAllerdings halte ich es beim derzeitigen Image der SPD für unwahrscheinlich, dass auf von ihr organisierten Kundgebungen oder Demonstrationen der Schwarze Block aufmarschiert. Und wenn, dann höchstens als Gegendemo.
War übrigens in der Weimarer Republik schon so. Da haben die Kommunisten die Sozialdemokraten heftiger attackiert als die Nazis.