In-Milonga-Lessons


Schon längere Zeit rennen mir die Themen die Tür ein! Erst heute machte mich ein Leser auf den Facebook-Post eines Tangolehrers aufmerksam, der eine ungewöhnliche Art des Unterrichts anbot: 

„Mache gerade gute Erfahrungen im 'In-Milonga-Lessons' geben. Jemand Interesse?“ 

Auf Nachfrage wurde das Angebot näher erklärt:

„Man trifft sich auf einer Milonga, und du kriegst eine Einzelstunde mit mir zu einem Thema, was dich im Tango weiterbringt.“

Mein Leser, selber ein altgedienter Tangolehrer, reagierte sehr skeptisch: Belehren auf der Tanzfläche gehe gar nicht – auf seinen eigenen Milongas würde jemand, der das versuche, Ärger bekommen. Schon deshalb, weil es zu Störungen auf dem Parkett führen würde.

Der Angesprochene verteidigte sich: Er würde die Unterweisungen so diskret gestalten, dass es gar nicht auffalle.

Mein Leser blieb ablehnend: „Sich den Tanzabend mit ein paar diskreten, bezahlten Tipps für die Tanzpartnerin zu finanzieren“ – auf so eine Idee müsse man erst mal kommen! Na ja, nun ist es ja jemandem eingefallen…

Meine Recherche ergab: Eine gewisse Tangoerfahrung ist dem Schöpfer dieser Idee nicht abzusprechen: Er hat wohl schon lange und an verschiedenen Orten Tangounterricht erteilt. Seinen Hintergrund beschreibt er so:

„Tom Marx tanzt und unterrichtet seit mehr als 12 Jahren Tango Argentino. Sein tänzerischer Ursprung ist der Paartanz, von hier ging es über Salsa, Ballett, HipHop, Modern-Dance und Jazz-Tanz zum Tango Argentino. Heute unterrichtet und tanzt er beide Rollen (Führender und Folgender), beherrscht nahezu alle gängigen Stilrichtungen (Milongero, Nuevo, Neo) und ist als überregionaler Privatlehrer und Dozent bekannt.“

https://www.ina-tango.de/lehrer/

Seine eigene Tangoseite wirkt ein wenig frugal – sie besteht aus einer fünfzeiligen Auflistung des Angebots – „more to come“ heißt es am Schluss. Keine Ahnung, wie lange schon.

http://tango-coach.net/

Aber immerhin sehe ich auf Fotos, dass er einen Pferdeschwanz sein Eigen nennt. Na also…

Im Ernst: Die Idee ist interessant genug, um ein wenig über sie nachzudenken.

Sicher – einen Tangoabend mit deutlich erkennbarem Unterricht zu stören, geht gar nicht. Das würde sehr schnell andere Paare und auch den Veranstalter aufbringen. Zudem könnte dies zu weitergehenden Debatten führen: Ein solcher „In-Milonga-Lehrer“ muss ja nichts investieren, da er das „Material“ des Gastgebers verwendet: Location, Tonanlage, DJ, Getränkeversorgung etc. Er sollte dies auf jeden Fall mit dem Veranstalter absprechen und ihm – so er gegen Bezahlung arbeitet – eine Beteiligung anbieten. 

Und den Unterricht so diskret zu gestalten, dass keiner was merkt? Das würde schon mal etwas total Ungewöhnliches voraussetzen: einen Tangolehrer, der wenig redet oder nicht ständig etwas vormacht. Zudem sprechen sich gerade bei unserem Tanz genau die Dinge am schnellsten herum, welche man am heftigsten verheimlichen möchte... Und je weniger „Unterricht“ der Begleiter abhält, desto mehr nähert er sich dem Job eines Taxi-Tänzers.

Eine weniger riskante Variante wäre, mit der Schülerin keine Milonga, sondern eine Practica zu besuchen. Aber auch da wollen (oder müssen) ja meist die Veranstalter Tipps geben.

Andererseits ist bekannt, dass ich dem üblichen Kursunterricht recht skeptisch gegenüberstehe und beispielsweise eher Privatstunden empfehle – oder eben das Üben mit einem erfahrenen Partner. Liefe die jetzige Idee nicht ungefähr darauf hinaus?

Eine negative Folge des „verschulten“ Tangounterrichts ist, dass viele Lernende zwar lange Zeit brav ihre Kursstunden besuchen, sich aber nicht auf die Milongas trauen. Im Endeffekt landen sie in einer teuren Sackgasse, weil die Praxis auf einem freien Tanzabend nur sehr bedingt im Unterricht erlernbar ist – man denke nur an die Improvisation mit einem fremden Partner oder die unfallfreie Navigation. 

Und wie hat man zu den „goldenen Tangozeiten" diesen Tanz erlernt? Die Quellen bestätigen: Die Männer meist auf „inoffiziellen“ Practicas, bei denen sie mit erfahrenen Tänzern übten – zunächst als Folgende, die Frauen eher im Kreis der Familie und Verwandtschaft. In die Milongas eingeführt wurden sie von erfahrenen Kameraden oder in Begleitung der Mutter respektive des älteren Bruders, des Onkels oder eines anderen Verwandten. Die verschafften den Neuen (unter Aufsicht) persönlich die ersten Tänze – so in der Art von „Du, ich hab heut den Buben/das Mädel dabei, bist du so nett und tanzt mal mit ihm/ihr?“    

Daher glaube ich, die Idee ist nicht so schlecht, wie sie zuerst klingen mag. Ich würde aber lieber von einem „Milonga-Begleiter“ sprechen, der Anfängern – durchaus auch Männern oder Paaren – über die Schwelle hilft. Das würde denen eine gewisse Sicherheit geben – und zumindest den Frauen die Gewissheit, dass sie auf jeden Fall einen Partner für einige Tanzrunden haben. 

Ich frage mich nur: Warum muss man aus dem Ganzen wieder eine Geschäftsidee machen? Hätte der Tango anstatt Hierarchien und Ausgrenzungstendenzen eine wirkliche Willkommenskultur zu bieten, wäre es doch naheliegend, wenn Erfahrene mal mit Beginnern zusammen eine Milonga besuchten und sie sicher auf und über die Piste führten. Und ja: Auch Frauen können das.

Aber dafür muss man kein Geld nehmen! Es kann doch Spaß machen, andere im Tango zu fördern – und: Viele von uns haben das zumindest ansatzweise erlebt, als wir unsere ersten Tangoschritte machten. Warum diese Zuwendung nicht weitergeben?

Gerade zu Corona-Zeiten wäre diese Idee leichter umsetzbar: Man hat meist genug Platz auf dem Parkett, und die Veranstalter freuen sich, wenn überhaupt jemand kommt. 

Aber auf der Tanzfläche gescheit daherreden und der Partnerin wieder mal den Kopf einschalten statt ihr Bewegungsgefühl zu fördern? Sicher: Ich habe öfters Frauen erlebt, die beim Tanzen von mir irgendwelche Erläuterungen hören wollten. Meine Antwort war stets: „Merkst du nicht, dass ich die ganze Zeit schon mit dir spreche?“

Tango ist eine averbale Sprache.

Da fällt mir ein: Auf diese Weise habe ich in etlichen Jahren schon eine Menge Frauen „unterrichtet“. Aber nie daran gedacht, daraus ein Geschäft zu machen. Schön blöd!

Na ja, wohl doch nicht: Ich habe dabei mindestens so viel gelernt wie meine Partnerinnen! So ist halt der Tango: Oft beginnt er erst, wenn man nicht mehr an Geld denkt…      

Quelle:

https://www.facebook.com/thomas.marx.39/posts/10158716944864322

 

Praktikum: Umarmung * www.tangofish.de

 

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