Haintzens historische Stunde


Seit dem Berliner Demonstrations-Wochenende tobt auch im Netz der Meinungskampf: Die mitmarschierenden Rechtsradikalen sehen die einen als absolutes No Go, die anderen betonen unermüdlich, diese seien doch nur eine unbedeutende Randerscheinung gewesen.

Nun gut, dann hören wir uns einmal an, was Markus Haintz, ein unzweifelhafter „Querdenker 711“, Mitorganisator und Rechtsbeistand dieser Demo, zu sagen hatte! Mein Berliner Tangofreund Tom Opitz machte mich auf dessen Rede zum Abschluss der Kundgebung am Samstag aufmerksam.

Der Geislinger Rechtsanwalt, bisher vor allem mit den Gebieten Bau- und Architektenrecht beschäftigt, kann sich derzeit vor Anfragen kaum retten und nimmt nur noch Mandate zum Corona-Versammlungsrecht an. Reiner Idealismus, so kann man vermuten, ist also für sein Engagement bei den „Querdenkern“ nicht unbedingt erforderlich.
https://www.anwalt.de/markus-haintz 

Da Rhetorik eines meiner Steckenpferde ist, habe ich mir die Ansprache von Markus Haintz mehrfach angehört.

Mein erster Eindruck: So ein begnadeter Redner, wie man ihm teilweise unterstellt, ist er wohl nicht. Schon sei Intro hat er ziemlich verstolpert:

„Ich wäre heute auch ganz gern dabei gewesen, als John F. … John… nein, Robert Kennedy Jr. – es wird langsam Abend – hier gesprochen hat.“

Dieser Freudsche Versprecher deutet schon einmal an: Um den Sohn des ermordeten Robert Kennedy ging es dem Redner nicht direkt – wichtig ist halt die Anmutung, dessen Ansichten könnten irgendetwas mit dem weltberühmten Onkel zu tun haben. Meine Wikipedia-Suche ergab:

Robert Kennedy Jr. ist der Neffe des US-Präsidenten John F. Kennedy. Er ist Rechtsanwalt sowie Umweltaktivist und verbreitete als Impfgegner hartnäckig die nachweislich falsche These, dass Impfungen zu Autismus führen. Auch hinsichtlich Corona unterstützt er diverse Verschwörungstheorien. Von der Kennedy-Familie wurde er dafür heftig kritisiert.1983 wurde er wegen Drogenmissbrauchs festgenommen und machte eine Entziehungskur. Seit 2014 ist er zum dritten Mal verheiratet (mit der Schauspielerin Cheryl Hines, mit der er seit 2011 liiert ist). Seine zweite Frau nahm sich 2012 das Leben, nachdem Kennedy den Scheidungsantrag eingereicht hatte.

Na ja, ein Kronzeuge mit einigen Schattenseiten… Aber darum geht es ja nicht – wichtig ist, Bedeutung und Wir-Gefühl der Zuhörenden zu steigern:

„Wenn Menschen sich trauen, etwas zu tun, um sich zu wehren und sich für eine Sache einzusetzen, dann könnt ihr unglaublich viel bewirken. (…) Wir haben eine unfassbare Kraft in uns, und ein Einzelner kann hier so viel bewirken, kann so viele Menschen mitnehmen – ich hätte mir das nie erträumen lassen!“

Die Versuche des Redners, die historisch einmalige Bedeutung des Events darzustellen, klingen so, als habe man sie in der „Heute Show“ des ZDF erfunden. Allen Ernstes vergleicht er John F. Kennedys legendären Satz: „Ich bin ein Berliner“ mit seinem persönlichen Bekenntnis: „Ich bin ein Querdenker.“ Das sei mindestens genauso etwas, worauf alle stolz sein könnten.

Doch damit ist die Schmerzgrenze noch lange nicht erreicht: Es muss auch noch der berühmte US-Bürgerrechtler und Nobelpreisträger Martin Luther King herhalten: Als historisches Vorbild darf dessen Marsch auf Washington mit seiner berühmten Rede von „1962“ herhalten: „I have a dream.“ Nun, das war eigentlich am 28.8.1963 – aber ist ja egal…

Endlich auf der astronomischen Vergleichshöhe angekommen, verkündet Haintz nun:

„Es gab viele große Menschen in unserer Geschichte, die Großartiges geleistet haben, und die haben alle klein angefangen – und wenn wir klein anfangen und immer weitermachen, dann werden wir etwas Großes auf der ganzen Welt schaffen, und dieses Zeichen haben wir spätestens heute in Berlin in die ganze Welt gesendet. Dafür danke ich euch, und dafür können wir uns alle danken, das ist historisch, und da war jeder, der heute hier ist, ein Teil davon.“

Irgendeine Abgrenzung zu Neonazis, Verschwörungstheoretikern oder Reichsbürgern sucht man in der Rede selbst in homöopathischen Dosen vergeblich – nein:

„Wir haben alle die gleichen Ziele: Wir wollen in Freiheit leben, wir wollen in Frieden leben.“ Die Zeit der Spaltung sei zu Ende – es habe eine „neue Zeit begonnen – und in dieser Zeit sollten wir alle zusammenhalten.“ Wir könnten uns gerne „irgendwann wieder demokratisch streiten, aber momentan haben wir alle das gleiche Ziel.“

Sprich: Das demokratische Gedudel sollten wir erstmal lassen – wichtig ist nur die perfekte Einnordung! Und auch ein weiterer guter Rat darf nicht fehlen:

Alle, die noch spalten wollten, „sollten sich lieber dafür einsetzen, dass alle Kinder auf der Welt und unsere Kinder und unsere Mitmenschen eine würdige Zukunft haben.“

Na ja, das machen vielleicht auch unsere Politiker, wenn sie sich für den Schutz vor Corona-Infektionen einsetzen – was aber wohl nicht gilt. Und glücklicherweise erwähnt Haintz die Senioren mit keinem Wort.

Einmal verplappert sich der Redner:

Und man demonstriere auch für die vielen Menschen in den Ländern, „in denen man noch nicht friedlich demonstrieren darf – wir machen das alle für euch.“

Ach, echt? Herrscht in unserer „Corona-Diktatur“ doch die Demonstrationsfreiheit? Ich dachte…

Ziele nennt der Redner lieber nicht – außer: das „Klima der Angst“ zu durchbrechen. Was er gegen Ende sagt, lehrt mich aber durchaus das Fürchten:
  
Ein historischer Tag in Berlin neige sich dem Ende zu. Die „Bürger in Uniform“, wie er die Polizei nennt, hätten seines Wissens an den allermeisten Stellen richtig reagiert. Klar, man konnte sich ja den ganzen Tag über austoben...

Und es seien auch Landtags- und Bundestagsabgeordnete anwesend, es gebe durchaus auch eine „Opposition in der Politik“. Er begrüße alle herzlich – „egal, von welcher Partei ihr seid.“

Na, so ganz egal wohl nicht: Dieser Passus streichelt fast ausschließlich die AfD-Abgeordneten.

Und dann wörtlich weiter:

„Ich bin kein Freund des Parteiensystems, aber jeder Politiker, der für unsere Rechte mit aufsteht, den heiße ich hier herzlich willkommen!“

Sprich: Auch aus der Politik sind nützliche Idioten gern gesehen, welche sich an der Abschaffung der parlamentarischen Demokratie beteiligen möchten. „Systempartei“ ist übrigens klare Nazisprache!

Auch das Zitat John F. Kennedys, das Haintz schließlich bemüht, klingt in diesem Zusammenhang durchaus bedrohlich: „Wer eine friedliche Revolution verhindert, macht eine gewaltsame unausweichlich.“ Aber klar, man wolle die friedliche Revolution sein und bleiben. Da sind wir doch beruhigt…

Die volle Rede:



Markus Haintz ist kein rhetorisches Spitzentalent – dennoch bleibt anzuerkennen: Wenn man einen Satiriker gebeten hätte, eine Rede zu verfassen, in der sich hohles Pathos perfekt mit Inhaltsleere und gnadenloser Selbstüberhöhung paaren – sie wäre vielleicht weniger gelungen ausgefallen als die echte. Zusammenfassen könnte man das Machwerk mit dem Trinkspruch: "So jung kommen wir nicht mehr zusammen."

Da bleibt mir nur ein Zitat von Eylin Drews auf der Kleinstpartei-Seite „Die Meditierer“, welche eine ganz ähnliche Richtung verfolgen. In ihrem Artikel Eine weibliche Sicht ... innerhalb der Partei schreibt sie:

„Der geistige und körperliche Sauerstoffmangel hat mich verändert. Ich bin ein politisch denkender Mensch geworden.“
https://www.die-meditierer.org/Blog/Eine-weibliche-sicht-innerhalb-der-partei

Das kann man nur noch mit Ludwig Thomas „Filser-Briefen“ toppen:
„Ich habe als Man des Folkes nichd gewißt das ich zur Regirung beruhfen bin sontern inser hochwirninger her Bfarrer hat es entdekt.“
https://de.wikisource.org/wiki/Briefwechsel_eines_bayrischen_Landtagsabgeordneten

Kommentare

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