Der Widerspenstigen Lähmung
Unter
faulen Äpfeln gibt's nicht viel Wahl.
(William
Shakespeare: Der Widerspenstigen Zähmung)
Ich
hatte es eigentlich erwartet – nur nicht so schnell: Das „Querdenker-Lager“ ist gerade dabei, sich in heftigste Streitereien zu verwickeln. Insbesondere der Chef von „Querdenken
711“, Michael Ballweg, ist das Ziel
diverser Angriffe:
So
beklagt der rechte Autor Thorsten
Schulte, mehrfacher Redner auf den Versammlungen, es gebe „überhaupt keine Strategie“. Außerdem
seien bei Querdenken „einige
Falschspieler unterwegs“. Er bemängelt, dass Querdenken die Dynamik der
vergangenen Wochen nicht genutzt habe
Der
angesprochene Ballweg kritisierte
daraufhin Thorsten Schulte und
erklärte, es gebe keine „Dauerredeerlaubnis“
für Redner auf der Bühne. Schultes Verhalten beim ersten Berliner Aufmarsch Anfang August sei außerdem „zu theatralisch“ gewesen.
Auch
der Verschwörungstheoretiker Heiko
Schrang, der bei beiden Berliner Querdenken-Aufmärschen auf der Bühne
stand, ist zur Bewegung auf Distanz gegangen. Er ziehe sich „raus aus dieser Sache“. Ihn störe, dass
die „eigene Szene völlig uneins"
sei und dass Akteure nun übereinander herfielen und sich gegenseitig
beschuldigten, von der Regierung gekauft oder gar Satanisten zu sein.
In
der Querdenken-Bewegung ist auch der Umgang mit dem rechtsextremen
Holocaustverharmloser Nikolai Nerling
alias „Volkslehrer“ umstritten. Gegenüber dem RBB stritt Ballweg zunächst ab, sich je mit Nerling getroffen zu haben. Später
räumte Ballweg ein, er führe „mit allen
Gespräche“.
Im
internen Streit werden die Protagonisten zunehmend selbst Opfer absurder Verschwörungsmythen. So wird Michael Ballweg vorgeworfen, er
habe die Aktion vor dem Reichstagsgebäude am 29. August nur deshalb kritisiert,
weil er insgeheim von der Bundesregierung bezahlt werde.
Heiko Schrang sagte: „Die Hysterie und Nachbeben vom 29. August
sind überall zu spüren", Querdenken-Mitglieder seien sich „völlig uneins". Zudem gebe es
innerhalb der Bewegung „10 bis 20
Prozent, die sich als erwacht und Freidenker bezeichnen, die jetzt die Mistgabel rausholen und übereinander
herfallen". Diese Mitglieder würden sich gegenseitig
beschuldigen „ein Illuminat"
oder „ein Satan" zu sein. Schrang kündigte an, sich erstmal eine
Auszeit zu nehmen.
Zuvor gab es laut Thorsten Schulte
Uneinigkeiten zur Strategie. Ballweg und
andere hätten bei der Großdemonstration Ende August in Berlin von der Idee eines
„Friedensvertrags" und einer „verfassungsgebenden Versammlung"
gesprochen – jedoch „ohne jede
inhaltliche Zielsetzung". Mitte Juli habe er Ballweg einen Vorschlag
vorgelegt. Ballweg habe ihm am 3. August die Unterstützung für den Vorschlag entzogen, so Schulte. Er selbst
sei beschuldigt worden, den Querdenken-Redner und Anwalt Markus Haintz als „Satanisten"
bezeichnet zu haben: „Dies ist falsch und
dient wohl dazu, mich als Spalter darzustellen."
Erwartungsgemäß am ärgsten treibt es der Koch und Verschwörungsideologe Attila Hildmann, der Ballweg einen „kleinen Verräter“ nennt, der unter falscher Flagge segle. In
Wahrheit sei der ein „Illuminati/Freimaurer”:
„Queerdenken = Wenigdenken =
Freimaurer-Trottel“
„Die peinlichen Falseflag
Queerdenken-Loveparades vom Illuminati Ballweg werden uns nicht weiterbringen,
sondern sollen die Querschnittlähmung des Widerstands erreichen!“
Im April dieses Jahres hatte sich unter großem Getöse „Widerstand 2020 – die Mitmachpartei“ gegründet:
Mit 100000 Mitgliedern
übertreffe man bereits Konkurrenten wie Grüne oder AfD. Zentrale Figuren waren
dabei die Vorstandsmitglieder Victoria
Hamm, Dr. Bodo Schiffmann sowie
der Leipziger Rechtsanwalt Ralf Ludwig.
Beziehungscoach Hamm trat bald darauf wieder zurück, ebenso ihre Nachfolgerin Sandra Wesolek, und inzwischen hat auch
der HNO-Arzt Schiffmann die Partei verlassen, um Mitte Juni den Vorsitz der
neuen Partei „Wir 2020“ zu
übernehmen. Aber auch den hat er inzwischen schon wieder hinter sich…
Schiffmann war bereits zuvor mit seiner Aussage,
man könne ganz Afrika in einem deutschen Bundesland unterbringen, innerhalb
seiner Partei unter Druck geraten. Victoria
Hamm konterte: „Wenn Bodo Afrikaner
hier haben möchte, aber alle anderen nicht - ja, dann muss der Bodo halt zu den
Afrikanern.“
Letztlich war „Widerstand 2020“,
wie so vieles in diesem Zusammenhang, lediglich eine schillernde Internet-Blase. Die Online-Anmeldungen waren wohl
leicht zu manipulieren – so gelang
es einem AfD-Funktionär, seinen
Hahn „Blacky“ unter der Mitgliedsnummer 82.400 anzumelden.
Letztlich
offenbaren diese ganzen Kapriolen die grundlegenden
Schwächen solcher „Bewegungen“:
Gerade
der Parteigründer Ralf Ludwig propagierte die „Schwarm-Intelligenz“: Man solle ruhig alle eintreten lassen, die
es wollten, auch Extremisten. Die Mehrheit
werde dann schon vernünftige Ziele etablieren. Dies ist ein kapitaler Irrtum.
Mehrheiten, vor allem populistisch
erzeugte, können gewaltig ins Verderben
führen, wie die Geschichte beweist.
Allen
möglichen Protestbewegungen schließt
sich schnell eine Menge von Leuten an, die aus tausend Gründen mit den Verhältnissen unzufrieden sind. Was sie
eint, sind vor allem höchst naive
Vorstellungen davon, wie ein Staatswesen funktioniert. Daher werden
schnelle und radikale Lösungen
gefordert: Mal gescheit aufräumen und allen „Polit-Verbrechern“ den Prozess
machen oder sie gleich an die Wand stellen – und gut ist.
Eine
Demokratie funktioniert so aber
nicht – und daher beginnen auch für die Aufbegehrer früher oder später die „Mühen der Ebene“. Will man wirklich
erfolgreich sein, muss man sich in die vielen Gremien einbringen, die unsere
Gesellschaft am Laufen halten – und sich mit Kompromissen abfinden. An dem Punkt beginnt es meist zu bröckeln,
da man keine schnellen Erfolge
bieten kann.
Zudem
erliegt man heute einer gigantischen Verwechslung der digitalen Welt mit der analogen.
Auf Facebook hat man schnell eine sechsstellige Zahl von Unterstützern – nur daraus
in der Realität eine gut organisierte Bewegung zu machen ist ungleich
schwieriger. Und dort zeigt sich oft, dass man mit einer schillernden Melange von Menschen ganz unterschiedlichen Zuschnitts
große Probleme bekommt, sich auf ein gemeinsames
Programm zu einigen. Im vorliegenden Fall dürfte dies aussichtslos sein.
Was
ich für tragisch halte: Natürlich
hat unser Staat in der Corona-Krise nicht alles richtig gemacht, was ja auch
kein Wunder ist – schließlich gab es dafür keine Blaupause. Man kann also
völlig zu Recht viele der Maßnahmen
kritisieren – man denke nur an das Wegsperren der Senioren oder die Nöte
Alleinerziehender, Gastwirte oder kleiner Selbstständiger. Nur leider wurden
diese Stimmen weitgehend diskreditiert durch
das Auftreten von Extremisten und Spinnern aller Art. Statt wichtiger
Argumente durften wir das kindische Gezerre um Masken und Mindestabstand bei
den Demonstrationen bestaunen. Und mit den kaiserlichen
Fahnen vor dem Reichstag hat man
Bilder geschaffen, die zwar bei Neonazis für Begeisterung, jedoch beim
überwiegenden Teil unserer Bevölkerung für Entsetzen sorgten.
Daher
meine ich: Diese Leute haben den von den Corona-Beschränkungen Betroffenen
einen Bärendienst erwiesen. Und gelähmt
wurden sie nicht vom bösen Staat. Nein, das haben sie schon selber hingekriegt!
Erich Kästner hat es in seinem „Marschliedchen“
1932 so ausgedrückt:
Denn ihr seid dumm und seid nicht auserwählt.
Die Zeit wird kommen, da man sich erzählt:
Mit diesen Leuten war kein Staat zu machen!
Kommentare
Kommentar veröffentlichen