Geistreiches von Vapers Guru
Durch
Zufall habe ich auf Facebook eine
Seite entdeckt, die wahrlich intelligente
und auch witzige Texte auch zur
aktuellen Corona-Thematik bietet.
Eigentlich geht es „vapers.guru“ alias
Joey Hoffmann um die Vorteile von
E-Zigaretten, aber das gerät wohl derzeit in den Hintergrund. Näheres dazu
hier:
Ich
möchte zwei Texte von Joey
Hoffmann vorstellen – der erste trägt den Titel:
„Eure Meinung interessiert keine Sau!“ (4.9.20)
Den
Autor nervt die unreflektierte und inflationäre Verwendung des Begriffs „Meinung“:
„Kaum hält man
irgendwo eine Kamera hin, kommt von irgendwo ein pseudodemokratischer
Freiheitskämpfer aus dem Busch gesprungen und spricht etwas von
gleichberechtigten Meinungen hinein.“
Dazu
zitiert er Immanuel Kant:
„Meinen ist ein mit
Bewusstsein sowohl subjektiv als objektiv unzureichendes Fürwahrhalten.“ (Kritik der reinen
Vernunft, 1781)
Oder
– verkürzt im O-Ton Joey Hoffmanns:
„Meinungen sind wie
Arschlöcher. Sowas hat jeder.“
Dazu
verwendet er die Metapher des „Steinzeitdeutschen in seiner Höhle in der
Hocheifel“, der Hunger hat und Beeren findet, die er aber nicht kennt. Er kann
sich nun eine Meinung bilden, ob er
die Früchte isst oder es lieber lässt. Er könnte aber auch empirisch vorgehen und die Beeren versuchsweise erstmal seinen
Schweinen geben – oder seiner Frau, bevor er sich eventuell selber aus dem
Genpool entfernt.
Eine
reine Meinung hingegen qualifiziere
zu nichts.
Wenn
dagegen ein Politiker seine „Meinung“ darstelle, so sei diese „durch viele Filter der politischen Abwägung
gegangen“. Es wäre daher naiv, zu glauben, man gehe mal auf die Straße und
sondere seine Meinung ab – dann würde irgendwas davon sicher umgesetzt. Nein,
man müsse sich sowohl auf wägbare Fakten
stützen als auch mit den Entscheidungsträgern ins Gespräch kommen. Und möglichst für
und nicht gegen etwas sein.
„Ohne das haben
Demonstrationen, Petitionen und andere Ionen keinen Sinn.“
Viele
verwechselten heute Meinungen mit Fakten
– und man sei dann frustriert bis aggressiv, sich damit nicht durchzusetzen.
„Meiner völlig unwichtigen
Meinung nach sind die Regulierungen zum Infektionsschutz völlig überzogen. Aber
das ist eben nur meine Meinung. Sie ist so unwichtig wie jede andere. Genau wie
meiner Meinung nach alle Meinungen unwichtig sind. Was ziemlich unwichtig ist.
Meiner Meinung nach.
Und nur deshalb werde ich von diesen Menschen angefeindet. Weil ich eben nicht für jeden Synapsenköttel irgendwo demonstrieren gehe, nicht meine Freiheit in Gefahr sehe, nicht bereit bin, stillschweigend diesen verschwörungsmystischen Schwachsinn zu adaptieren, und das auch noch offen ausspreche. Es geht gar nicht um Inhalte oder Fakten.“
Empirisch
untermauerte Meinungen aber würden irgendwann umgesetzt – so wie das
Herunterfahren der Corona-Regulierungen. Warum?
„Wegen der größten
vorstellbaren Kraft in einer Demokratie: Weil die Politiker wiedergewählt
werden wollen.“
In
seinem Text „Es geht doch gar nicht um Corona“ (27.8.20) beleuchtet der
Autor die zugrunde liegenden Ursachen der „Empörungskultur“ und stellt fest:
„An der Politik kann
es nur bedingt liegen. Denn die hat sich nur wenig geändert. Es wurden keine
grundlegenden Gesetze so verändert, dass die Gesellschaft plötzlich eine andere
ist. Und trotzdem sind einige Menschen plötzlich so unzufrieden, dass sie sich
bedroht fühlen und glauben, dadurch alles rechtfertigen zu können.“
Woran
das liege? Joey Hoffmann gibt einige
„total subjektive“ Antworten:
·
Das
„Netz 2.0“ und seine Möglichkeit,
vor vielen anderen seine Ansichten herauszuhauen, was man sich im realen Leben
nicht traue. Und sich dann in seiner Meinungsfreiheit beschnitten zu fühlen,
wenn andere widersprächen.
·
Die
Verwechslung von Meinungen und Fakten
und die naive Vorstellung, Demokratie fände in den sozialen Medien statt und
nicht in Rathäusern und Wahlkabinen.
·
Zurückgehendes
politisches Engagement in Parteien
und damit geringere Erfahrung im realen demokratischen Diskurs.
·
Die
Politik werde zunehmend konfliktscheu; in Koalitionen würden
Entscheidungen eher im Hinterzimmer getroffen. Somit würde das Gefühl
gesteigert, von „geheimen Eliten“
regiert zu werden.
·
Die
Medien, welche immer mehr „Agenturjournalismus“ betrieben, statt
selber zu recherchieren. Das stärke die Anfälligkeit für „geheime Wahrheiten“
von „Untergangspropheten“.
·
Wegfall
der Sozialisation vor allem durch Streichung
von Wehr- und Ersatzdienst
·
Erziehung: Junge Menschen
müssten lernen, mit Ungleichheiten und Misserfolgen umzugehen. So seien sie
überfordert, mit Pflichten konfrontiert zu werden, und reagierten mit Protest
und Streit.
·
Bildung: Sie müsse zeitgemäß
sein, zum Beispiel mit Medienkompetenz und politischer Grundbildung. Das Wort "Demokratie" werde inflationär verwendet und
bedeute eben nicht schrankenlose Freiheit.
Sein
Fazit:
„Viele Menschen nehmen sich selber zu
wichtig. Und haben nicht gelernt, damit umzugehen, wenn sie aufgezeigt bekommen,
dass sie nicht wichtig sind.“
Mein Fazit:
Joey Hoffmann schreibt eine höchst
elegante und auch spitze Feder. Mir gefällt es, dass er
sich beim Corona-Thema nicht kompromisslos auf eine Seite schlägt, sondern
höchst individualistisch argumentiert.
In einer Mischung von Kommentar, Glosse und Satire hat er auch keine Scheu vor knallhart platzierten Kalauern. Diese Mischung aus Erleuchtung und Lachanfall hat mich beeindruckt wie schon lange kein Autor mehr. Und
auch seine Kommentatoren stammen
eher aus der geistreichen Fraktion.
Ich
bin sicher, auf seiner FB-Seite lassen sich noch mehr solcher Schätze heben. Sie sei daher allen Lesern
dringend empfohlen:
Sehr schön - Danke für den Fund und die Veröffentlichung! Zur Meinung und ihrer Stellung in unserer Gesellschaft hat die Werbeabteilung der Bild-Zeitung es meiner Meinung nach auf ein radikales Motto zugespitzt. Während wir seit der Aufklärung hofften, uns irgendwann ein Urteil bilden zu können, heißt es hier: Bild Dir Deine Meinung!
AntwortenLöschenMartin Polzer
Lieber Martin,
Löschenvielen Dank für die schöne Parallele! So habe ich den Werbespruch noch gar nicht gesehen. Aber mit diesem Blatt muss sich der Leser ja gar keine Meinung mehr bilden - die steht ja schon in der Zeitung...
Liebe Grüße
Gerhard
Hm, einige kluge Gedanken. Seinem Fazit stimme ich explizit zu. Unter den Problemen heutzutage sehe ich noch (ergänzend zum Punkt "Die Verwechslung von Meinungen und Fakten"): Die Verwechslung von Sache und Person (Widerspruch gegen eine Behauptung wird als Angriff gegen die (eigene) Person aufgefasst), sowie die aktuell ungute (m.M.n!) Hierarchie zwischen Verstand und Emotionen.
AntwortenLöschenDem Punkt: "Wegfall der Sozialisation vor allem durch Streichung von Wehr- und Ersatzdienst" kann ich allerdings nicht zustimmen, denn danach wurden dann Frauen und Mädchen wohl nie sozialisiert, die hatten nämlich nie Wehr- oder Ersatzdienst. (Oder er meint, dass Frauen so viel höher stehen als die Männer, und eine Sozialisation gar nicht benötigen würden. Zu diesem Sexismus schreib ich allerdings lieber nichts ;-) )
Aber PS: ich nehme mir allerdings heraus, meine eigene Meinung zu haben und nicht unbedingt eine (durch z.B. Medien) vorgefertigte zu übernehmen.
Lieber Robert,
Löschenna, das wollen wir doch hoffen!
Und klar: Auf den Unterschied der Argumentation "ad personam" und "ad rem" habe ich schon öfters hingewiesen. Und Gefühle können eine Haltung unterstützen, sollten sie aber nicht erzeugen.
Ich glaube, dass die Sozialisierung von weiblichen Wesen schon früh in der Erziehung einsetzt. Mädchen werden eher zur Anpassung gedrängt, Buben zur Selbstbehauptung ermuntert. Dennoch fände ich ein soziales Jahr für alle sehr nützlich. Ich habe damals im Zivildienst vieles gelernt, was mir als verkopfter Abiturient noch fremd war.
Vielen Dank und herzliche Grüße
Gerhard