Ivica Anteski: Die Prinzipien der Tanzbarkeit



Den Propagandisten konservativer Tangoideen aus dem mazedonischen Skopje habe ich bereits in zwei Beiträgen vorgestellt:

Der nach eigenen Angaben als „Tangolehrer, internationaler DJ und Eventveranstalter“ Tätige hat nun zusätzlich die Website „Tango Mentor“ ins Leben gerufen, wo er versucht, mittels Artikeln zu Tangothemen Kundschaft für ein vielfältiges Mentoring zu gewinnen: Unterrichten von Tänzern, DJs, Tangolehrern (!), Veranstaltern sowie Abhaltung von Workshops.

Kleiner hat er’s grad nicht…

Immerhin finde ich es verdienstvoll, dass er versucht, der staunenden Tangogemeinde einmal einen Begriff zu erklären, welcher zwar sehr häufig, aber eher ominös verwendet wird: die Tanzbarkeit.

Selbstredend müssen wir den Beginn einer neuen Tanda abwarten, bevor wir unseren Cabeceo-Blick schweifen lassen dürfen – der DJ könnte uns ja etwas „Untanzbares“ vor die Füße werfen, welches uns zwingen würde, das Parkett mit eingezogenem Blick und Schweif wieder zu verlassen.

Welche Kriterien gibt es nun für die Tanzbarkeit im echten Tango-Sinne? 
Für Ivica Anteski sind es dessen vier:

·         Die Intention des Orchesters
·         Die Vorhersehbarkeit des rhythmischen Musters
·         Die Dominanz des Sängers
·         Die Popularität

Basis des ersten Punkts ist natürlich das szenetypische Mantra, nur in der „Goldenen Tangozeit“ (1935-1955) hätten die Musiker Tangos für die Tänzer gespielt – und nicht als Konzert vor Livepublikum oder im Radio.

Da ist sicher was dran, wobei man das Problem auch andersrum sehen kann: Die Bornierten im Tango weigerten sich ab 1960 (soweit nicht eh durch Diktaturen verhindert) und bis heute, die neueren Tangoentwicklungen auf dem Parkett umzusetzen. Die heutigen Musiker kriegen die Chance ihrer goldigen Vorfahren halt nur noch sehr begrenzt geboten… Selber schuld!

Aber gemach, da man natürlich als Tänzer nicht zu Beginn jeder Tanda den DJ nach den Intentionen der aufgelegten Musiker fragen kann, gibt es noch drei weitere Kriterien:

Zur „Vorhersehbarkeit des rhythmischen Musters“ seien wir zunächst gewarnt: Auch in der EdO gab es nach Herrn Anteski Gruppen, welche eher für’s Radio musizierten und daher – trotz der richtigen Epoche – Untanzbares ablieferten. Und umgekehrt: Obwohl beispielsweise „Pavadita“ von De Angelis drei Jahre zu spät kam (1958), dürfen wir dazu tanzen. Mit der kleinen Verzögerung des Tempos gegen Schluss, so erfahren wir zu unserer Beruhigung, könne wohl selbst ein Anfänger zurechtkommen, da sie vorhersehbar sei.

Das war’s dann auch schon, Näheres zur Musiktheorie bleibt uns versagt. Ich nehme an, der Autor meint das, was mich an diesen Tangos so fasziniert wie an einem Krimi, bei dem ich nach zwei Seiten schon den Täter weiß: Nach vier Takten ist mir klar, wie es in den nächsten drei Minuten weitergeht!

Vor und nach der EdO habe leider ganz klar der Sänger dominiert, wodurch man den Rest des Orchesters oft kaum noch gehört hätte. Immerhin erhalte ich nebenbei endlich mal eine Erklärung dafür, warum Carlos Gardel fürs Tanzen Bähbäh ist: Er hätte leiser singen sollen…

Weiterhin passe sich das Orchester oft dem Sänger sowie dessen Emotionen (Vorsicht!) an, was schlimmstenfalls sogar zu Tempo-Schwankungen führe. Dies gelte natürlich auch für andere Solisten wie Osmar Maderna und seine Piano-Soli, welche gleichfalls die Tänzer verwirren könnten.

Merke: Am besten spielen Tangomusiker emotionsfrei im konstanten Schrott und Trott, frei von unvorhersehbaren Überraschungen… Wichtiger als der Rhythmus ist der Algorithmus!

Unter Popularität ist wohl zu verstehen, dass der Bauer das nicht frisst, was er nicht kennt: Also am besten Stücke spielen, die alle auflegen! Und das sieht man – bei entsprechend konditioniertem Publikum schon am Füllungsgrad des Parketts.

Der DJ solle sich doch gefälligst überlegen, ob er dazu tanzen wolle, wenn es ein anderer auflege. (Wobei ich sogar noch weiter gehe und erwarten würde, dass er sich sogar zu seinem eigenen Kram mal bewegt.)

Ein wunderschönes Beispiel dafür, wie man in diesem Umfeld die Kuh von den Hufen euter-aufwärts stellen kann, liefert der Autor in selbigem Abschnitt: Bei der Beurteilung der Tanzbarkeit solle man ausschließlich auf die guten Tänzer achten – diejenigen, welche es nicht könnten, würden zu allem tanzen (selbst wenn es gar kein Tango sei). Nun könnte man diesen Punkt auch glatt andersrum sehen…

Eine donnernde Erkenntnis (die er leider im weiteren Verlauf nicht mehr beachtet) präsentiert uns Ivica Anteski bereits am Beginn seines Textes. Es gäbe bei der Tanzbarkeit auch subjektive Kriterien:     

Beispielsweise habe er sich zu Beginn seiner tänzerischen Laufbahn stets vor Walzern gedrückt, da er sie nicht tanzen konnte. Inzwischen liebe er sie so, dass es ihn nicht auf dem Stuhl halte. Tanzbarkeit hänge halt auch von den eigenen Fähigkeiten ab: Often what you like is defined by your ability to dance to it.“

Tja, lieber Ivica, dann sei mal dem Schicksal dankbar dafür, dass dir damals nicht irgendwelche vernagelte Hirnis erklärt haben, Vals sei gar kein Tango (was ja so falsch nicht wäre): Dann hättest ihn nämlich bis heute nicht gelernt!

Und ich wünsche dir, dass dir irgendwann noch einer beibringt, auch Piazzolla habe Tangos komponiert. Vielleicht kriegst das dann auch noch hin…

Und hier der Originaltext, den ich diesmal nicht übersetzt habe (der Autor ist ziemlich pusselig mit dem Copyright, er will ja mit dem Mentoring was verdienen):

Daher schenke lieber ich ihm was! Als Beispiel für Untanzbarkeit habe ich ein Musikbeispiel herausgesucht: Ariel Ardits Interpretation des wunderschönen EdO-Tangos „La luz de un fosforo“ (1943), welche beispielhaft alle vier Kriterien erfüllt:

·         Das Orchester spielt für ein Konzertpublikum
·         Tempo- und Lautstärkeschwankungen
·         Dominanz des Sängers, Anpassung des Orchesters an dessen Vortrag
·         völlig unpopulär (auf 3000 Milongas habe ich ihn genau einmal gehört, ausgenommen natürlich meine eigenen)


Viel Spaß beim Tanzen!

P.S. Ein herzliches Pardon an Thomas Kröter wegen seiner Abneigung gegen Ariel Ardit. Aber auf Einzelschicksale konnte ich leider keine Rücksicht nehmen – und ich finde, es ist auch nicht so schlimm, so lange Ariel keine Zeitungsartikel schreibt und Thomas nicht singt…

Kommentare

  1. Hallo Gerhard,

    schön, dass Du immer solche hanebüchenen Beispiele ausgräbst und sie so lustig auseinandernimmst.

    "Tanzbarkeit" heißt für mich einfach, dass Leute darauf tanzen, fertig, egal, was einige Ideologen sagen und auch egal, ob sie fortgeschritten sind, oder Anfänger. Aber das Thema wird ja oft diskutiert. Auf unserer Webseite findet sich auch ein Beitrag zum Thema, hier: http://tango-diavolo.de/Musik.html#tanzbar

    Neulich habe ich mal eine Rezension für die Tangodanza geschrieben zu der phantastischen CD: Cuarteto Rotterdam - Hommage a Astor Piazzolla (1/16). In der TD muß man ja auch beurteilen, ob die Musik tanzbar ist. Ich habe das mit einem Experiment gemacht: Titel der CD aufgelegt und geschaut, ob die Leute tanzen, obwohl es Piazzolla-Stücke sind und selbstverständlich im Tempo schwanken. Experimentelles Ergebnis: sie haben getanzt. Für mich als Naturwissenschaftlerin ist das ein Ergebnis. Die Diskussion ist aber immer wieder lustig. Es hat auch mal einen Artikel zum Thema in der TD gegeben, den ich hier auch schon zitiert habe. Im Moment bin ich in Eile, daher suche ich ihn jetzt nicht raus, vielleicht später.

    Das Video mit Ariel Ardit finde ich übrigens. sehr schön.

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    1. Liebe Annette,

      bei mir haben die empirischen Untersuchungen genau das Gleiche gezeigt. Erst kürzlich gab es auf zwei Milongas eine Runde Piazzolla (eine bei uns, eine auswärts), bei der die Tanzfläche fast noch voller war als sonst. (Was ich nicht mal immer so toll finde…)

      Aber gut, dass Ideologen gerne einen irrealen Popanz aufbauen, ist ja nichts Neues.

      Den Artikel auf Deiner Website kenne ich natürlich und finde ihn sehr vernünftig.

      Herzliche Grüße
      Gerhard

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  2. Ich hab versucht, den Originaltext zu lesen. Musste leider nach 6 oder 7 Sätzen aufhören - bin nicht sicher ob jetzt meine Augen oder mein Gehirn angefangen haben zu schmerzen. Nicht nur wegen des grauenvollen Englisch. Sondern auch, weil die Gedanken des guten Mannes grauenvoll inkonsistent sind (okay, darauf hatte mich Gerhards Text schon vorbereitet). Liegt Untanzbarkeit jetzt am Tänzer - sein Vals- Beispiel weist darauf hin. Was auch meine Hypothese wäre. Oder am Stück selbst bzw am DJ, der es wagt etwas aufzulegen, was nicht jeder im Raum umsetzen kann (wo steht geschrieben, dass das so sein muss?). Wobei die Lösung doch einfach ist: Hören-entscheiden- wenn positiv, auffordern- wenn es funktioniert hat, tanzen. In dieser Reihenfolge.

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    1. Na ja, Augen und Gehirn hängen ja auch eng zusammen…

      Übrigens spricht Herr Anteski offenbar kein Englisch, sondern lässt sich seine Texte übersetzen.

      Ansonsten muss die Tangomusik halt so einfach sein, dass es jeder Dödel hinkriegt – und was der (gefühlte) „Lehrer der Tangolehrer“ nicht schafft, ist natürlich absolut untanzbar…

      Es ist übrigens schade, dass die Siedlung Wandlitz (eigentlich Bernau bei Berlin) inzwischen als Reha-Klinik genutzt wird – der Realitätsverlust bestimmter Herrschaften erinnert mich sehr an die Endphase des Politbüros der Ex-DDR. „Wende“ allerdings wohl nicht in Sicht.

      Danke für Deinen Kommentar!

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    2. "Für Ivica Anteski sind es dessen vier:

      · Die Intention des Orchesters
      · Die Vorhersehbarkeit des rhythmischen Musters
      · Die Dominanz des Sängers
      · Die Popularität
      "
      alle 4 Punkte sind falsch, was tanzbar ist und was nicht bestimmt nicht die Musik, Popularitat oder Sänger schon gar nicht die Vorhersehbarkeit eines rhyt. Musters sondern die Fähigkeit des Tänzers diese Punkte umzusetzen. Je nach Tanzlevel geht eben nur einfaches Tamtam oder komplexere Umsetzungsmöglichkeiten. Gerade der Tango den man auch einen Improvisationstanz nennt, so sollte man ihn auch so behandeln. Frau Ivica Anteski
      Ansinnen gibt es in der Standartsparte des Tangos, vieleicht hat sie sich nur vertan

      Bernd Corvers

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    3. Natürlich ist das falsch - es wird jedoch in der traditionellen Tangoszene zum Großteil so gesehen. Sonst könnte man ja auch mal Musik von nach 1960 auflegen.

      Übrigens kann man Ivica Anteski viel nachsagen – aber eine Frau ist er ausweislich seines Porträts wohl wirklich nicht:
      http://pocpal.blogspot.de/p/contact.html
      Und er ist nicht nur in Skopje als Tango-Veranstalter aktiv, sondern legt offenbar auch auf internationalen Veranstaltungen auf.

      Daher hielt ich es für nötig, Gegenpositionen zu formulieren.

      Danke für Ihren Kommentar!

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