Was Ihnen Ihr Tangolehrer nicht erzählt… 4
Noch
ein Artikel über die „Führen und Folgen“
genannte Illusion beim Tango? Ich weiß, dass ich hierzu schon öfters
geschrieben habe, zum Beispiel:
Einen
Trost fand ich jedoch neulich beim Blogger-Kollegen Yokoito: „Außerdem soll es ja bei Western auch nur 7
verschiedene Basis-Plots geben. Das hat auch noch keinen Filmemacher davon
abgehalten, einen neuen zu drehen.“
Na
eben! Mir fallen sogar zwei weitere Gründe ein: Für mich ist die Kommunikation der „Dreh- und Angelpunkt“
für besseres Tanzen – und außerdem plappert man in Kursen und erst gar im
Internet dazu immer noch den gleichen Blödsinn nach.
Ich
habe einmal bei Google den Suchbegriff „Der Mann führt beim Tango“ eingegeben.
Hier Resultate auf der ersten Seite der Suchmaschine:
„Für manche setzen
gar erste euphorische Momente ein, wenn sie hören, dass beim Tango noch eine
ausgesprochen klassische Rollenverteilung gilt. Der Mann führt, die Frau folgt.
Das gefällt. Endlich wieder Chef sein.“
„Der Mann hat dabei
die Aufgabe einen eigenen guten Führungsstil zu entwickeln, während die Frau
Freude daran hat, sich führen zu lassen. Beide akzeptieren diese polaren
Vorgaben. Würden sie bei jedem Tanz neu diskutieren, wer die Führung übernimmt,
gäbe es ein ziemliches Chaos – und die Freude wäre dahin.“
Man muss es sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen:
Die Website nennt sich „Weiblichkeit leben“ und bietet eine
Fülle von Bonbon-Semantik wie die folgende: „Es ist die ganz natürliche Schönheit, Eleganz und Würde
einer Frau, die sich jeden Moment ihrer Weiblichkeit gewahr ist, und diese
selbst genießt und ausdrückt. Es ist das Strahlen ihrer inneren Sonne, die den
Mann blendet und stehen bleiben lässt.“
Na gut, aber wie soll er dann noch tanzen?
„Die Essenz des Tango
Argentino ist das spannende Mysterium des Zusammentreffens von Mann und Frau in
ihren ursprünglichen, klar definierten Rollen. Der Mann führt die Bewegungen,
gibt Richtung und Figuren vor, improvisiert, bestimmt das Tempo. Er trägt die
Verantwortung, dass die Frau den Tanz genießen kann, dass keiner sie anstößt,
sie die Augen schließen kann. Die Frau folgt den Signalen des Mannes. Sie
komplettiert den Tanz und verziert ihn.“
Chocolate statt Bonbons – auch nicht schlecht!
„‚Beim Tango führt
der Mann als Macho‘, verdeutlicht Erwin Neander die Rollenverteilung. ‚Die Frau
überlässt dem Partner die Oberhand, er muss eindeutige Signale geben.‘“
Um die gebotene Steilvorlage zu verwandeln: Da der Herr
aus Düsseldorf stammt, dürfte sein Wohnsitz das Neandertal sein…
Nein, um es einmal ganz freundlich und zartfühlend zu
formulieren:
Wer heute immer noch
undifferenziert die Mär vom „Führen und Folgen“ verbreitet, hat vom Tango keine
Ahnung – aber davon jede Menge!
Erst gestern habe ich eine mir unbekannte Tänzerin
aufgefordert, welche sich Gott sei Dank nicht an diesen Quatsch hielt. An Eides
Statt kann ich versichern: Hätte ich diese Tanguera gezwungen, nur das zu
tanzen, was ich führte – mir wäre ein riesen Spaß entgangen!
Alsdann, zum hundertsten Mal und mit bescheidener Hoffnung
auf Erfolg:
Die gegenseitige
Verständigung im Paartanz erfolgt durch eine Körpersprache, also einen
nonverbalen Dialog!
Voraussetzung für ein sinnvolles
Gespräch ist schon mal, dass einer
redet, während der andere bei gleichzeitigem Schließen der Klappe die Ohren
aufmacht und die Verbindung zum Hirn freischaltet. Damit daraus aber kein
Monolog wird, müssen die Rollen wechseln:
Mal führt also der eine, mal die andere!
Natürlich ist ein „quotengerechter“ beiderseitiger
Redeanteil von fünfzig Prozent nicht Bedingung. Der hängt vom Anlass der Unterredung und dem Informationslevel der Beteiligten ab: Wollte
der Partner nur einen kurzen Überblick oder eine ausführliche Darlegung? Wenn
ein Erfahrener einem Anfänger etwas erklärt, wird Ersterer mehr sprechen.
Dennoch sollte er auf Zwischenfragen
sowie darauf achten, ob der andere noch
mitkommt oder bereits den Faden verloren hat.
Lassen die äußeren
Umstände überhaupt Zeit für ausführliche Erklärungen oder hat man ganz
schnell eine Botschaft zu überbringen?
Auf jeden Fall muss aber der mehr Redende (irrtümlich „Führender“
genannt) auch Fragen stellen und auf
die Antworten achten, beispielsweise:
·
Passt
das so für Dich oder soll ich Dir mehr Zeit lassen?
·
Kannst
Du Dich entspannen?
·
Bist
Du noch gut in der Balance?
·
Empfindest
Du die Musik so wie ich?
·
Was
hältst Du von mehr Dynamik – oder sind Dir Ruhe und Sanftheit lieber?
·
Willst
Du ein wenig enger tanzen oder ist der Abstand so in Ordnung?
·
Magst
Du auch einmal einen Vorschlag machen? Jetzt würde es gerade passen!
Ich empfinde „Führung“ stets als Anregung für den Tanzpartner.
Da der Größere eher den verfügbaren Platz überblickt, eröffnet er freie Räume.
Wie die Partnerin diese genau nutzt, ist ihre Sache – und sehr spannend! Wenn
ich es dann merke, kann ich entsprechend reagieren. Daher mein Standardsatz an
unsichere Anfängerinnen: „Mach, was Du
willst, ich tanze es dann mit!“
Je mehr Routine
beide Tanzenden haben, desto sinnloser wird der immer noch für wahr gehaltene
Grundsatz, nach welchem der Mann bestimmt, was getanzt wird, und die Frau es
lediglich ausführt! Das Ziel ist auf jeden Fall eine ausgewogene Mischung beider Rollen – und deren möglichst häufiger
Wechsel!
Dieser Grundsatz gilt selbstredend auch für die Kommunikation aller Paare auf dem
Parkett untereinander. Wie in der konservativen Tangofraktion gelegentlich in
seltener Erleuchtung festgestellt wird, tanzt man ja mit allen auf der Fläche!
Es ist nur ein Unterschied, welche Äußerungen bei
Platzproblemen ausgetauscht werden:
·
Das
ist mein Revier – komm mir ja nicht zu nahe!
·
Du
hast die Spur gewechselt – schäm Dich!
·
Diese
Figur ist nicht erlaubt!
·
Schon
wieder einer, der die Ronda durcheinander bringt!
·
Ich
muss jetzt hier an meiner Drehung schrauben – warte gefälligst!
Oder, wie es die Bloggerin Vio TangoForge einmal
ausgedrückt hat:
„Wenn Paare einander berührten, war
die Haltung generell: ‚Bitte unterbrich mich nicht mit einer Entschuldigung‘.
Wenn man auf dieser Veranstaltung
etwas Außergewöhnliches machte, lächelten die Leute dich an. Anstatt einer
egozentrischen Haltung zum wahren Besitzstand auf dem Parkett war die Reaktion:
‚Oh, das sieht cool aus. Braucht ihr ein bisschen mehr Platz? Dann gehen wir
hier hinüber.‘”
Man muss es kaum dazu sagen: Vio berichtete von einer Neo-Milonga:
Regeln zur
Parkettbenutzung braucht man halt nur, wenn choreografische
Routine oder geistige Beweglichkeit zum Ausweichen fehlen!
Auch die Kommunikation
mit dem DJ (oder gar den Live-Musikern) könnte so funktionieren: Gute
Vertreter dieser Spezies sehen und fühlen es, wenn ihr Spiel die Tänzer auf die
Piste lockt und fasziniert – falls sie es fertig bringen, nicht ständig auf den
Bildschirm oder die Noten zu starren. Und Tanzende können dem DJ oder der
Kapelle zeigen, ob sie ein Stück inspiriert. Nur falls man nicht über diese
Körpersprache verfügt, muss man anschließend zum Pult kommen und die Betreffenden
verbal anranzen!
Ein letzter Tipp:
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