Liebes Tagebuch… 24
"Sie ziehen den Umgang
mit Menschen einer Beschäftigung hinter dem Schreibtisch vermutlich vor.
Besonders heute brauchen Sie direkte Kontakte. Sie finden leicht das richtige
Wort. Möglicherweise fällt es Ihnen heute schwer, Situationen klar mit dem
Verstand zu erfassen, denn das Gefühl funkt Ihnen dazwischen."
Irgendwie,
so fanden wir, sollten wir uns – nach sicherlich einem Jahr Pause – einmal wieder
in der uns benachbarten großen Metropole beim Tango sehen lassen.
Auf
dem Programm stand eine Milonga mit fifty-fifty gemischter Musik – was nach
unseren Branchenkenntnissen bedeutete: Die eine Hälfte Tango, die andere Hälfte
keiner. Na gut, sei’s drum, besser als nichts! Und um es vorwegzunehmen:
Durchwegs nette Tänzer/innen, schöne Stimmung – keine Kritik also an der
Veranstalterin, die sich wirklich Mühe gibt, die einzelnen Fraktionen des Tango
gut zu bedienen.
Das Drumherum interessierte uns eher weniger: Eine Astrologin würde als „Begleitprogramm“
im Nebenraum „über den Einfluss von
Neumond und Venus“ in Kurzvorträgen referieren: „Energie für Harmonie, Schönheit, Gleichklang
und Beziehungen“.
Ob
die Sterndeuterin, welche eine Stunde nach Beginn in der Milonga aufschlug und
entsprechend vorgestellt wurde, mit ihren Referaten reüssierte, vermag ich
nicht zu beurteilen, da ich lieber weitertanzte – zumal nach dem Kompliment
einer von mir aufgeforderten, unbekannten Tanguera: „Das war jetzt besser als Astrologie!“
Gewisse
Eindrücke sprachen gegen einen größeren Widerhall der Lehre vom Einfluss der Sterne auf den menschlichen Charakter. Vielleicht lag es auch an der stocknüchternen Atmosphäre
des Gastzimmers eines Sport-Vereinsheims, die esoterische Schwingungen so gar
nicht aufkommen ließ…
Auf
jeden Fall nutzte ich die Zeit, in der mal wieder kein Tango gespielt wurde, zu
einer Zigarettenpause im Hof, wo ich mich sicherheitshalber einen Tisch
entfernt von der Astrologin setzte, die gerade von einem gestreifthemdigen
Tango-Oppa zugetextet wurde.
Als
ich wieder in den Tanzsaal zurückkehren wollte, musste ich zwangsläufig an dem
ungleichen Paar vorbei. Bereits wieder zwei Schritte entfernt sprach die Dame
einen etwas lauteren Satz, den ich gleichwohl nicht verstand (und auch nicht
darauf achtete).
Doch
offenbar meinte die Astrologin mich, da sie nunmehr, noch lauter und somit
verständlich, in meine Richtung sprach: „Der
merkt gar nicht, wenn man mit ihm redet!“
Höflicherweise
blieb ich stehen und fragte: „Ach, war
ich gemeint“?
Via Therapeutenblick wurde ich mit der Gegenfrage konfrontiert: „Alles in Ordnung mit dir? Geht’s dir gut?“
„Ja, doch, klar!“
„Schon viel getanzt,
was?“
„Na sicher.“
„Hast einen sitzen? DAA ist
der Aschenbecher!!“
Weil
ich den Aschenbecher in der Dunkelheit übersehen hatte, wäre meine
(ausgedrückte) Zigarette doch beinahe im Mülleimer gelandet!
Da
mich meine Schlagfertigkeit in dieser Situation völlig im Stich ließ, betrat
ich stumm, aber zügig wieder den Tanzsaal. Dass ich schlecht rieche, beim
Tanzen mit offenem Mund sabbere und keine Frau sich von mir auffordern lässt,
weiß ich ja schon. Aber jetzt auch noch besoffen? Hatte mir jemand Schnaps in
den Orangensaft getan? Oder einer was in ihr Getränk?
Natürlich
hätte ich antworten können: „Als
Astrologin musst du doch wissen, wie’s mir geht.“ Wäre aber Unsinn gewesen –
sie kannte ja mein Geburtsdatum (22.12., also Steinbock) nicht. Die „Energie für Harmonie, Schönheit, Gleichklang und Beziehungen“ hatte
mir die Venus allerdings geraubt.
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