Was Ihnen Ihr Tangolehrer nicht erzählt… 3
So
kann es weitergehen! Kaum hatte ich Peter Ripotas Gastbeitrag in meiner neuen
Serie „Was Ihnen Ihr Tangolehrer nicht
erzählt“ veröffentlicht, erreichte mich der nächste Text aus dem
Nebenzimmer:
Schon
öfters hatte ich meine Frau um einen Artikel für mein Blog gebeten – nun, zu
Beginn ihres „Ruhestands“ (im Hauptberuf!) bekam ich meine Chance. Karin
beleuchtet das Tanzen – wie könnte es anders sein – aus der Perspektive einer
Musikerin, mit bedenkenswerten Parallelen.
Dafür
meinen herzlichen Dank – und nun „Bühne frei“:
Karin Law Robinson-Riedl: Das M.M. und der Tanz
Unerbittlich
ticktackt und wackelt Mälzels Metronom die Schläge pro Minute –
Albtraum aller Musiklernenden: die Spannung steigt – gleich kommt „DIE Stelle“
im Stück, wo sich die Finger in der 32-stel Kaskade bei DIESEM Tempo garantiert
wieder mal ausweglos verheddern werden! Da träumt der Schüler von einem Leben
ohne Metronom.
Und
die gab es – bevor Johann Nepomuk Mälzel
(1772-1838), ein vom Zeitgeist beflügelter Maschinen-Enthusiast – mit diesem
Apparat den üblichen Begriffen wie Andante, Menuett usw. eine scheinbar klare
Spielanweisung verlieh. Jene Termini reichten aus, so lange sich die Musiker an
überlieferten Tempi zu orientieren wussten, z.B. am natürlichen Fluss der
jeweiligen Tänze.
Was
aber, wenn diese nicht mehr getanzt wurden? Oder wenn die Komponisten zu
Lebzeiten ihre Werke nicht mehr vorstellen konnten? Dem ertaubenden Beethoven
waren diese Probleme leidvoll bewusst:
„In einem Brief
schreibt er 1826 an seinen Verleger Schott: ‚Die Metronomisierung [für die Missa solemnis] folgt
nächstens. Warten Sie ja darauf. In unserem Jahrhundert ist dergleichen sicher
nötig; auch habe ich Briefe von Berlin, dass die erste Aufführung der [neunten]
Symphonie mit enthusiastischem Beifall vor sich gegangen ist, welches ich
großenteils der Metronomisierung zuschreibe. Wir können beinahe keine tempi
ordinari mehr haben, indem man sich nach den Ideen des freien Genius richten
muss.‘“
Und
doch wackelt auch dieser scheinbar sichere, Authentizität garantierende Halt in
der Musik:
„M. M.-Angaben, die
für den jeweiligen Notenwert die Anzahl der Schläge pro Minute festlegen,
werden oft noch nachträglich und nicht unbedingt von des Komponisten Hand in
Partituren eingetragen. Beethoven selbst metronomisiert mit großem
Arbeitsaufwand nur 25 seiner insgesamt über 400 Werke…“
Zudem
erlaubt z.B. das Gehtempo eines „Andante“ eine Variation von 76 -108 Schlägen
pro Minute auf Mälzels Skala. Die „Spielbarkeit“ von Stücken hat sich im Lauf
der Entwicklung der Technik von Instrumenten und Ausübenden erhöht. Wie oft schon
erwies sich der Vorwurf der „Unspielbarkeit“ von Kompositionen nach Jahren und
Jahrzehnten als unhaltbar!
So
ist also der Musiker letztlich auf sich gestellt: Wie will ER die Komposition
gestalten?
Natürlich
studiert er pflichtbewusst vorhandene Interpretationen, liest die M.M.-
Angaben, so verfügbar, kümmert sich um den Hintergrund von Text und Musik, um
die technische Sauberkeit der Darbietung.
Aber
letztlich muss er ein ganz persönliches
Bild des Werkes mit Tönen malen – so wie es der Tänzer mit seinen Füßen auf
dem Parkett entstehen lässt.
Tanzen
ist Umsetzung der Musik in Bewegung. Das klingt banal, trotzdem wird es oft
vergessen.
„Tanz-Figuren“
Lernen – das sind in der Musik „Turnübungen“ auf Saiten, Tasten oder mit
Stimmbändern – unerlässliche Voraussetzungen also, aber Musik und Tanz
entstehen so noch nicht!
Jedes
Musikstück bedeutet eine Herausforderung, von welcher Dimension auch immer. Die
Achtung vor Textdichtern und Komponisten verlangt eine respektvolle und
überlegte Umsetzung.
Erst mit dem Schönberg-Kreis begann der systematische Versuch, Beethovens Notation zu vertrauen. Rudolf Kolisch, Primgeiger des einflussreichen Kolisch-Quartetts und Schwager Schönbergs, veröffentlichte im amerikanischen Exil 1943 den Aufsatz Tempo and Character in Beethoven’s Music. Darin erkannte er nicht nur die Schlüssigkeit von Beethovens musikalischem Zeitensystem an, Kolisch lieferte durch den Vergleich von Sätzen ähnlicher Tempokategorien auch wichtige Hinweise für die Spielgeschwindigkeit nicht metronomisierter Werke.“
„Und doch verbirgt
sich hinter den Tempobestimmungen Beethovens ein großes Rätsel, dessen
Auflösung die Musikwelt noch immer in Atem hält. Lange Zeit war sie beinahe
ausschließlich damit beschäftigt, nachzuweisen, dass sich der größte Komponist
aller Zeiten nur geirrt haben kann. Da die teils rasanten und in sich auch
unrunden Tempi mit einem weihevollen Beethovenbild so gar nicht zusammen passen
wollten, suchte man Erklärungen für das scheinbare Versagen des Genies: Kaputt
sei das Metronom, der taube Musiker zudem in einer stürzenden musikalischen
Innenwelt gefangen gewesen. (…)
Erst mit dem Schönberg-Kreis begann der systematische Versuch, Beethovens Notation zu vertrauen. Rudolf Kolisch, Primgeiger des einflussreichen Kolisch-Quartetts und Schwager Schönbergs, veröffentlichte im amerikanischen Exil 1943 den Aufsatz Tempo and Character in Beethoven’s Music. Darin erkannte er nicht nur die Schlüssigkeit von Beethovens musikalischem Zeitensystem an, Kolisch lieferte durch den Vergleich von Sätzen ähnlicher Tempokategorien auch wichtige Hinweise für die Spielgeschwindigkeit nicht metronomisierter Werke.“
Und
was die berühmte „Spiel- oder Tanzbarkeit“ betrifft: Sie ist eine Frage des
eigenen Könnens und Mutes, nicht die einer allgemeinen Definition. Tempo und
Technik sind historische Größen – so lässt sich diese musikalische Aussage
problemlos als Bemerkung zum Tanzen lesen:
„Die Moderne hat
keine Probleme mehr mit einem rasenden Beethoven, sie erkennt in ihm einen
verwandten Geist. (…) an Tempi, die vor gar nicht langer Zeit noch als
unspielbar galten, will keiner mehr rütteln. Beethoven fliegt uns um die Ohren.
Endlich.“
(Quelle:
http://www.kultiversum.de/Musik-Partituren/Essay-Metronom-Maelzel-Ticktackticktackticktack.html)
Zur Autorin:
Karin
Law Robinson-Riedl spielt seit über 50 Jahren Geige; ab den 1980-er Jahren
erfüllte sie sich einen Kindheitstraum: zu singen. Ihr Repertoire umfasst die
Kirchenmusik, aber auch das Musiktheater von Oper bis Musical, das Chanson –
und den Tango. Neben ihren vielen Verpflichtungen als Leiterin des Pörnbacher
Kirchenchors musiziert sie in diversen Ensembles und wird auch oft solistisch
engagiert. Näheres findet man hier:
In der Tanzschule unserer Wahl (wo wir unsre Milonga abhalten) wird beim Unterricht der anderen auch nach Metronom getanzt. Den Takt gibt die Lehrerin vor, mit Mikrofon und verinnerlichtem Rhythmus. Wenn aber dann der Tanz das Tempo wechselt, sind die Metronom-Anhänger verloren. Vielleicht sollte eine guter Tangolehrer seinen Schülern beibringen, ohne inneres Metronom zu tanzen, das wäre nicht nur angemessen, sondern sogar befreiend.
AntwortenLöschenMein Rat an Tanzlehrer ist halt immer wieder der gleiche:
LöschenMikrofon weglegen und mit den Schülern tanzen – das hält auch selber jung und fit!
Haptisch kriegt man den Rhythmus viel schneller als durch das via Vorzählen implantierte Metronom.
Vielleicht sogar Takt, Phrasierung, Tempowechsel und Pausen.
Aber ein Tanzlehrer, der selber tanzt… in fast 50 Jahren auf dem Parkett waren das für mich sehr seltene Erfahrungen!
Hallo liebe Karin,
AntwortenLöschenmit Vergleichen zwischen Tanzen und Musizieren beschäftige ich mich auch. Da würde ich gern auch etwas dazusenfen (nachdem hier endlich unsere DSL wieder funktioniert, der folgende Beitrag ist nämlich schon ein paar Tage alt):
Sowohl beim Musizieren als auch beim Tanzen gibt es „Führen“ und „Folgen“. In den Tango-Arrangements in unserem Septett gibt es Melodien und Begleitungen, wobei die Rollen wechseln. Alle bemühen sich, die Melodien und Melodiefragmente, also die kleinen Soli und Einwürfe, zu unterstützen. Die Begleitung „folgt“ also. Wobei ich mit dem Klavier in den meisten Stücken beides habe, ab und zu ein kleines Solo, und vor allem Begleitung. Natürlich führen unsere Sängerin (oder die Geige, das Bandoneon, die Klarinette, das Cello, oder mehrere meistens, was Temposchwankungen angeht, aber auch sie folgen, wenn die Melodie längere Töne hat und die Begleitung den Rhythmusvogibt. Das ist das schöne, wenn diese Rollen abwechseln und das funktioniert.
Auch die verschiedenen Soli sind meistens Dialoge, da die Melodie zwischen den Instrumenten wechseln. Wer die Melodie hat, hat auch Einfluß auf das Tempo, er oder sie „führt“, wer begleitet, „folgt“. Bei Tangomusik hat man es ja auch mit Ritardandos, Beschleunigungen und Fermaten zu tun. Es passt erst, wenn alle aufeinander hören, dann kann man auch als Septett mit Tempoänderungen umgehen. Ich behaupte nicht, dass das immer gleich klappt, oder dass wir das immer super hinkriegen. Aber es ist eine Lust und Freude, wenn es gelingt.
Unser Ensembleleiter ist übrigens strikt dagegen, dass wir mit Metronom üben, denn so starr soll der Rhythmus auf keinen Fall sein. Wir sollen aufeinander hören und Kontakt untereinander halten. Dies ist wirklich die wichtigste Essenz des Zusammenspiels. Eine Metronomangabe, die er auch oft macht, dient nur dazu, ein ungefähres Tempo vorzugeben. (Ich mag z.B. auch keinen „Techno“, weil der viel zu starr im Tempo ist. Und wie Peter Ripota oben schreibt, tanzen nach Metronom stelle ich mir grauenhaft vor.)
Beim Tangotanzen wechseln die Rollen zwar weniger, aber es wird nur schön, wenn beide aufeinander achten und der Führende auch auf Impulse der Folgenden und auf die Musik reagiert. Ich liebe Tangos, die im Tempo nicht starr sind, sondern interessante Melodien haben, mit Verzögerungen, Rubatos und Tempoänderungen. Wenn dann ein Paar darauf reagiert, ist das ein Glück, so wie gemeinsames Musizieren. Und dafür sind Impulse von beiden nötig.
Viele Grüße von Annette
Liebe Kommentatoren,
AntwortenLöschenvielen Dank für Eure Anmerkungen zu meinem Beitrag!
@ Annette
Wie passend der Vergleich mit dem sogenannten „Führen und Folgen“ im Musikensemble!
Nehmen wir an, einer muss endlose Schlangen aus Sechzehnteln spielen, der andere hat die luftig-leichte Melodie – Chaos pur, wenn Letzterer vor lauter Begeisterung so richtig schnell loslegt und der arme Begleitende sich in seinen Kaskaden „derrennt“.
Oder umgekehrt: Einer beharrt auf dem Gleichmaß seiner Läufe und „verbietet“ dem Melodieführer jegliche Abweichung in Tempo und Dynamik, damit bloß nichts durcheinandergerät.
So kann’s nichts werden!
Zur Ehrenrettung des Metronoms:
Es bewahrt vor Selbstbetrug: Schaffe ich eine Passage wirklich souverän in einem bestimmten Tempo oder werde ich an irgendeiner schweren Stelle doch langsamer, als ich eigentlich will, weil ich es noch nicht schneller hinbekomme?
Manchmal können auch gemeinsame Proben mit Ensembles aus organisatorischen Gründen nicht so häufig stattfinden wie erwünscht. Hier sind Angaben einer „Richtgeschwindigkeit“ für die Stücke im Vorfeld für alle ganz nützlich, sodass sich jeder ungefähr darauf einstellen kann.
Das endgültige Tempo, die wirkliche Musik wie auch der einmalige, da nicht vollkommen wiederholbare Tanz entsteht natürlich erst im Zusammenspiel!
@ Peter und Gerhard
Nach Ansage tanzen – das kennen wir doch aus unserer Ur-Tanzstundenzeit: „Eins – zwei – drei – und links – und rechts – die Dame dreht…“ So klang das - und klingt es noch heute auf den Abschlussbällen der jungen Leute gleich zu Beginn bei der rituellen Polonaise mit anschließendem Walzer: Die jungen Männer im ungewohnten edlen Zwirn mit drückendem Krawattenknoten am Hals, die Mädchen auf gefährlich hohen Stöckeln, bemüht, dass das feine Kleid und die mühsam gestylte Frisur nicht durcheinander geraten. Im Kopf die schwierigen Abfolgen der ersten Schritte auf dem Parkett, auch noch vor Publikum! Das erzeugt steinerne Mienen, einen auf die verinnerlichten Kommandos gerichteten Blick, wo man schmachtende Augen wegen der Eleganz des Partners und der Lieblichkeit der Damen erwarten sollte, ganz zu schweigen von einem Leuchten wegen der Musik…
O je! Der schwungvollste Marsch, die schmelzendsten Walzerklänge werden zu Taktgebern und Zeremonienmeistern für die Bewegungen, die man möglichst korrekt abliefert!
Um nicht missverstanden zu werden: Diese alte, leicht verstaubte, gut bürgerliche resp. adelige Tradition ist mir aus unzähligen Ballbesuchen wohl vertraut. Ich habe sie immer sehr gemocht und liebe sie noch immer.
Welches Glück aber, wenn ich bei Tanz-Ereignissen, ob beim Ball oder beim Tango, Partner hatte (und habe!), welche die gleiche Begeisterung für die Musik und deren Umsetzung in Bewegung hatten wie ich! Bis heute zieht es mich nicht auf’s Parkett, weil ich Anweisungen tanzen möchte, sondern weil mir bestimmte Musikstücke und Rhythmen einfach in die Beine fahren, so dass ich nicht stillsitzen kann.
Ein Metronom schafft das nicht!
Herzliche Grüße
Karin