Lügen tränen nicht
„Die
große Stadt lockt mit ihrem Glanz,
mit schönen Frauen, mit Musik und Tanz.
Doch der Schein hält nie, was er Dir verspricht.
Kehr endlich um. Tränen lügen nicht.“
mit schönen Frauen, mit Musik und Tanz.
Doch der Schein hält nie, was er Dir verspricht.
Kehr endlich um. Tränen lügen nicht.“
(Michael
Holm: „Tränen lügen nicht“)
Waterloo scheint derzeit nicht weit von
München entfernt zu sein: Fast zeitgleich verkündete der Doyen des
hauptstädtischen Tangos, Jürgen Krebes,
das Aus für den freitäglichen „Vintage
Club“, und Theresa Faus schließt
(wohl ziemlich unvermittelt und überraschend) per Ordre vom fernen Buenos Aires
aus ihr „Tango LAB“.
In der Facebook-Gruppe
„Tango München“ (auf die ich lieber nur hier eingehe, um mir keine Löschung
einzufangen) versammeln sich erwartungsgemäß die Reptilien zum gemeinsamen
Tränenverguss:
„Schade!“
„Sehr
schade!“
„Ich
finde es muy muy triste.“
Wie dort üblich, ist man sich sehr schnell
über die Schuldigen einig: Die von treulosen Gästen besuchten Open-Air-Milongas
am Königsplatz, veranstaltet vom umtriebigen Levent Göksu:
„Wenn
wir Tänzer nun bei schönem Wetter eher eine kostenlose Freiluftmilonga
aufsuchen und die Veranstalter, die uns auch im Winter und bei Regenwetter
etwas zu bieten haben im Stich lassen, dann ist genau das die zu erwartende
Folge.“
„Ich
verstehe die Verbitterung eines Veranstalters, wenn seine liebevoll und teuer
vorbereitete Milonga (zeitweise) weniger besucht wird, weil es bei unserer
leider so kurzen Schönwetterperiode Alternativen gibt.“
„… dass
wenn man im Sommer seine Lieblingsmilonga nicht unterstützt und stattdessen
lieber dahin geht, wo es gratis ist, man sich nicht wundern muss, wenn eben
jene Lieblingsmilonga die Pforten schließen muss.“
Nur nebenbei: Der türkische Neu-Veranstalter
kündigt keineswegs eine „Gratis-Milonga“ an, sondern hält die Kopfbedeckung
auf: „Karmaausgleich / Spende in Hut“. Aber wenn man
selber über kein Karma verfügt, muss man ja auch keines ausgleichen…
Ich
hatte es schon vor einem halben Jahr vorausgesehen, dass Levent Göksu mit seiner chaotisch-sympathischen Lockerheit die
hauptstädtische Szene aufmischen dürfte:
Selber besuche ich schon lange keine
traditionelle Milonga in München mehr, da mich schon die Ankündigungen
hinsichtlich zu erwartender Códigos abschrecken:
„Wir freuen uns auf
alle, die traditionelle Tangomusik, gepflegtes Tanzen und respektvollen Umgang
miteinander schätzen und lieben, – Aficionados eben und solche, die es werden
möchten.“ (Vintage
Club)
„Wir
legen Wert auf einen harmonischen Tanzfluss und rufen notorische Kreuz-und-Quer
Tänzer diskret zur Ordnung. Für Anfänger und experimentierfreudige Tänzer gibt
es einen seperaten Bereich für ungestörtes Üben.“ (das an selber Stelle
stattfindende „Tango Café“)
Die Milongas in der Sonnenstraße (früher ja
von Marina Jablonski veranstaltet)
waren für uns lange Zeit „Pflichtprogramm“ – trotz der eher konservativen
Musikausrichtung. Es herrschte zumindest eine lockere Stimmung. Damals mussten
wir uns wenigstens noch nicht androhen lassen, bei Verstößen gegen die
Tanzflächen-Benutzungsordnung abgemahnt oder ins Exil neben dem Parkett
verbannt zu werden.
Ein Kommentator auf Facebook stellt eine
Frage, der nachzugehen sich für Münchner Organisatoren lohnen würde:
„Warum funktionieren manche
Dinge und andere nicht... ich glaube, diese Frage ist wohl wichtiger...“
Sehr wahr, und sicherlich wird man die
Antwort nicht durch Tränen oder Lügen finden - und schon gar nicht durch deren Kombination.
Und speziell zu Jürgen Krebes, dessen Verdienste um den Münchner Tango ich durchaus
anerkenne, jetzt doch einmal ein Wort, das ich mir seit Jahren verkniffen habe:
Lange Zeit waren wir auch Stammgäste im „La
Tierrita“, weil man dort wirklich gepflegt tanzen konnte. Das
Aufforderungsverhalten der männlichen Gäste (den Hausherrn eingeschlossen) war
jedoch eine Katastrophe: Man nahm es zwar gefasst zur Kenntnis, dass ich dort
reihum mit den anwesenden Damen tanzte – meine Frau allerdings ließen die
zugehörigen Herren konsequent sitzen. „Sozialer Tango“? Ich fürchte, die
meisten Pappnasen, welche heute diesen Begriff verwenden, haben nicht die Spur
einer Ahnung, was er bedeutet…
Wir besuchen seitdem Milongas in hundert
Kilometern Umkreis, weil wir dort – im Gegensatz zu München – das finden, was
uns zum Tango zieht: Aufgeschlossenheit, Interesse an allen(!) Gästen und
manchmal sogar abwechslungsreiche Musik – und nicht verkniffenes Rechthabertum
und Parkettbenutzungs-Kontrolle.
Die Ankündigung von Theresa Faus könnte
hoffnungsfroh stimmen: „Wir gehen in eine Phase der Reflektion und
Neuorientierung ...“ Sollte
sie hierbei „Reflexion“ meinen, würde ich anregen, einmal über die Frage
nachzudenken, ob es Besucher einer Freizeitveranstaltung (auch wenn sie
traditionelle Tangos schätzen) nicht eher abschreckt, schon im Vorfeld mit „Spielregeln“
bedroht zu werden. Und auf die „Neuorientierung" bin ich höchst gespannt...
Ob
es nun regnet oder schneit: Beim Konkurrenten Levent Göksu darf offenbar jeder spinnen, wie er will (tut er ja
selber auch).
Momentan ist leider die Frage eines
Facebook-Kommentators relativ einfach zu beantworten: „Was ist nur in München los??“
Lieber Gerhard
AntwortenLöschenEs gibt doch noch tröstliche und erfreuliche schlechte Nachrichten.
Dieser Wahn der engen Haltung hat einmal in Salzburg dazu geführt, daß mich eine sehr kräftige (und auch sehr gute) Tänzerin unvermittelt und ruckartig mit nicht zu wenig Kraft an sich gerissen hat. Mein Kopf schwebte dann über einer beträchtlichen Fülle an Frau, mein Bewegungsspielraum war bei Null und das Ergebnis war das was wir, als ich zwischen vierzehn und achtzehn war, unter uns Freunden beim 5-Uhr-Tee einen Lamourhatscher nannten.
Aus dem Dialekt-Wörterbuch:
Lamourhatscher, der
[lamúa-hadscha]
Bedeutung: sehr langsames Musikstück, zu dem man eng umschlungen tanzt
Beispielsatz: "Da spüns an Lamourhatscher nochm ondan."
Ps.: sehr umschlungen und mit wenig Bewegung
Was damals zwecks Findung einer Partnerin oder zum Abbau des Testosteron-Überangebotes erstrebenswert war, ist mir heute mit "irgendwelchen" Tänzerinnen kein Bedürfnis. Jedenfalls nicht, wenn ich Tanzen will und weil ich diese Bedürfnisse zu Hause decke. Wenn beim Tango, dann mit meiner Frau und nur mit ein paar Musikstücken.
Dann will ich wieder Tanzen, mit dem entsprechenden Spielraum für interessante Bewegungen und nicht in der "engen Haltung", was immer das ist...einschließlich Verrenkung der Frau in Schulter und Hüfte bis zur Aufhebung ihrer Gehfähigkeit, sodass nur mehr die Aushebelung ihres Körpers und die Abschleppung wie beim ADAC oder bei uns beim ÖAMTC oder ARBÖ bleibt (Wir haben in allen Lebenslagen für die Mitglieder der zwei ehemals "Großparteien" eine eigene Organisation. Wahrscheinlich auch bei den Milongas).
When we are out together, dancing cheek to cheek ist laut Frank Sinatra für die Geliebte vorgesehen. Das ist bei mir noch immer so. Ich möchte mich nicht so überschätzen, dass ich dieses Angebot jeder Frau bei jeder Milonga machen kann. Ich bin in der Haltung so konservativ (nicht bei den Tanzbewegungen), dass ich die Körpersprache des Cheek To Cheek sehr ernst nehme und ich freu mich darüber. So nebenbei freut sich auch meine Frau.
Eine Weiterentwicklung für die EDO-Milongas wäre der Stehtanz. Hat es in den Sechzigern gegeben. Es blieb ein bisschen Hüftschwung und die Gewichtsverlagerung von einem Fuß auf den anderen. Mann und Frau konnten sich auch aneinander fesseln, um die Bindung noch enger zu machen. Es gab keine Verkehrsprobleme, jedenfalls nicht in der Ronda. So war es möglich, die Verhaltensweisen und die emotionalen Fähigkeiten und Rücksichtnahmen des Erwählten Partners in engster Haltung herauszufinden und zu testen. Und das mehrmals am Abend mit möglichst vielen Tänzern im Sinne eines sozialen Stehtanz-Tangos….
Natürlich nur für Frauen und Männer mit einem großen Herzen und viel Platz für die Aufnahme so vieler emotionaler Impulse. Ich bekenne, ich wäre dafür eine zu kleine Nummer, hätte ein zu kleines Herz oder wäre einigermaßen überbewegt.
Aber ich will ja nur Tanzen, mit einem System, das mir wegen der Improvisation in Rhythmus und Bewegung alle Türen öffnet, wie kein Tanz zuvor. Ich freu mich auf die nächste völlig unreglementierte Milonga. Auch mit mehreren Tanzpartnerinnen für Experimente und viele erfreuliche Tanzerlebnisse.
Herzliche Grüße aus dem Salzkammergut
Peter Baumgartner
Lieber Peter,
Löschenso köstliche Begriffe wie „Lamourhatscher“ können nur aus Österreich stammen, vielen Dank!
Dennoch sehe ich keine Parallelen zum „bewegungsreduzierten“ Tango – das ist zwar ein Hatscher, aber ohne „l’amour“…
Und ach, „cheek to cheek“ Tanzen kann schon mal ganz nett sein, mit wem auch immer, ist mir aber auf Dauer eindeutig zu langweilig. Die Art der Umarmung ist für mich ein Stilmittel zur Musikinterpretation, das man so variabel wie möglich einsetzen sollte.
Herzliche Grüße
Gerhard