Karen Kaye: Ich war nackt auf der Bühne
Nun muss ich doch meinem Vorsatz untreu werden und
noch einen Artikel der kalifornischen Bloggerin übersetzen!
Der Grund: Ich hatte mich bislang ausschließlich für
ihre Texte in der Rubrik „Dance“
interessiert. Unter dem Label „Happy Life
Seekers“ fand ich nun einen Beitrag, der auf den ersten Blick so gar nichts
mit Tango zu tun hat – zumindest in der heute üblichen, ziemlich verspießerten
Version. Früher… na ja, vielleicht schon eher.
Auf den zweiten Blick jedoch... nun, urteilen Sie
zunächst selbst!
Ich war nackt auf der Bühne
Gestern Abend wurde ich in letzter Minute als nackte Statue bei „Pageant of the Masters“ in Laguna Beach, Kalifornien, engagiert, wo klassische
Kunstwerke neu geschaffen werden, indem man lebende Modelle einsetzt.
Als ich ankam, zeigten sie mir mein Kostüm. Es bestand aus einem
Stringtanga und einer Manschette ums Handgelenk, um dieses an dem Gestell zu
befestigen, gegen das ich gelehnt war. Den Rest des Kostüms bildete ein Eimer
Bronzefarbe.
Mein Job für den Abend war simpel: Ich musste auf der Bühne die Pose für 90
Sekunden halten. Aber dies ist keine gewöhnliche Show. Ein Publikum von 3000
Leuten würde alle Augen auf mir haben, und die meisten benützten wohl
Ferngläser, so dass sie mich in meiner Haltung sehr nahe beobachten konnten. Ich
bin 41. Welche Vierzigjährige möchte,
dass 3000 Menschen ihren nackten Körper mit Ferngläsern studieren?
Nun, ich tat es. Einige Jahre lang war das schon mein Traum, und
schließlich wurde ich engagiert. Ich
wollte es machen, weil es eine so einzigartige Erfahrung war – besonders in
meinem Alter. Die anderen Nacktmodelle sind gewöhnlich um die Zwanzig. Aber ich
hatte dies an einem Punkt meines Lebens zu tun, wo die meisten Frauen das
Telefon aufgelegt hätten mit den Worten: „Zur Hölle, nein!“
Es hatten jedoch
bestimmte Dinge zu geschehen, damit ich zu dieser Erfahrung kam.
Es war klar, dass ich
zur Rolle passen musste. Nackte Stauen müssen typischerweise schlanke Modelle
sein. Hier zahlten sich für mich strikte Diät und Training aus. Sie belohnten
mich mit einer Chance, die ich andernfalls nicht gehabt hätte. Wenn wir älter
werden, sind wir versucht, „uns gehen zu lassen“. Sich gehen zu lassen kann bedeuten, Chancen zu vergeben. Ich
versuche, jugendlich, stark und unternehmungslustig genug zu sein, sodass ich
mich voll ausleben kann – ob bei verrückten Acroyoga-Posen, auf der Wanderung
zum Machu Picchu oder beim ungezwungenen „dance walking“ (https://karenkaye.net/2012/06/11/i-went-dance-walking/)
Sobald ich hörte,
dass jemand gebraucht wurde, stürzte ich mich darauf. Ich rief dort an und
bewarb mich. Chancen haben oft sehr
kleine Fenster. Man muss schnell sein, wenn das Fenster aufgeht (oder die
Inspiration einen packt).
Und zuletzt: Ich kümmerte mich nicht darum, was andere
dachten. Mir war es egal, dass mein Körper per Fernglas beurteilt wurde.
Mir war es egal, was andere über mich dachten, als ich meinen nackten kleinen
Körper auf der Bühne zur Schau stellte – weil mir diese Urteile nichts bedeuten.
Ich bin selber verantwortlich für mein
Leben; Ihre Meinungen und Urteile bringen mich nicht von dem ab, was sich
für mich gut anfühlt. Ich gebe anderen
nicht so viel Macht über mich.
Deshalb sagte ich Ja,
als der Rückruf kam, dass man mich als erotische Tänzerin mit einem Ball
(„bubble dancer“) wollte. Ich sagte Ja dazu, eine Position auf meiner
Wunschliste abzuhaken. Ich hätte Nein sagen können: aus Angst, Unsicherheit
oder wegen der Werturteile, aber das hätte bedeutet, mich von meinem Ego
kontrollieren zu lassen.
Anm. d. Übers.: Wem der Begriff "bubble dance" nichts sagt:
Anm. d. Übers.: Wem der Begriff "bubble dance" nichts sagt:
Als ich nackt in
meiner Pose stand und wartete, dass sich der Vorhang öffnete, war ich in meiner
Erinnerung verblüfft, wie ruhig und stabil ich mich in meiner Haut fühlte. In
diesem Moment verstand ich, wie es
sich anfühlt, verletzlich und dennoch frei von Ego und Angst zu sein. Und DAS
war die wirklich phänomenale, einzigartige Erfahrung dieses Abends.
Und
hier der Originaltext:
Mir
ist natürlich klar, dass ich nach Veröffentlichung dieses Textes ziemlich viele
Riechfläschchen bräuchte, um in Ohnmacht gefallene Tangueras der heutigen Art
wiederzubeleben (sofern ich dies für sinnvoll hielte) – von den
Abscheubekundungen der zugehörigen männlichen Gralshüter des
neu-viktorianischen Tango ganz zu schweigen.
Was
hat solch sittenloses Verhalten einer midlifecrisis-geplagten kalifornischen
Exhibitionistin mit unserem seelenvollen Tanz zu tun?
Nun,
vielleicht dies: Diese Frau erfüllt sich ihre Träume, indem sie selbstständig
und ohne Rücksicht auf komische Blicke ihrer Umgebung die Dinge anpackt. Es ist
ihr egal, was Onkel, Tante, Tangolehrer, eventueller Partner oder
Moralin-Blogger davon halten.
Sie
tut etwas dafür, strengt sich an und nutzt ihre Chance, indem sie „Ja, ich will
das sofort!“ ruft und nicht das frauentypische „Jetzt nicht, vielleicht später,
ich weiß noch nicht“. Sie ist überzeugt davon, die Beste für diesen Job zu sein
– und auch das sagt sie laut und deutlich.
Ich
finde das herrlich!
In
einem meiner früheren Beiträge habe ich die Misere, dass Frauen sich trotz
offiziell geltender Gleichberechtigung gerne weiter auf der Nase herumtanzen
lassen (statt selber zu tanzen), schon einmal beleuchtet:
Ich
musste lange suchen, bis ich einmal ein solch extremes Gegenbeispiel fand: tausende
Kilometer entfernt, an der amerikanischen Westküste.
Liebe
Tangofreundinnen, nur damit Ihr mich nicht missversteht: Keinesfalls müsst ihr
nun auf der nächsten Milonga spärlich bekleidet, gar mit Goldbronze überzogen,
erscheinen. Und wenn: Ich brächte garantiert kein Fernglas mit.
Es
würde mich allerdings freuen, öfters zu erleben, dass euer Tun und Lassen
authentisch von euch bestimmt wird – und nicht von Ehemann, Dauertanzpartner, Tangopädagogen
oder „bester Freundin“. Ich würde dies garantiert an eurem Verhalten auf dem
Parkett und außerhalb merken.
Statt
„traulich geführt“ zu werden, könntet ihr durchaus mehr Akzente und Signale
setzen, auch wenn euer Tanzpartner vielleicht entgegnen würde: „Das habe ich
aber nicht geführt“. Antwortet einfach mit den Worten meines Tangofreundes Peter Ripota: „Das habe ich aber getanzt.“
Anregungen
hierzu findet ihr auch im neuen Text meiner Blogger-Kollegin Manuela Bößel:
Das
Statement Karen Kayes gilt natürlich auch hinsichtlich des Schreibers dieser
Zeilen: „Ich gebe anderen nicht so viel
Macht über mich.“ Was immer ihr also macht: Tut es für euch und nicht für
andere.
Und
natürlich würde mich auch eine Replik nicht überraschen, welche in der Phase der „antiautoritären
Erziehung“ gelegentlich von den Kids kam:
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