Corona mal persönlich
Mein
gestriger Artikel über die Reaktionen in der Münchner Tangoszene zur grassierenden Seuche hat ein riesiges Interesse gefunden –
sicherlich auch wegen des öffentlichen Aufheulens
einiger von mir Zitierter. Ich freue mich darüber, weil es die Aufmerksamkeit auf das lenkt, was mir
wichtig ist:
Es
haben mich ungefähr die gleichen heftig attackiert, welche sich in ziemlich identischer Lautstärke vor Jahren wegen
meiner Spöttelei über einen dortigen Cabeceo-Lehrgang
empört haben. Allein dies zeigt den Verfall
aller Maßstäbe in gewissen Gehirnen.
Immerhin
darf ich eins in Anspruch nehmen: Ich habe auf den Zusammenhang des Tango
mit der Corona-Infektion bereits zu
einem Zeitpunkt hingewiesen, an dem die deutsche Tangowelt noch in
Veranstaltungswerbung und Encuentro-Buchungen ersoff. Mir war es aber wichtig,
auch auf andere Lebensrisiken
hinzuweisen, an die wir uns nicht gewöhnen sollten – und dazu aus seriösen Quellen zitiert. Schon das
wurde mir aus Gründen, die ich bis heute nicht kapiere, heftigst verübelt.
Klar
tragen meine Texte stets ein Datum,
zu dem ich eine Situation einzuschätzen versuche. Die Zahlen und Risiken ändern
sich täglich. Als gelernter Biologe ist mir ungefähr klar, was eine Epidemie ist. Ich hätte mir den Anstieg
der Infektionen und die Zahl der Todesfälle in Deutschland sogar heftiger
vorstellen können.
Dennoch
halte ich es nach wie vor mit dem Satz, den alle professionellen Krisenmanager – von Feuerwehr bis Rettungsdienst,
ihren Handlungsanweisungen voranstellen: Vor
allem Ruhe bewahren!
Aus
meiner Arbeit als Chemielehrer ist mir einigermaßen klar, wie wichtig sauberes
Hantieren ist. An Unterrichtstagen habe ich mir oft schon bis Mittag 20 Mal die
Hände gewaschen – und wäre froh
gewesen, wenn ich hierfür an den Schulen öfter auch warmes Wasser, Seife und
Papierhandtücher vorgefunden hätte. Und wer mal ein Schülerklo von innen gesehen hat, dem ist klar: Viele Bildungseinrichtungen
hätte man schon vor Jahren wegen unhaltbarer
hygienischer Zustände schließen sollen. Ich habe das – unbeachtet von der
großen Öffentlichkeit – in einem Buch dargestellt:
Ich
hoffe, man nutzt die derzeitigen Schulschließungen dafür, dort einmal richtig zu putzen – möglichst oberhalb
der Sauberkeits-Standards in der kasachischen Steppe…
Durch
verbesserte Hygiene, vor allem auch
in der Pflege – könnte man daher auch eine der nach Expertenmeinung „vermeidbarsten“
Erkrankungen bekämpfen: An Sepsis („Blutvergiftung“)
sterben hierzulande jährlich mindestens 15000 Menschen.
Daher
meine ich, man sollte manchmal im Alltag
etwas mehr Panik entwickeln – sie
aber in heißen Krisensituationen eher vermeiden. Und da stelle ich völlig satirefrei
fest: Was man derzeit in den Tangoforen (nicht nur der besagten Münchner Facebook-Gruppe)
an Hysterie verbreitet, ist
unverantwortlich.
Da
geht es teilweise nicht um wirkliche Sorge um die Mitmenschen, sondern schlicht
darum, sich wichtig zu machen, indem
man die Kollegen mit noch mehr Apokalypse
übertrumpft. Vor allem aber weiß man genau, was die anderen zu tun haben: Sich aus den Milongas scheren, weil sie
ja sicherlich infiziert sind. Selber ist man es ja bestimmt nicht…
In
diesem Panikorchester darf man
natürlich nicht mit Appellen zu Vernunft
und pragmatischen Lösungen oder gar durch
Ironie stören. Wie unpassend! Daher
kriegt man Begriffe wie „dumm“, „intellektuelles
Armutszeugnis“, „Geltungsdrang“, „Häme“
und „Hass“ um die Ohren. Und solche
Zeitgenossen fragen mich dann auch noch, was an ihren Formulierungen „so ungeheuerlich“ sei. Leute, es reicht
doch, wenn ihr euch des Vokabulars ungezogener Flegel bedient, um mit euch nix
mehr zu tun haben zu wollen.
Aber
man kann das Ganze auch noch steigern und durch Andeutungen zu meiner Lebenserwartung die eigene charakterliche
Deformation offenbaren: Der Riedl gehört ja zu einer Risikogruppe, also seid getrost – lang wird’s nicht mehr dauern…
Da will ich euch mal
was sagen:
Mein
letzter Auslandsaufenthalt ist
mindestens 15 Jahre her. Ich habe (außer einmal im Deutschen Museum) noch nie
ein Flugzeug bestiegen. Meine Reisetätigkeit innerhalb Deutschlands gab
ich vor Jahren fast komplett auf (außer zu Milogas im Umkreis von höchstens 100
Kilometern).
Der
Grund war nicht die Angst vor Ansteckung,
sondern: Ich bin halt gern daheim. Und Reisen wird im hohen Alter zunehmend anstrengend.
In
einer zweistelligen Zahl von Artikeln habe ich dafür plädiert, statt großen Festivals doch den kleinen Milongas eine Chance zu geben.
Die Veranstaltungen, welche ich besuche, haben im Durchschnitt um die 30 Gäste –
unsere Wohnzimmer-Milongas eher halb so viele. Seit Jahren werden wir
dafür mit Hohn und Spott überzogen. „Hinter
den sieben Bergen“ sei das, halt unbedeutend, provinziell – wo liegt überhaupt Pörnbach?
„Das Riedl lebt nun
im Metropol-Dreieck Maushof, Deimhausen, Puch, Insidern bekannt als tri-be-frei
– triangle below Freinhausen“ schrieb dereinst in der Münchner FB-Gruppe
einer, der jetzt wegen voller Hosen einen Panik-Kommentar
nach dem anderen hinausbläst.
Da
könnte ich auch mal genüsslich vom Leder ziehen: Seit Jahren habe ich
öffentlich gefragt, was denn so schön daran sei, quer durch Europa auf Encuentros zu reisen, um dann zur exakt
gleichen Musik zu tanzen, die man auch auf der heimischen Langweiler-Milonga
hören könnte – und das noch ein ganzes Wochenende lang aneinandergepappt auf
überfüllten Tanzflächen? Ernährung: Pizza aus der Schachtel. Durchgeschwitzte
Klamotten. Übernachtung: zu mehreren auf der Isomatte. Überaus gesund…
Daher
werde ich wegen meiner provinziellen Lebensweise
kaum jemand mit dem Coronavirus anstecken – das Gegenteil ist viel wahrscheinlicher. Ich könnte mit viel mehr
Berechtigung den moralischen Zeigefinger
schwenken: War das alles wirklich nötig? Wo bleibt da die Rücksicht auf Senioren, die sich eh schon aufs
hinterste Dorf zurückgezogen haben?
Tue
ich aber nicht. Soll doch jeder sein Leben gestalten, wie er möchte! Ich wäre
nur dankbar dafür, wenn man jetzt einfach mal mit kurzzeitig geschlossener
Klappe still nachdenken würde. Und
vor allem: Andere nicht belehrte,
wie sie zu leben hätten. Klar: Tango zu tanzen ist momentan riskant. Jeder muss
überlegen, wie er selber verantwortlich
handelt – und nicht, was die anderen gefälligst für ihn zu tun hätten.
Werde
ich der Corona-Seuche zum Opfer
fallen, wie manche meiner werten Gegner inzwischen gar nicht mehr still hoffen?
Das weiß allein der liebe Gott, falls es ihn interessieren sollte…
Ich
gebe nur zu bedenken: Meine Familie hat mit Todesrisiken viel Erfahrung. Mein Vater hatte als Kriegsgefangener in Sibirien denkbar
schlechte Überlebenschancen. Dass er die fünf
Jahre dort überstand, verdankte er vor allem einer russischen Ärztin, die
sich aufopfernd um den „Feind“ kümmerte. Silvester 1949 kehrte er zu Frau und
Eltern zurück – freilich unter Verlust der ehemaligen Heimat im Sudetenland. Man
lebte einquartiert auf dem Dachboden eines Wirtshauses. Dennoch kam ich nach
ziemlich genau einem Jahr zur Welt.
Der
einzige Bruder meines Vaters ist im Krieg geblieben – vermisst in Russland. Der
Kummer bescherte meiner Großmutter ein schweres
Gelenkrheuma. Doch an meinem Kinderwagen
lernte sie wieder laufen.
Mein
Vater wurde immerhin 94 Jahre. Immer wieder kämpfte er mit den Behörden um die Anerkennung seiner Kriegsleiden. Über
seine Erlebnisse zwischen 1939 und 1950 konnte er lange nicht reden. Erst als
ich 15 war, begannen endlose Abende, an denen er uns zumindest manche Geschichten
erzählte. Er verfasste später sogar ein Buch
darüber, das nie gedruckt wurde. Aber seine Freude am Schreiben hat er wohl an den Sohn vererbt.
In
den 1950-er Jahren waren solche Schicksale kaum
der Rede wert. Viele trugen sie mit sich herum. Aber: Das Leben musste ja
weitergehen. Die einzige Rettung war Optimismus.
Schade,
dass es damals kein Internet oder
gar Facebook gab! Man könnte sonst
die Unterschiede zwischen den einstigen Problemen und dem erkennen, was heute
wohlstandsdegenerierte Pappnasen erregt.
Leute,
achtet auf eure Gesundheit, aber lasst euch nicht verrückt machen!
Herzliche
Grüße
Gerhard RiedlFoto: www.tangofish.de |
DAS ist Satire:
AntwortenLöschenhttps://dietagespresse.com/nicht-gruessen-keine-sozialen-kontakte-wien-perfekt-fuer-corona-geruestet/?fbclid=IwAR1bYVL5RrZq2sV6LkMM8Y5t4n0XazI8VRwlt-q7l5yaGBzC6L6TIQ5r-bU
LG,
Max Spenger
Lieber Kommentator,
Löschendas mag schon sein.
Dennoch möchte ich Sie darauf hinweisen, dass der Sinn meiner Kommentarspalte darin liegt, sich mit dem Inhalt meiner Texte auseinanderzusetzen. Im Zweifel nochmal runterscrollen und nachlesen!