Tot, töter, Geist
Buchstabierspiel.
Reihum werden Buchstaben gesagt, die zusammengesetzt ein sinnvolles Wort (…)
ergeben müssen. Doch sobald ein Wort fertiggestellt ist, verliert derjenige,
der den Buchstaben gesagt hat, ein Leben. (…) Verliert einer alle drei Leben
(1. „Tot", 2. „töter", 3. „am tötesten") ist er Geist, und
spielt nicht mehr mit - kann aber alle anderen versuchen abzulenken (ohne diese
berühren zu dürfen). Schafft er es, verliert der Spieler aus Schreck auch noch
ein Leben...
Auf
das schöne Gesellschaftsspiel (meinen
Dank an Manuela Bößel!) dieses Namens kam ich durch einen Artikel in der
angesehenen „Frankfurter Rundschau“ zum derzeitigen medialen Lieblingsthema:
„Das Coronavirus
SARS-CoV-2 ist tödlicher als die Grippe, erklärt das Robert-Koch-Institut. Doch
es ist schwierig, dies zu berechnen.“
Ich
fürchte schon einmal, man kann das Adjektiv „tödlich“ nicht steigern: Wenn einer den letzten Schnaufer getan hat,
ist er halt nicht mehr am Leben – töter geht’s nicht.
Aber
klar, was der Schreiber natürlich meinte, ist die Sterberate. Ist sie nun bei Influenza
tatsächlich niedriger als beim Coronavirus?
In der Expertenwelt wird durchaus auch anderes verkündet:
Während
der Coronavirus in aller Munde ist, hört man von der Grippewelle derzeit
allerdings wenig. Dabei
sind Ansteckungsgefahr und Sterblichkeit bei Influenzaviren nach
Experten-Einschätzung etwa gleich hoch wie beim Coronavirus. ‚Corona
ist auf keinen Fall gefährlicher als Influenza‘, sagt Chefarzt Clemens Wendtner
von der Schwabinger Klinik für Infektiologie, wo sieben der dreizehn Corona-Infizierten
in Deutschland in Behandlung sind.
‚Wir
gehen davon aus, dass die Sterblichkeit deutlich unter einem Prozent liegt,
eher sogar im Promillebereich‘, erklärt Wendtner. Das sei eine ähnliche Größe
wie bei der Influenza.
In einem Interview
meint Dr. Andrew Ullmann, Professor für Infektiologie:
„Am Anfang einer
solchen Epidemie, oder vielleicht sogar schon Pandemie, sind die Sterberaten
immer etwas höher, weil die leichten Erkrankungen teils gar nicht auffallen
oder registriert werden – und so fallen dann Todesfälle immer schwerer ins
Gewicht. Ich erwarte daher, dass sich die Sterberate – ähnlich wie bei
Influenza – etwa bei 1 Prozent einpendelt.“
Doch
halten wir uns an das Robert Koch-Institut,
welches ja die obige Schreckensnachricht vermeldet hat! Auf dessen Seite erfuhr
ich nun:
„Nach jeder
Grippesaison wird die Gesamtzahl der über das erwartete Maß hinausgehenden
Arztbesuche aufgrund akuter Atemwegserkrankungen geschätzt. Diese Gesamtzahl
entspricht vermutlich in etwa der Zahl der Patienten, die mit einer
Influenza-Erkrankungen zum Arzt gehen.
Saisonale
Influenzawellen verursachen in Deutschland jährlich zwischen einer und sieben
Millionen zusätzliche Arztkonsultationen, in Jahren mit starken Grippewellen
auch deutlich mehr.
Daten des
RKI-Bürgerportals GrippeWeb deuten darauf hin, dass jeder zweite Erkrankte mit
typischen Grippesymptomen zum Arzt geht. Demnach erkranken während einer
saisonalen Grippewelle in Deutschland zwischen zwei und 14 Millionen Menschen
an Influenza, bisweilen auch mehr. Die Zahl der Infektionen während einer
Grippewelle - nicht jeder Infizierte erkrankt - wird auf 5 bis 20 Prozent der
Bevölkerung geschätzt, in Deutschland wären das 4 bis 16 Millionen Menschen.
Die Zahl der mit
Influenza in Zusammenhang stehenden Todesfälle wird – vereinfacht dargestellt –
als die Differenz berechnet, die sich ergibt, wenn von der Zahl aller
Todesfälle, die während der Influenzawelle auftreten, die Todesfallzahl
abgezogen wird, die (aus historischen Daten berechnet) aufgetreten wäre, wenn
es in dieser Zeit keine Influenzawelle gegeben hätte. Das Schätz-Ergebnis wird
als sogenannte Übersterblichkeit (Exzess-Mortalität) bezeichnet. (…)
Die Zahl der
Todesfälle kann bei den einzelnen Grippewellen stark schwanken, von mehreren hundert
bis über 20.000.“
Mit
anderen Worten: Bei der Ermittlung der
Influenza-Todesrate stochert man mit einer sehr langen Stange in äußerst dichtem
Nebel. Letztlich beruhen die Schätzungen darauf, wie viele Patienten zu
Grippezeiten mehr zum Arzt gehen (Exzess-Mortalität). Die laborbestätigten Todesfälle bei Grippe liegen nämlich jährlich im
untersten dreistelligen Bereich!
Auf
den Totenschein jedenfalls sollte
man sich bei der Statistik nicht verlassen: Jede zweite Todesursache darauf
hält einer Nachprüfung nicht stand. Der Hauptgrund: Die Leichenschau wird
sehr schlecht bezahlt. Das senkt die Bereitschaft der Mediziner, gründlich zu
untersuchen:
„Und woher soll der
Arzt überhaupt wissen, woran dieser Mensch gestorben ist? Allenfalls der
Hausarzt kennt die verschiedenen Krankheiten, die ihn zu Lebzeiten plagten.
Aber statt den Kollegen ausfindig zu machen, trägt der Mediziner nicht selten
einfach Herzversagen oder Lungenembolie ein. Das sind beliebte Angaben, wenn
Ärzte keine anderen Anhaltspunkte haben, weiß Rüdiger Lessig, Direktor des
Instituts für Rechtsmedizin in Halle. Was man als Schlendrian abtun könnte, hat
weitreichende gesundheitspolitische, wirtschaftliche und gesellschaftliche
Konsequenzen. (…)
Und jede zweite
Todesursache auf dem Totenschein stellt sich bei der Überprüfung durch eine
Obduktion, also der Öffnung der Leiche, als falsch heraus. Das besagte in
dieser Deutlichkeit schon 1987 eine multizentrische Obduktionsstudie. (…)
Infektionen rangieren
hingegen unter ferner Liefen mit wenigen Prozent der Todesfälle in der
Statistik. Kaum zu glauben, bei all den Infektionen, die sich geschwächte
Menschen besonders in Krankenhäusern hierzulande zuziehen.“
Und die Zahlen beim Corona-Virus
sind natürlich derzeit maximal vorläufig. Unter einem Prozent (eher zwischen
0,3 und 0,7) schätzen deutsche Virologen momentan die Mortalitätsrate. Nochmal
zur Erinnerung: Bislang wartet man (vor allem die Medien) hierzulande noch auf
den ersten Todesfall!
Worüber sich die Experten allerdings völlig
einig sind: Es wird in Deutschland zu wenig geimpft, auch gegen Influenza:
„Obwohl in Europa
jedes Jahr schätzungsweise 44.000 Menschen an den Folgen von Grippeerkrankungen
sterben und die Gesundheitsbehörden (fast) aller Länder zur Impfung raten, hat
die Impfmüdigkeit in vielen Ländern zugenommen. (…)
Dabei sind sich die
Weltgesundheitsorganisation und das Europäische Zentrum für die Prävention und die
Kontrolle von Krankheiten einig, dass die Impfquote bei der Grippe in den
meisten Ländern viel zu niedrig ist. Die WHO und der Europäische Rat hatten
gefordert, dass bis 2015 drei Viertel aller Senioren geimpft sein sollten. Auf
diese Risikogruppe entfallen 90 % aller Todesfälle, und obwohl die
Schutzwirkung der Grippeimpfung im Alter infolge der Immunseneszenz (Anm.: Wirksamkeit
sinkt mit dem Alter) nachlässt, könnten
vermutlich viele dieser Todesfälle verhindert werden.
Doch das Ziel wurde
von fast allen Ländern verfehlt. Nur in Schottland wurden am Ende mehr als 75 %
der Senioren geimpft. Die übrigen Länder des Vereinigten Königreichs und
Weißrussland blieben knapp unter der Quote. In allen anderen Ländern lassen
sich weniger als 75 % der Senioren impfen (in Deutschland waren es zuletzt nur
37 %).
Aber
– auch das wissen wir ja längst aus Facebook: Impfen ist ja soo riskant!
Halten
wir dennoch fest: Gegen Grippe (gerne auch Lungenentzündung) impfen lassen und gründlich die Hände waschen (tun bekanntlich unter 10
Prozent) würde schon viel helfen.
Und
was den Tango betrifft: Sicherlich
stellt er durch die Nähe ein erhöhtes
Infektionsrisiko dar. Jeder muss selber entscheiden, ob er sich dem
aussetzen will. In Deutschland gibt es momentan etwa 200 bestätigte Corona-Infektionen – also 0,0024 Promille der Einwohnerzahl.
Solche
Zahlen sollte man auch einmal nennen, anstatt in Facebook-Gruppen Panik zu verbreiten, indem man über abgesagte
Encuentros in Italien berichtet.
Aber
klar: Hauptursache der Bedrohung durch
Infektionskrankheiten ist die zunehmende Globalisierung. Auch bei unserem Tanz gibt es eine große Population
reisender Lemmingsherden, welche unbedingt jedes europäische Encuentro oder Festival besuchen müssen (von Buenos Aires ganz zu schweigen). Provinzmilongas wie die in Pörnbach
hingegen wurden mit Spott und Häme überzogen. In dieser Ecke herrscht derzeit allerdings
donnerndes Schweigen.
Und
ja, auch die Kohlendioxid-Bilanz
solchen Tuns ist ziemlich unterirdisch. Klima-Veränderung?
War da mal was? Momentan kein Thema, wir haben ja Corona…
„Tot, töter, Geist“? Ich fürchte: auch
letzteres nicht!
Heute erreichte mich ein Kommentar meiner Tangofreundin Annette aus Offenbach:
AntwortenLöschenHallo Gerhard,
ja, bei unserem Tango in Offenbach haben wir auch schon die erste
Absage: Die Tangofreundin hat zwar weniger Angst vor Ansteckung, aber
mehr vor Quarantäne, die sie sich beruflich nicht leisten kann. Hier ein
Artikel zum Thema (der Tangobezug ist das Zitat dieser Dame):
https://www.piraten-offenbach.de/2020/03/04/corona-epidemie-in-offenbach/
LG Annette (www.tango-diavolo.de)
Liebe Annette,
Löschendanke für Deine Nachricht!
Ich finde, wir sollten keinerlei Hysterie entwickeln: Weder, was die Gefährlichkeit der Erkrankung betrifft - noch hinsichtlich möglicher Einschränkungen von Persönlichkeits- und Freiheitsrechten.
Nach meinem Eindruck gehen die Behörden derzeit sehr besonnen und verantwortlich mit der Epidemie um.
Herzliche Grüße
Gerhard