Liebes Tagebuch… 60
Sorry
– ich will hier garantiert niemandem auf den Schlips treten und anonymisiere
diesen Text daher, so gut es geht. Aber die Geschichte
ist einfach zu lustig, um sie zu
verschweigen!
Meine
beste Ehefrau von allen ist in über 30 Ehejahren Kummer mit Satirikern gewöhnt. Und gerade an Tagen, wo ich zu Depressionen neige, muss sie ganze Serien
kalauernder Sprüche ertragen, von denen sie viele längst kennt. Als Folge ist
sie nicht mehr leicht zum Lachen zu bringen. Dass sie meine Artikel stets als Erstleserin ertragen muss, erschwert das
Problem noch. Daher ist es für mich stets ein großes Kompliment, wenn sie sich dennoch bei einem Gag einen abkichert.
Vor
einiger Zeit besuchten wir mal wieder eine Milonga mit – sagen wir vorsichtig –
ziemlich experimenteller Musik.
Meine Neigung zur Depression war also vorprogrammiert. Tandas in dem Sinn gab es keine. Das Abfolge-Schema bestand eher darin, dass nach einem schönen Stück
garantiert ein furchtbares folgte, damit man nicht übermütig wurde. Nach
mindestens zwei Aufnahmen dieser Kategorie kam dann meist wieder eine
tänzerisch motivierende Nummer. Man muss halt Optimist sein, dann ist das Glas zu einem Drittel voll und nicht zu
zwei Dritteln leer…
Zudem
schaffte es der DJ nicht immer, die Aufnahmen in der Lautstärke anzugleichen. Nachdem wir gerade zu tollen und recht lauten Klängen
getanzt hatten, hörten wir als Nächstes lediglich ein leises Gebrumm und Gezupfe – offenbar von einem großvolumigen Streichinstrument. Das
ging dann locker eine halbe Minute so weiter. Ein direkter Rhythmus war
eigentlich nicht erkennbar.
Ich
bilde mir nun wirklich ein, zu fast allen, auch unharmonischen Schwingungen tanzen zu können. Hier allerdings
blieben wir zunächst ratlos stehen.
Ich meinte zu meiner Frau: „Ich fühle
mich gerade wie damals auf unserer Klassenfahrt nach Salzburg.“
Auf
ihre fragende Miene hin fügte ich noch einige Stichworte hinzu, worauf sie
antwortete: „Ach so, die Übernachtung in
der Jugendherberge.“
Für
meine Leser darf ich ein wenig ausführlicher werden. In der 12. Klasse stand sintemalen
eine Studienfahrt in die Mozartstadt
an – geleitet von unserem Klassenlehrer,
einem preußelnden Universallexikon in Fragen von Deutsch, Geschichte und
Kulturdenkmälern aller Art, die er uns dort vorzustellen gedachte.
Es
ist unglaublich, wie viele Kirchen und Klöster es in Salzburg gibt! Noch schlimmer: Ich vermute, wir besichtigten alle davon –
stets dauerbestrahlt von berlinerndem Baedecker-Stakkato
unseres pädagogischen Reiseleiters. Dieses Trauma
hat dazu geführt, dass ich bis heute bei baulichen
kulturellen Resten panisch die Flucht ergreife. Und mir auch der Berliner Slang Bauchkrämpfe beschert.
Da
ein Unglück selten allein kommt, war der Hausmeister
unserer Jugendherberge ein kriegsversehrter, am Stock humpelnder Altnazi, wie ihn Jahre später Harald Schmidt so trefflich
darzustellen vermochte. Wir allerdings hatten es mit dem Original zu tun.
Sprich:
Wir durften in der Unterkunft eigentlich gar nichts außer essen und schlafen.
Wobei die bereitgestellte Nahrung wohl noch aus den HJ-Zeiten des Hausbesorgers
und Tugendwarts stammte. Somit fiel auch der Schlaf schwer. Dennoch wurde um
Punkt 22 Uhr die Stromversorgung der
Gästezimmer abgestellt.
Bereits
am zweiten Abend hatten wir uns daher gut eingedeckt: Zur Verfügung standen ein
ordentliches Stück Südtiroler Speck
sowie mehrere Flaschen Himbeergeist.
Wir lagen auf Sechser-Zimmern mit je drei Stockbetten – und ich hatte mich in
weiser Voraussicht für ein Etablissement entschieden, welches praktisch das
gesamte Satirepotenzial der Klasse
repräsentierte.
Es
wurde ein extrem lustiger Abend. Der
bedächtige Helmut im Stockbett über
mir nannte ein blitzsauber geschärftes Jagdmesser
sein eigen, mit dem er hauchdünne Scheiben der fettigen Kalorienbombe
absäbelte. Jeder durfte sich immer reihum eine Tranche nehmen. Als ich einmal
gleich zwei stibitzen wollte, sah ich trotz der ägyptischen Finsternis von oben
die Spitze des Hirschfängers nahen. Nach dem Speck kreiste dann die Flasche mit
dem Hochprozentigen.
Es
ist unvorstellbar, welch kabarettistisches
Feuerwerk sechs 17-jährige männliche Hormonmonster entfachen können! Erinnerlich
sind mir noch diverse Witze, Reime und Spottgedichte auf den Klassenleiter, den
Hausmeister und unsere jeweiligen Freundinnen. Aus Rücksicht auf meine Exfrau
verzichte ich auf direkte Zitate.
Was
ich damals lernte: Satire entsteht
vor allem durch absurde Situationen
und äußeren Druck. Altnazis und Alkohol können auch nicht schaden.
Der
tat im Laufe der Nacht seine Wirkung: Die Gags wurden doch etwas wirr und zäh.
Schlimmer noch: Einer unserer Zimmergenossen, Jürgen, kam aus behütetem Hause, war also ein „braver Bubi“ und
vertrug daher wenig, trank jedoch umso mehr.
Das
konnte nicht gutgehen: Von plötzlicher Übelkeit
übermannt raste der gute Junge aufs Klo. Glücklicherweise ging ihm einer von
uns nach und konnte gerade noch verhindern, dass der unzurechnungsfähige Jürgen
in seinem Tran versehentlich ins Zimmer unseres Klassenleiters abbog.
Dies
katapultierte die Heiterkeit auf
einen weiteren Höhepunkt – die Spottreime
endeten nun meist auf „Jürgen“ oder „Würgen", was dessen Wohlbefinden nicht zuträglich war: Seine Klobesuche gingen munter weiter, stets begleitet von einem Kameraden als
Aufpasser sowie unseren Freudengesängen.
Irgendwann
erstarb die Unterhaltung dann doch – einer nach dem anderen duselte ein. Nur Sigi, absoluter Klassenwitzbold und von hohem Blutdruck geplagt , versuchte die Stimmung als „Alleinunterhalter“
aufrecht zu halten: „Ja, was ist denn,
müdes Pack, hier wird nicht gepennt, ihr Flaschen!“
Auf
der Milonga hatte sich nun das ataktische Streichergebrumme doch allmählich zu
einer ambitionierten Version eines Tangoklassikers gemausert, sodass wir uns in
Tanzhaltung begaben.
Kurz
vor dem ersten Schritt fragte meine Frau:
„Ja, und? Was
erinnert dich bei dieser Musik denn nun an die Salzburg-Fahrt?“
„Na, halt der
Mörder-Gag, den Sigi dann zum Schluss noch raushaute!“
„Und wie war der
gleich noch?“
„Der Sigi rief ins
fast schon schlafende Dunkel:
‚Jürgen,
kotz mal, dass was los is‘!‘“
Ich
muss leider gestehen: Meiner Gattin gebricht es zuweilen am nötigen Ernst, welchen man doch bei
einer so traurigen Sache wie dem
Tango bewahren sollte. Es ist einfach peinlich, wenn man eine albern kichernde Frauensperson übers
Parkett ziehen muss! Allerdings: Hätte sich Jürgen in dieser Situation auf der
Tastatur des DJ erbrochen, wäre die Stimmung für mich gerettet gewesen…
Übrigens
hatte damals der reaktionäre Hausmeister
alles mitbekommen und unserem Lehrer beim Frühstück die Ansage verkündet:
Nochmal sowas, und wir dürften unverzüglich heimfahren.
Leider kam noch was dazwischen: In der nächsten Nacht zog einer im Nachbarzimmer am Fenster einen heißen Striptease ab, am zentralen Punkt von Taschenlampen bestrahlt - unter unter dem Jubel aus dem gegenüberliegenden Mädchenflügel.
Unser
Klassenleiter revanchierte sich mit einer Sonderschicht von Kirchen und Klöstern.
Damals
beschloss ich, Satiriker zu werden.
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