Zu schön, um wahr zu sein
Ich
habe auf Facebook auch schon „Freundschaftsanfragen“ erhalten, die
mir dubios vorkamen: von glutäugigen
Schönen vor Sonnenuntergangs-Kulisse oder strammen weiblichen US-Offizieren.
Die entsprechenden Profile: nichtssagend,
nur einige Bildchen mehr. Tangobezug: keiner. Ich habe die Damen umgehend blockiert, da ich mir nicht vorstellen
konnte, was sie von einem fast Siebzigjährigen in der bayerischen Provinz
wollten – außer Geld natürlich…
Was
ich damals noch nicht ahnte: Dahinter steckt eine kriminelle Großindustrie.
Romance
Scam
(„Romantik-Betrug“) nennt man eine Form des Internetbetrugs, bei dem gefälschte Profile in Singlebörsen oder anderen sozialen Netzwerken dazu benutzt werden,
den Opfern Verliebtheit vorzugaukeln mit dem Ziel, eine finanzielle Zuwendung
zu erschleichen – eine moderne Form des Heiratsschwindels.
Angebote für Männer stammen dabei meist
aus Osteuropa, die Dame gibt sich
dann gerne als Ärztin, Deutschlehrerin oder sonstige Akademikerin aus.
Auf
einsame Frauen warten meist US-Offiziere,
Mediziner, Wissenschaftler oder erfolgreiche Geschäftsleute – natürlich alle gutaussehend und in den besten Jahren.
Die
Fotos sind allerdings ausnahmslos
aus dem Internet geklaut, was man öfters
durch Bilder-Rückwärtssuche herausbekommen kann. Die Angebote für deutsche
Damen kommen meist aus Nigeria oder
Ghana („Nigeria Connection“). Dahinter stecken oft arbeitslose Uni-Absolventen, die perfekt Englisch (manchmal sogar
Deutsch) sprechen und in sozialen Netzwerken oder (auch seriösen) Partnerschaftsforen
Fake-Accounts kreieren.
Das
Verfahren ist simpel: Im ersten
Anschreiben steht, man sei durch Zufall über das Profil der Anzubetenden
gestolpert und umgehend fasziniert von ihr gewesen. Verräterisch die Anrede, beispielsweise „Hey Honey“ – klar, bei massenhaft
verschickten Nachrichten kann man sich nicht mit dem Vornamen aufhalten…
Beißt
das Opfer an, beginnt ein reger, oft wochen- oder monatelanger Austausch von digitalen Nachrichten und
Telefonaten. Meist hat der Herr eine (natürlich unverschuldete) Trennung
hinter sich, oder seine Ehefrau ist
vor einigen Jahren verstorben. Nun
sei er bereit, sich wieder zu verlieben.
Erstaunlich,
dass man im Laufe der Zeit so viele Gemeinsamkeiten
entdeckt, quasi eine Seelenverwandtschaft!
Sehr schnell arten die Nachrichten des fernen Herrn in glühende Liebesschwüre aus, mit denen er die nun nicht mehr einsame
Dame mehrmals täglich eindeckt. An gewissen Stilblüten ist manchmal zu
erkennen, dass die Dinger doch aus Übersetzungsmaschinen stammen:
„Du zündest meine
gesamte Denkfähigkeit. Ich bin bereit zu suchen, und wer weiß, die Rose in meinem
Herzen könnte dir gehören. (…) Lass mich dein Mann sein, ich werde dich mit
Liebe und Sorgfalt gravieren“, schrieb zum Beispiel ein angeblich global
operierender Bauunternehmer,
spezialisiert auf die Errichtung von Ölplattformen und Brücken.
Aber
unbesorgt, die Betrüger verfügen über ein reichhaltiges Repertoire von Textbausteinen, die sie je nach Fall
kombinieren. In der Anlaufphase ist nicht mehr drin, da sie ja den ganzen Tag
vorm Computer und Smartphone sitzen und mit Hunderten von Opfern kommunizieren
müssen.
Ziel
ist es, ein psychisches
Abhängigkeitsverhältnis zu schaffen, damit der Fisch nicht mehr von der
Angel geht, wenn es eines Tages zum Schwur kommt: Der arme Kerl ist plötzlich in finanziellen Schwierigkeiten!
·
„Krankes Familienmitglied –
Familienmitglied ist krank und man benötigt dringend Geld für Operation. Auch
eigene Krankheit des Scammers wird manchmal vorgeschoben.
·
Schulden – der Scammer hat Schulden,
in die er ohne eigenes Verschulden geraten ist, und muss sie dringend
zurückzahlen.
·
Gefängnis – man wurde unschuldig auf
Geschäftsreise verhaftet, hat aber keine Ausweisdokumente, da diese gestohlen
wurden. Für das Anfertigen neuer Dokumente durch die Botschaft benötigt man nun
Geld.
·
Geld für Flug – Der Scammer möchte
das Opfer besuchen kommen, hat aber nicht so viel Geld. Meist wird der Scammer
am Flughafen oder auf dem Weg zum Flughafen bestohlen, und das gesendete Geld
ist weg.
·
Militärdienst – der Scammer ist
Angehöriger der Armee und erhält nur gegen Bezahlung Urlaub, um das Opfer zu
besuchen. Andere Variante: Der Scammer muss sich von der Wehrpflicht durch
Geldzahlung loskaufen.“
Dazu werden natürlich gerne (gefälschte) Dokumente aller Art vorgelegt – von Personalausweisen
oder Pässen über geschäftliche Unterlagen bis hin zu Attesten und Bestätigungen
amtlicher Stellen. Manchmal mischt sich auch ein Komplize ein und bezeugt als Arzt oder Offizier die Notlage.
Besucht werden will der Herr jedoch niemals – er arbeitet
ja in geheimer Mission im Ausland
und unterliegt der militärischen Verschwiegenheit!
Das Geld landet dann über Bezahldienste wie Western Union oder getürkte Bankkonten beim afrikanischen Empfänger. Telefoniert wird
meist mit Prepaid-Handys und Rufumleitung. Manchmal wird auch ein
persönlicher Abholer geschickt. In fast allen Fällen ist das Geld
unwiederbringlich verloren.
Dieses
Geschäft wird mittlerweile sehr professionell
betrieben, täglich werden von Afrika aus deutlich mehr als 10.000 Profile in
Datingportalen angelegt. Die Opfer werden meist um Beträge im vier- bis sechsstelligen Euro-Bereich
geschröpft.
Aufschlussreich
ist ein Interview mit Prof. Monica
Whitty aus
dem Jahr 2012, die sich seit 2005 mit dem Thema „Romance-Scammer“ befasst. Sie
arbeitet eng mit der englischen Polizei zusammen und gilt als führende Expertin
auf diesem Gebiet:
„Wir haben auf Basis
einer repräsentativen Studie herausgefunden, dass es in Großbritannien rund
200.000 Opfer gibt.
In den USA
veröffentlichte das zum FBI gehörige IC3 (‚Internet Crime Complaint Center‘)
kürzlich, dass von amerikanischen Bürgern im Jahr 2011 insgesamt 50,3 Millionen
US-Dollar an Romance-Scammer überwiesen wurden, davon 39 Millionen US-Dollar
von Frauen, in der Regel über 50 Jahre alt.“
Wenn
die Frauen nicht (mehr) zahlen wollen, werden sie durch Nachrichten-Bombardement unter enormen psychischen Druck gesetzt: Sie seien nun schuld, wenn der feine
Herr den Bach runtergehe, er sei zutiefst enttäuscht, die neue Freundin habe
nun alles kaputtgemacht…
Die
weiblichen Wesen, welche auf solche Betrügereien hereinfallen, sind meist alles
andere als dumm und naiv, sondern oft sehr erfolgreich, geschäfts- und
lebenserfahren. Aber halt auch: einsam.
Meist prägt sie die Einstellung, ihnen könne so etwas nie passieren. Leider
doch!
Die
Dunkelziffer dürfte in dieser Branche sehr hoch sein: Viel Opfer sind derartig
beschämt, dass sie ihre Geschichte niemandem anvertrauen, schon gar nicht der
Polizei. Monica Whitty sagt
dazu:
„Zunächst einmal
verstehen sie ja eine Weile gar nicht, dass sie Opfer geworden sind, und haben
häufig die Hoffnung, dass der Romance-Scammer nur seinen Flug verpasst hat und
vielleicht doch noch eintrifft. In dieser Phase überweisen Sie in besonders
dreisten Fällen noch mehr Geld, wenn die Scammer ihre Betrugsgeschichte weiter
ausbauen.
Irgendwann kommt dann
die Erkenntnis, dass man einem Betrüger aufgesessen ist. Diese Erkenntnis ist
natürlich mit viel Schmerz verbunden, zumal diese Art von Verbrechen sehr intim
ist und die Opfer von sich wissen, dass sie sich nicht besonders geschickt
verhalten haben. Es geht also auch um Peinlichkeit, anders als zum Beispiel bei
einem Diebstahl.
Danach setzt
normalerweise die Wut ein – kombiniert mit dem Wunsch, die Täter zu finden. In
diesem Stadium verharren die Opfer häufig monate- oder sogar jahrelang. Das ist
besonders bitter, denn sie müssen nach vorne schauen und weiterleben.“
Sicherlich greift bei den Frauen auch das bekannte „Amiga-Syndrom“ (“Aber
meiner ist ganz anders”).
Eigentlich sind aber die Vorsichtsmaßnahmen – nicht nur bei der
Partnerschaftssuche – sehr einfach:
·
Überlegen Sie genau, welche privaten Dinge Sie dem Internet oder
einem völlig unbekannten Gesprächspartner anvertrauen – dies gilt vor allem für
Fotos!
·
Richten Sie sich für intimere Chats eine neue, neutrale Mailadresse
ein!
·
Bleiben Sie skeptisch auch bei vorgelegten Dokumenten –
kann man alles fälschen!
·
Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen! Sie können nichts dafür,
wenn irgendwer in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Es ist sein
Leben, nicht Ihres!
·
Und vor allem: Ein seriöser Partner bittet Sie nie um Geld. Also
schicken Sie ihm auch keines!
Übrigens kann man den angeblichen Namen des Lovers auch einmal googeln – oft landet man auf einer Ratgeberseite, die vor diesem Kerl warnt!
Übrigens kann man den angeblichen Namen des Lovers auch einmal googeln – oft landet man auf einer Ratgeberseite, die vor diesem Kerl warnt!
Warum ich diesen Artikel in meinem Tangoforum veröffentliche? Ich
fürchte, in unserem Tanz gibt es sehr viele (oft weibliche) Singles, die
auf Partnersuche sind. Nachdem miteinander Tanzen derzeit nicht möglich
ist, weichen wohl noch mehr auf Dating-Portale aus. Dabei ist äußerste
Vorsicht geboten!
Zu schön, um
wahr zu sein? In den einschlägigen Ratgebern habe ich den überzeugenden Satz
gefunden:
“If it’s too good to be true, it probably isn’t!”
Oder, um nun doch noch etwas Satire zu betreiben:
Schauen Sie doch in der Früh vorm Chatten mal kurz in den Spiegel:
Sind Sie sicher, dass sich ein erfolgreicher Geschäftsmann oder eine junge
russische Lehrerin bei diesem Anblick spontan in Sie verliebt? Ich halte das für die beste Schutzmaßnahme, denn was Sie da vermutlich sehen, ist zu wahr, um schön zu sein!
P.S. Zum positiven Ende ein Bericht über den „Klub der Teufelinnen“,
in welchem sich Frauen als „Scambaiters“ zum Ziel gesetzt haben, Betrüger
zu ködern und der Justiz auszuliefern:
Siehe
auch: https://www.romancescambaiter.de/
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