Kommentaritis
Noch
ansteckender als das Corona-Virus ist die schon in Friedenszeiten hohe Tendenz,
Artikel in Blogs und sozialen Medien
mit dem zu versehen, was man für einen Kommentar
hält. Dazu trägt momentan vor allem die exponentiell steigende Zahl von
Virus-Experten bei.
Was
mich schon seit Jahren schmerzt: Häufig meint man, einen Text zu kommentieren, indem
man dazu wenige Zeilen assoziativen
Mülls hinterlässt: Apropos, da fällt mir doch spontan ein Spruch oder ein Video dazu ein! Und gerade Männer reagieren dann hierauf mit dem
Reflex: „Das ist noch gar nichts – da weiß
ich noch einen besseren.“ Infektiös ersaufen so sinnvolle Texte in
Schwemmen von Stammtischgeschwafel und themenfernem Blödsinn.
Mit
einem wirklichen Kommentar hat das
natürlich etwa so viel zu tun wie das Gekraksel eines Sechsjährigen mit einer
Promotionsarbeit.
Im
Gegensatz zu vielen anderen Bloggern lege ich daher überhaupt keinen Wert auf
eine möglichst hohe Zahl von Anmerkungen
der Leser. Klar, wer mag, darf gerne – aber ich leite daraus weder Qualität
noch Attraktivität der Artikel ab.
Sicher
freue ich mich über ermutigende Sätze wie „Toller
Artikel“ – nur: Was genau hat denn dem Leser gefallen – und warum? War es verständlich genug? Welche Argumentation war am überzeugendsten? Geriet der Artikel zu lang oder hätte man sich weitere Ausführungen (wozu?)
gewünscht?
Erst
recht gilt das für kritische (bis
vernichtende) Anmerkungen: Was denn
nun wie viel oder wenig mit Satire zu tun hätte oder aus welch bösem
Geltungsdrang ein Autor sich äußert, hat mit der Qualität eines Textes nichts
zu tun. Interessanter wäre für mich, welches meiner Argumente nicht stichhaltig erschien – und wie denn nun der Kommentator seine gegensätzliche Auffassung begründet.
Allgemein
wenig bekannt dürfte sein, dass die literarische Form des Kommentars durchaus
auch Abiturienten abverlangt werden
kann. Und da diese Personengruppe ja derzeit Hausarrest hat, könnte eine kleine
Anleitung zum Schreiben eines solchen
Textes auch für sie interessant sein – freilich aus der Feder eines
praktizierenden Satirikers:
In
Abituraufgaben wird eher ein freier Kommentar zu einem aktuellen Thema erwartet.
Der muss natürlich umfangreicher sein (gefordert werden oft 800 Wörter) als
eine Anmerkung zu einem Blogtext. Da meine Artikel meist eine Länge von gut
1000 Wörtern haben, hielte ich aber 20 Prozent davon schon für die
Mindestlänge. (Beispiel: Bis hierher hat mein Artikel etwa 350 Wörter.)
Für
viele unfassbar: Überlegen Sie sich zunächst einmal das Thema, welches der Autor behandelt hat – es sollte in einen Satz
passen. (Wenn nicht, war der Artikel schlecht oder Ihnen mangelt es an
Abstraktionsvermögen).
Welcher
Auffassung ist der Autor? Auch das
muss mit einen Satz zusammenzufassen sein!
Welche
hauptsächlichen Argumente (höchstens
drei) leiten den Schreiber?
So,
und das fassen Sie nun in wenigen Zeilen
zusammen – ja nicht zu ausführlich – steht ja alles schon im Artikel!
Davor
pappen Sie nun einen originellen, kurzen (!) Einstieg, der Lust
macht, Ihren Text zu lesen! Ach ja:
Ein knackiger Titel wäre nicht
verkehrt – vielleicht ein Wortspiel mit einer Redensart, einem bekannten Zitat
o.ä.
Ganz
wichtig: Bedenken Sie die Leserschaft,
an die Sie sich wenden! Wenn die beispielsweise hauptsächlich aus Tangotänzern
besteht, bringt es wenig, sich in allgemeinpolitische oder gesellschaftliche
Ebenen zu verirren. Welches Vorwissen
können Sie voraussetzen? Weder sollten Sie das Publikum überschätzen noch
allgemein Bekanntes ventilieren!
Nach
der Einführung wird es spannend: Ihre eigene
Ansicht muss zum Tragen kommen, indem Sie sich kurz, aber überzeugend mit
den zentralen Argumenten des Autors
auseinandersetzen. Hier können Sie direkte oder indirekte Zitate (bitte nicht zu lang) verwenden. Entscheidend ist aber die Schlagkraftkraft Ihrer Positionen!
Vermeiden Sie Allgemeinplätze oder Unterstellungen, was der Autor
angeblich geschrieben habe! Die kann der aufmerksame Leser leicht entlarven.
Bleiben Sie also haarscharf am Text! Und achten Sie auch hierbei auf die Unterscheidung zwischen feststehenden Tatsachen und Ihrer Wertung.
Das
alles sollten Sie abschließend möglichst kreativ und interessant zusammenfassen. Je knackiger und
witziger Ihnen das gelingt, desto mehr werden Sie die Lesenden auf Ihre Seite ziehen!
Im
Gegensatz zur eher trockenen, längeren Erörterung
verlangt ein Kommentar knappes,
pointiertes Schreiben! Sie müssen Ihren Text also mehrfach überarbeiten. Ziel: Langatmige Formulierungen vermeiden,
die wichtigen Punkte kurz und klar
herausstellen!
Ironie dürfen Sie als
Stilmittel durchaus (sparsam) einsetzen – Sarkasmus
oder gar Zynismus dagegen lassen
daran zweifeln, ob es Ihnen wirklich um die Sache geht! Und nochmal: Arbeiten Sie sich am Inhalt und nicht am Autor
ab – sonst geraten Sie schnell in den Verdacht der persönlichen Voreingenommenheit. Das wird unbefangene Leser eher abschrecken –
und um die sollte es Ihnen ja gehen, Ihre Fans
müssen Sie nicht mehr überzeugen!
Liebe
Tangofreunde, liebe Abiturienten,
ich
hoffe, mit meinen Tipps dienlich gewesen zu sein. Gerne dürfen Sie mir mal
einen Kommentar schicken, ich korrigiere ihn gerne!
Und
bitte: Korrektes Deutsch ist eine Höflichkeitsbezeugung gegenüber dem
Leser. Er sollte Ihren Kommentar leicht und flüssig lesen können!
Guten Tag Herr Riedl,
AntwortenLöschenich habe einen Vorschlag für Sie, der Sie begeistern wird:
Schreiben Sie doch einfach einen Multiple-Choice-Gäste-Antwort-Kommentar (so wie Ihre populären Quizze). Der jeweilige Gast kann dann in Ruhe auswählen und sein Ergebnis veröffentlichen (natürlich NICHT anonym).
Daraus ergeben sich für Sie nur Vorteile:
1. Sie können das Ergebnis sofort beurteilen und eine Note vergeben.
2. Sie brauchen keine Rechtschreibkontrolle ausführen.
3. Sie brauchen sich über nichts mehr aufzuregen.
4. Alle Ihre Vorgaben werden eingehalten.
5. Bei der Themenvielfalt, die Ihr Blog aufweist, dürften 1-2 Kommentarvorlagen genügen.
Fazit: nicht viel Arbeit für Sie – dafür bleibt Ihnen viel Ärger erspart.
LG, Hans Schmeisser
Lieber Herr Schmeisser,
Löschender Erfolg meines Blogs beruht ganz wesentlich darauf, dass ich mich seit sieben Jahren nicht an irgendwelche komischen Vorschläge anderer halte.
Trotzdem vielen Dank für Ihre Anregungen.
Gerhard Riedl
Herr Riedl,
Löschenich bitte um Verzeihung! Mein Beitrag war eine Satire, aber offensichtlich so schlecht, dass Sie sie nicht erkannt haben. Bitte nochmals vielmals um Entschuldigung!
LG, Hans Schmeisser
Natürlich habe ich sie erkannt, da ich ja von "komischen Vorschlägen" gesprochen habe und nicht weiter darauf eingegangen bin.
LöschenMein Dank war deshalb ebenfalls nicht ernst gemeint.
Ansonsten: Wenn Sie keine ernsthaften Beiträge mehr zu meinem Text einstellen, werde ich weitere Kommentare nicht mehr veröffentlichen. Und ja, Sie haben Recht: Das wäre Zensur.
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