Ärger mit den Panikmachern
Ich hätte es
mir denken können, als ich jüngst meinen Text zu „Tango- und Coronaviren“ veröffentlichte: Meine zu geringe Neigung,
von Ängsten geschüttelt zu werden, kam nicht bei allen Lesern gut an – und schon
gar nicht bei denen, die mich eh nicht mögen.
Als mein
Berliner Tangofreund Tom Opitz
meinen Artikel am 29.2. auf seiner FB-Seite teilte und des Lobes voll war,
befand die dortige Tango-Aktivistin Judith
Seeger:
„Und diskriminierend ist der Artikel auch, und zwar gegenüber
Übergewichtigen. Aber manche machen leider vor nichts Halt nur um ihre Artikel
zu posten. (…) Trotz allem finde ich
diesen Vergleich von Herrn Riedl sehr anmaßend.“
Das
Totenglöcklein läutete Burkhard
Koehler:
„Worst case Analyse: Alle erkranken
und 2% sterben, das hieße 1,6 Millionen Tote in Deutschland und 160 Millionen
weltweit. Das positive ist, der Bestand der Menschheit als Art ist nicht
gefährdet. (…)
Das Problem ist nicht
mit der Schweinegrippe zu vergleichen, eher mit den biblischen Plagen, wobei
dies erst der Anfang ist.“
Vor allem
aber befand ein Mediziner, der die Tangowelt immer wieder unter dem falschen Namen
„Joost Rot“ mit Kommentaren beglückt:
„Schöner kann man Äpfel und Birnen gar nicht vergleichen.“
Ansonsten vergießt
er sein Fachwissen derzeit reichlich auf die gläubigen Leser der FB-Gruppe „Konstruktiv Kollegiale Tangogespräche“.
Motto: Man weiß noch zu wenig, aber es könnte sehr schlimm werden.
Zudem fand
er noch Zeit, mich ein wenig zu denunzieren:
„Apropos Gerhard
Riedl zieht (mal wieder) unsere Diskussion durch den Kakao und vergleicht Äpfel-
mit Birnenrisiken.“
Kommt dort
ja stets gut an. So schrieb umgehend Friedhelm
Markus:
„Unerträglich verbalexhibitionistisch und
unseriös!“
Tja,
so bewertet man stramm-zackig mit ganzen vier Wörtern einen Artikel, der es immerhin
auf über 800 Wörter bringt…
Und
eine gewisse Stefanie Ecke, nach
meinen Recherchen Hamburger Rechtsanwältin (Spezialität: Medizinrecht) urteilte,
auch mit Blick auf meine Lebenserwartung:
„Oft finde ich Herrn
Riedls Posts durchaus lesenswert, aber dieser Eintrag ist für mich nur
polemischer ‚die-Realität-richtet-sich-nach-meinen-Vorstellungen-und-schlauer-als-das-RKI-bin-ich-auch-noch!-Quatsch‘.
Da ist jemandem wohl ein Apfel auf die Birne gefallen...?
Aber letztlich ist das auch egal, reden hilft nicht gegen Viren und gegen Meinungen älterer Herren sind sie ohnehin immun. Ganz anders als im umgekehrten Fall...“
Aber letztlich ist das auch egal, reden hilft nicht gegen Viren und gegen Meinungen älterer Herren sind sie ohnehin immun. Ganz anders als im umgekehrten Fall...“
Nach
mehreren vergeblichen Versuchen ist es mir gerade gelungen, von ihr sogar eine Einlassung zur Sache zu erhalten:
„Gerhard Riedl, können, wollen oder
mögen Sie nicht verstehen, dass Tango eine virenrelevante Nähe voraussetzt, die
über Alltagskontakt hinausgeht? Nein, wir sind nicht in Italien, dennoch wurde
dort im Turiner Raum bereits normaler Tangounterricht behördlich mituntersagt.
Nein, keine Massen-, sondern eher eine Wohnzimmerveranstaltung. Vermutlich
nicht ganz ohne Grund? Wäre ganz Deutschland tangoinvolviert, würde auch die
Risikoeinschätzung mit Sicherheit anders aussehen. Zumal wir uns im
Pandemiebeginn bewegen. Aber nichts für ungut und au revoir!“
Nein, lieber
nicht – ich habe die Dame inzwischen auf Facebook gesperrt, da wir uns über
gewisse Höflichkeits-Normen nicht
einig werden.
Vor allem
aber habe ich nie bestritten, dass es bei der Nähe im Tango ein gesteigertes
Infektionsrisiko gibt. So schrieb ich auf meiner FB-Seite schon längst
vorher (und von der Dame natürlich unkommentiert):
„Ja, sicher bieten enge Interaktionen wie Tanzen ein
höheres Infektionsrisiko – worauf ich halt hinweisen wollte: Auch für Influenza
und andere ansteckende Erkrankungen, mit denen wir uns aber anscheinend ganz
locker abgefunden haben und in gewissen Kreisen das Aneinanderpappen geradezu
als Pflichtübung propagieren. (…)
Die Freisetzung von
Glückshormonen stabilisiert das Abwehrsystem, Angst hingegen fährt es herunter.
Weiterhin dürfte mich die Tatsache schützen, dass mich die Tango-Massenauftriebe wie Festivals, Marathons und Encuentros noch nie interessiert haben. Und auf den von mir bevorzugten kleineren Milongas ganz ohne internationale Beteiligung dürfte sich das Infektionsrisiko in Grenzen halten. Und auf unserer Wohnzimmer-Milonga haben wir natürlich für eine eventuelle Rückverfolgung die Kontaktdaten der Besucher.“
Weiterhin dürfte mich die Tatsache schützen, dass mich die Tango-Massenauftriebe wie Festivals, Marathons und Encuentros noch nie interessiert haben. Und auf den von mir bevorzugten kleineren Milongas ganz ohne internationale Beteiligung dürfte sich das Infektionsrisiko in Grenzen halten. Und auf unserer Wohnzimmer-Milonga haben wir natürlich für eine eventuelle Rückverfolgung die Kontaktdaten der Besucher.“
Daher: Jeder darf und soll doch bitte sein persönliches Risiko selber einschätzen
und sich entsprechend verhalten! Mein Appell war lediglich, sich nicht damit
wichtig zu machen, dass man andere in unnötige
Panik versetzt.
Nachdem die bekannte Nachrichtenseite web.de dies reichlich betrieben hat, nehme
ich gerade ein gewisses Zurückrudern wahr. Unter der Überschrift „Angst frisst Verstand auf“ ist zu lesen:
„Im Fall des Coronavirus kommen mehrere Faktoren zusammen, die das Gefühl
der Bedrohung verstärken. Zunächst einmal würden Risiken, die nicht beobachtbar
seien - etwa radioaktive Strahlen oder eben Viren - generell als bedrohlicher wahrgenommen,
sagt Ralph Hertwig, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in
Berlin (…). ‚Zudem lösen neuere Risiken eine stärkere Reaktion aus als solche,
an die man sich schon gewöhnt hat. Ein weiterer Faktor ist die Unsicherheit: Es
ist noch unklar, wie viele Menschen letztendlich von dem Virus betroffen sein
werden. Dazu kommt, dass man das Gefühl hat, das Risiko nicht richtig
beherrschen zu können: Es gibt vorerst keinen Impfstoff.‘
All dies hat das Potenzial, Angst auszulösen. Wer Angst hat, tendiert dazu,
sich nicht mehr rational zu verhalten. Er denkt in erster Linie an sich selbst
und an die engste Familie. Im Extremfall rennt die Mutter unangemeldet mit
ihrem verschnupften Kind in die Arztpraxis, weil sie befürchtet, dass es das
neue Coronavirus haben könnte - nicht bedenkend, dass sie in diesem Fall viele
andere mit ihrem Verhalten gefährden würde. Der Mitmensch wird in erster Linie
als potenzieller Krankheitsträger wahrgenommen - und nicht als jemand, den man
theoretisch auch selber anstecken könnte.“
Apropos: Seit gestern gilt bei uns die Masern-Impfpflicht.
„Die Masern gehören dort (Anm.: in den Entwicklungsländern) zu den
häufigsten Infektionskrankheiten. Laut Schätzung der WHO haben sie im Jahr 2000
fast die Hälfte der 1,7 Millionen durch Impfung vermeidbaren Todesfälle
bei Kindern verursacht, bei geschätzten 30 bis 40 Millionen Krankheitsfällen in
jenem Jahr.“
Eilanträge und Verfassungsbeschwerden von Eltern
dagegen wurden bereits eingereicht. Was mich schmunzeln lässt: Wäre ab morgen
eine Corona-Impfung möglich – wie viele
der Herrschaften würden dann schon frühmorgens in der Schlange vorm
Gesundheitsamt stehen? Ich fürchte: eine Menge.
Und um nun auch noch Zwetschgen mit den Äpfeln und
Birnen zu vergleichen:
„Wie haben Menschen früher auf Epidemien reagiert? Die
schlimmste Seuche des 20. Jahrhunderts war die Spanische Grippe. Dabei gehe man
von 25 bis 40 Millionen Toten aus, sagt der Seuchenhistoriker Manfred Vasold. ‚In
Deutschland allein hatten wir 250.000 bis 300.000 Grippetote.‘ Es war also
unvergleichlich viel schlimmer als heute.
Brach damals Panik
aus? Überhaupt nicht. Viele Tagebuchschreiber erwähnten die Grippe kein
einziges Mal. Gaststätten und Kinos blieben offen. In den Zeitungen las man
kaum etwas darüber - denn man schrieb das Jahr 1918, es war die Endphase des
Ersten Weltkriegs. Die Regierungen verboten der Presse, über die Grippe zu
informieren, mit der Begründung, dass das die Moral der Bevölkerung schwächen
würde. Das einzige Land, in dem ausführlich berichtet wurde, war das neutrale
Spanien. Dadurch kam im Ausland der Eindruck auf, dieses Land wäre viel stärker
betroffen. Daher der Name: Spanische Grippe.
Die damaligen
Menschen hätten Epidemien mit Gleichmut hingenommen, sagt Vasold. Das Leben war
generell viel unsicherer als heute. ‚Wenn jemand von einer Reise zurückkam, hat
er sich erstmal erkundigt: Ist jemand aus dem Haus gestorben? Wer ist aus der
Nachbarschaft gestorben?‘ Die heutige Aufregung um das Coronavirus würde ein
Mensch aus dem Jahr 1918 nicht verstehen.“
Damit
ich auch was zum Gruseln
veröffentliche:
Daher sage ich mit vollem Ernst: Ich bin sehr
dankbar dafür, hundert Jahre später in einem der reichsten Industrieländer dieser Welt zu leben. Sollte ich am
Coronavirus erkranken, hätte ich notfalls Zugang zu einer hochmodernen Intensivmedizin und würde nicht, wie damals, von
Ärzten mit Quecksilberpräparaten oder Morphium respektive Kokain traktiert. Und
es kommt auch nicht, wie in irgendeinem Entwicklungsland, lediglich der Medizinmann, der mir was vorsingt und
mich mit einer Vogelfeder beräuchert.
Insofern halte ich die Zeitgenossen, welche
nun auf der Panikwelle reiten,
locker aus. Sie sind die weit harmlosere Alternative. Letztlich stehen dabei –
wie so oft – die Eulenspiegel gegen
die Stirnrunzler. Wer hilft besser
gegen Krankheiten?
Als
Antwort ein Satz, der angeblich aus China (!) stammt:
„Die Ankunft eines Komödianten in einem Dorf ist
für die Gesundheit der Einwohner wichtiger als die von zehn Ärzten“.Und in meiner Kindheit hieß es ja: „Lachen ist die beste Medizin." Ist lange her....
Das Niveau auf der „KoKo“-Seite ist kaum noch zu unterbieten. Heute schrieb Joost Rot:
AntwortenLöschen„Bei einer Sterberate von angenommen 1 - 2% (10x so viel wie bei Grippe) trotzdem tanzen/veranstalten und in Kauf nehmen, daß von 100 Teilnehmer*innen 1 bis 2 eventuell nicht überleben?“
Weiterhin diskutiert er über die desinfizierende Wirkung von Hochprozentigem:
„Ja, müsste man nochmal nachlesen, welches vol% am wirksamsten ist. Zu hoher Alkoholgehalt macht das Zeug wiederum unwirksam.“
Mir fällt dazu eine Geschichte aus meinem Berufsleben ein (sicherlich schon 30 Jahre her):
Ich unterrichtete gerade einen Kurs in der K 12, als der Alarm losging: Die Schule habe eine Bombendrohung erhalten.
Zügig führten wir unsere Klassen auf den Schulhof, Anwesenheitskontrolle etc. Ich merkte, dass viele Schüler ganz genau meine Reaktion beobachteten. Daher gab ich mich betont lässig und beruhigte die jungen Leute: Reine Routine, es gebe halt Wichtigtuer, die schon mal solche Aktionen unternähmen. Die Polizei würde das Schulhaus durchsuchen, vielleicht hätten sie einen Sprengstoff-Hund dabei usw.
Ich merkte bald, wie wichtig das war: Mein Verhalten wurde zusehends von den Schülern gespiegelt.
Bei einem meiner Zöglinge half das aber nichts: Es war erstaunlicherweise der größte Frechdachs des Kurses, mit dem ich schon öfter aneinander geraten war. Seine Panik war sehenswert: Woher ich das alles wisse, wer ihm denn garantieren könne, dass danach wirklich keine Bombe mehr versteckt sei? Nein, er weigere sich kategorisch, heute noch das Schulhaus zu betreten!
Meine lakonische Antwort: Gut, dann solle er eben als Einziger auf dem Schulhof bleiben.
War ihm wohl doch zu langweilig: Als der Alarm nach einer Dreiviertelstunde beendet war, kam er brav wieder mit.
Ich habe damals zwei Lehren daraus gezogen: Es ist extrem wichtig, als „Vertrauensperson“ keine Angst oder gar Panik zu zeigen. Das beruhigt die Situation ungemein.
Und: Gerade die größten Ego-Darsteller sind oft von Selbstzweifeln und Ängsten gepeinigt: Große Klappe und volle Hose gehen da häufig Hand in Hand.
Ach ja: Bombe wurde keine gefunden…
Auch wenn ich selbst ebenfalls eher zur Dickfelligkeit neige: der Spanische Grippe-Vergleich kommt mir etwas gaga vor. Am Ende des ersten Weltkriegs waren 300 Kilotote für einen Deutschen vermutlich wirklich Peanuts. Ich habe mal gelesen, daß an der Verdunfront an einem einzigen Tag 100.000 Soldaten draufgegangen sind. Und es war eben das Ende der Grippe-Pandemie, also die bottom line. Von der sind wir bei Corona vermutlich noch ein Stück weg.
AntwortenLöschenKlar – im 1. Weltkrieg gab es geschätzt mehr als 40 Millionen Tote (davon gut 40 Prozent Zivilisten). Da erschienen ein paar Hunderttausend Verstorbene relativ wenig.
LöschenHeute ist die Panik weit größer, obwohl in Deutschland noch alle Patienten leben.
Aber genau das wollte ich in meinem Artikel ja vermitteln: Ängste sind immer relativ. Und übrigens auch von begrenzter Kapazität. Was sich derzeit an der griechischen Grenze abspielt, beunruhigt mich wesentlich mehr. Aber gut – dann haben die Medien Katastrophen-Ersatz, wenn sich das mit Corona wieder gegeben hat…
Über einen echten fun fact zu Corona hatte ich heute eine Unterhaltung mit einer Tanguera. Ich erzählte ihr, daß meines Wissens die Todesrate bei über 60-jährigen Männer besonders hoch sei; somit dürfe Corona gewissen Aktivistenkreisen entgegenkommen, weil es vielleicht nicht nur die weißen, aber zumindest die alten Männer etwas ausdünne. Sie meinte dann nur "schon richtig, aber für Tangokreise dennoch schlechte Nachrichten - noch weniger Tanzpartner".
LöschenJa, die sexistischen weißen, alten Männer…
LöschenIch bekomme von meinen werten Gegnerinnen immer mal wieder Anspielungen auf mein nahes Dahinscheiden. So schrieb Stefanie Ecke kürzlich in der FB-KoKo-Gruppe:
„Recht köstlich finde ich auch, dass diese Kommentare in Richtung ‚is doch nur ne Grippe und krich ich auch bei'n ALDI anne Kasse‘ gerade von Tangueros kommen, die perfekt ins bisherige Altersbeuteschema der schweren Verläufe passen...“
Sprüche dieser Art gab es schon vor „Corona“. Bereits vor etwa einem Jahr schrieb Medusa McClatchey Fawkes mit Blick auf mich:
„Im Fall des Tango-Bloggers warte ich einfach auf den großen Sensenmann. Es wird nicht sehr lang dauern, vielleicht 15 Jahre, von denen ich schätze, dass es noch 5 Jahre lang aktives Tanzen und Schreiben gibt.“
http://milongafuehrer.blogspot.com/2019/04/warten-auf-den-sensenmann.html
Wohlgemerkt: Ziehen Frauen in dieser Weise über Männer her, ist das nicht sexistisch oder diskriminierend – nur im umgekehrten Fall!
Dass sich Tangueras damit selber das Wasser abgraben, ist natürlich klar.
Du hast ja neulich den Umgangsstil auf Facebook auf Thomas Kröters Seite trefflich beschrieben:
„Facebook fühlt sich für mich an wie ein failed state – ein oder zwei ganz nette Orte, und sonst nur brennende Mülltonnen und drogensüchtige Kinder mit Kalaschnikows.“
Ich darf hinzufügen: Und durchgeknallte Weiber.