Man muss nicht auf alles Tango tanzen


Die Wiener Tangofreundin Alessandra Seitz hat auf ihrem Blog gerade einen sehr interessanten Artikel veröffentlicht:

Tangofeeling oder was???"

Na gut – die drei Fragezeichen verbinde ich eher mit einem Kinderkrimi. Aber worum geht es wirklich?

Die Autorin fragt: „Was ist nun das Tangooohhhhfeeeeeeling?“

Auf jeden Fall nicht die Erscheinungen, welche sie bei Tangodiskussionen im Netz ausfindig macht: „Streitgespräche, Meinungsverschiedenheiten, Beschimpfungen, Rechthaberei und Intoleranz. Und all das beginnt mich zu langweilen…Was ist so schwer daran, jedem seine Freud zu lassen?“

So ganz leicht fällt dies offenbar doch nicht, denn schon ein paar Zeilen später attestiert sie einem anderen Blogger, der ein von ihr nicht genannt sein wollendes Musikstück charakterisiert:
„Wenn das jemand als Neo Tango bezeichnet, ist er ein Ahnungsloser.“

Auch in ihren früheren Artikeln verwendet sie gelegentlich bei ihr missfallenden Inhalten eine ziemlich klotzige Wortwahl:

„Klar muss mir nicht alles gefallen, klar muss ich mich nicht mit jedem Scheiß auseinandersetzen, aber dann halte ich auch die Klappe.“

der dümmste, klischeehafteste Artikel über Tango, den ich je gelesen habe.“

„Mainstreamtango, Sektiererei, Codigos, Arroganz, Elitegehabe von Lehrern und grapschende alte Säcke – Tango at it‘s worst!“

Daher empfehle ich: Die fromme Soutane sollte immer lang genug sein, dass die Peitsche darunter nicht hervorschaut! Lasst uns alle den Moral-Zeigefinger lieber unten lassen: Blogger formulieren gelegentlich griffig, sonst liest’s nämlich keiner…

Inhaltlich bin ich selber wohl auch ein wenig in Ungnade gefallen – kein Wunder, da ich mich strikt weigere, im Tango nur eine Seite zu vertreten, sondern eher zwischen den Fronten herumirre. So schreibt Alessandra:

„Ein weiterer geschätzter Kollege, der eigentlich recht liberal eingestellt ist, bringt plötzlich das Tangohhhhhfeeeeeling ins Spiel. Ja, eh klar….. Aber was bitte ist nun das Tangooohhhhfeeeeeeling????? Er meint, dass man (oder vielleicht präziser: er, um ihm nichts zu unterstellen ) auf zeitgenössische, sagen wir mal Pop Musik (das nennt er dann auch gern ‚Gedudel‘), kein Tangohhhhhfeeeeeling haben kann.“

O je, nun schon fünf Fragezeichen – schlimmer noch: „Feeling“ statt „Gefühl“ – klar, wenn man moderne Musik propagiert, geht das halt nur auf Englisch, das eben „a bissal hipper“ ist, wie die Autorin an anderer Stelle formuliert.

Stimmt, ich habe mein (teutonisches) „Tangogefühl“ neulich wie folgt beschrieben:

„Wenn man mit erfahrenen Tanzenden spricht, kommt man oft auf diesen gemeinsamen Punkt: In der ersten halben Stunde nach dem Eintreffen auf einer Milonga entscheidet sich, ob sich jenes geheimnisvolle, schwer zu beschreibende Tangogefühl' einstellt, das einen immer wieder aufs Parkett treibt, um diese Klänge körperlich nachzuvollziehen. In den erschöpften Zwischenpausen lauscht man selig der Musik und hat keinerlei Bedarf nach Gesprächen – und noch nach der Heimkehr spürt man diese Melodien nicht nur im Ohr: Sehnsucht, Traurigkeit, Nostalgie, Romantik, Verzweiflung – und nicht Hulli-Gulli für Silver Surfer.“

Aber, und darauf lege ich besonderen Wert: Das sind meine Empfindungen, die ich niemandem aufzwinge. Im selben Artikel schrieb ich:
Klar kann das für den Einzelnen ganz unterschiedliche Musik sein, und ich respektiere jeden Geschmack.“

Und auch zu Non Tangos habe ich eine relativ liberale Einstellung:

„Dennoch habe ich grundsätzlich nichts gegen das, was man gemeinhin ‚Non-Tango‘ nennt. Es gibt Musik, welche ähnliche Empfindungen auslöst wie die vom Rio de la Plata – das kann mal ein Blues sein, ein Chanson, eine Ballade oder vielleicht ein Musettewalzer. Wer dieses Gewürz sparsam handhabt, kann nicht wirklich scheitern – das Ergebnis schwankt dann zwischen ‚genial‘ und ‚ich wollte mir eh was zum Trinken holen‘. In Überdosis aber verdirbt es ein Milonga-Menü derart, dass man es nicht mal mehr dem Hund geben kann.“

Wenn Alessandra diesen Begriff aber (nun schon mit neun Ausrufezeichen) so definiert: Non Tango (alles, worauf jemand Lust hat Tango zu tanzen!!!!!!!!!)“ – so ist das für mich eine Flucht in die Beliebigkeit. Irgendwen wird es weltweit schon geben, der auf irgendein Musikstück Tango tanzen möchte. Jegliche Art von Musik wird somit zum „Non Tango“ – und das stimmt ja auch: Von Tango kann dann wirklich keine Rede mehr sein.

Aber der Tango ist halt vor über hundert Jahren in einer bestimmten geografischen, ethnischen und sozialen Situation entstanden – und zwar am Rio de la Plata und nicht in der chinesischen Jin-Dynastie, beim Bau der ägyptischen Pyramiden oder in einem Jazzkeller in der Bronx. Daher sollte man so fair sein, nur das Tango zu nennen, was zumindest einen vagen Bezug zu dieser Kultur hat.

Aber klar es geht ja ums Tanzen: „Weil man, wenn man mag, auf ALLES Tango tanzen kann“, wie Alessandra schreibt. Sicherlich – und das sei selbstredend jedem zugestanden. Nur: Daraus einen besonderen künstlerischen Anspruch abzuleiten, hielte ich für verwegen. Jeder Ballbesucher weiß: Es gibt Leute, die beherrschen  verschiedene Tänze – und andere tanzen auf alles Foxtrott (oder „Schieber“).

Daher sollte man dann auch das Gegenteil respektieren: Wenn man nicht mag, muss man nicht auf ALLES Tango tanzen.

Die Autorin schreibt: „Es gibt nur eine Regel: Respekt, wie im wahren Leben…“

Stimmt! Nur erlaube ich mir schon, das derzeitige Modewort ein wenig zu hinterfragen: Wenn ich auflege, versuche ich, die verschiedensten Geschmäcker zu respektieren, indem ich Musik aus einem weiten Zeitrahmen auflege. Auch Künstler aus den Jahren 1960 bis 2000, die offenbar im Tango derart Wertloses geboten haben, dass sie auf kaum einer Milonga zu hören sind. Ich halte diese Praxis für eine Kulturvernichtung ersten Grades! Wie wäre es mal mit Adriana Varela, Susana Rinaldi, María Volonté oder Susy Leiva? Stattdessen etablieren sich immer extremere „Sparten-Milongas“.

Daher nehme ich Belehrungen zum „Respekt“ gelassen entgegen.

Apropos: Gerade finde ich meinen schon gehabten Verdacht bestätigt bei der Wiener DJane, welche voll des Lobes über Alessandras und Peters Milonga ist, handelt es sich um eine Dame, welche im Internet unter dem (falschen) Namen Sylvia Dorn unterwegs ist. Na prima, die hat in der Vergangenheit, zusammen mit den üblichen Verdächtigen, immer wieder meine modernen Tangoideen heftig attackiert. Wahrlich eine „Respekt-Expertin"... 

Klar: „Jeder hat seine eigene Geschichte, jeder seine Musik, die ihm hilft, seine Gefühle auszudrücken“, wie Alessandra meint.

Ich kann nur sagen: Meine Emotionen werden durch „hippe Ü 50-Partys“ nicht in Wallung versetzt – selbst wenn sich dorthin wirklich junge Leute verirren würden (was ich eher selten beobachte, da ihnen vielleicht das Gehupfe ihrer Großeltern-Generation eher peinlich ist).

In einem früheren Text jedenfalls habe ich mein „Tango-Gefühl“ mit den Worten eingegrenzt:

Wie war das vor hundert Jahren, als die Migranten' (heute wie damals gesellschaftlich verachtet) zu den Klängen einer Fidel, einer Gitarre oder eines Bandoneóns in staubigen Hinterhöfen ihre Runden drehten? In der Musik ihre Sehnsüchte, ihre geplatzten Träume wiederfanden? Bacardi Feeling'?"

“Be, what you wanna be, taking things the way, they come,
nothing is as nice as finding paradise and
Sippin' on Bacardi Rum.
Living life the easy way,
got your way to let it run,
nothing is as cool as drifting in the sun light,
Sippin' on Bacardi Rum.”
https://milongafuehrer.blogspot.com/2018/11/weichzeichner-tango.html

Kommentare

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