Man heult sich einen Wolf
Als
ich gestern mit meiner Frau über den Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer sprach, meinte sie:
„Da müssten doch
vorher ganz andere zurücktreten, zum Beispiel… – was der alles verbockt hat.“ (Name aus juristischen Gründen weggelassen)
„Wird er aber nicht
tun“, meinte
ich.
„Ja, wieso denn
nicht?“
„Weil die
CDU-Vorsitzende intelligent ist und hohe Ansprüche an ihre Leistung hat. Wenn
sie dann Fehler macht, geniert sie sich. Der … hingegen ist ein Mann. Da tritt
man schon mal nicht zurück, von wegen
Rangordnung. Was erschwerend hinzukommt: Er ist ein Depp. Das weiß er, da man
es ihm seit seiner Kindheit oft genug gesagt hat. Also geniert er sich nicht,
wenn er was versaubeutelt. Das ist für ihn normal.“
Diese
Erkenntnis hat bei mir schon länger zu einer großen Skepsis in Hinsicht auf ein
aktuelles gesellschaftliches Mantra geführt:
Man muss heute ja über alles lang und breit diskutieren, „im Dialog
bleiben“. Gut, dass wir mal drüber geredet haben! Nur: Es bringt nichts,
wenn die Motive des anderen
übermächtig sind – und natürlich rein gar nichts mit seiner offiziellen Argumentation zu tun haben.
So
muss ich bei Alpha-Männern wie dem Thüringer FDP-Fast-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich immer lachen, wenn sie
treuherzig versichern, sich „der
Verantwortung stellen“ zu wollen. Wenn dann ein politisches Beben durch die
Republik geht, fühlen sie sich dafür schon mal nicht verantwortlich.
Die
wahre Motivation für ein solches Amt
dürfte eher darin bestehen, dass man dann in einem fetten Dienstwagen mit
Fähnchen vorn dran sitzt, nicht mehr selber fahren muss, überall mit „Herr Ministerpräsident“ angeredet wird
und jemanden hat, der einem die Aktentasche hinterherträgt. So einfach ist das.
Erst als sich tausende Demonstranten vor den FDP-Parteibüros versammelten, kam der Umschwung. In einem der peinlichsten Interviews, das ich kenne, durfte dann die Generalsekretärin der Partei, Linda Teuteberg, den Umfall begründen:
Auch
hier gilt wieder: Sie glaubt natürlich selber kein Wort von dem, was sie sagt. Aber sie weiß: Wenn sie bekennt,
dass ihr Chef Bullshit verzapft hat,
ist sie die längste Zeit in diesem Amt gewesen.
Diesem
Mechanismus begegnet man immer
wieder in fast beliebigen Bereichen: Du kannst es nicht fassen, warum dein Gegenüber
unverrückbar an nachweislichem Schwachsinn festhält und alle wirklich überzeugenden Argumente schlicht
ignoriert. Dabei ist die Erklärung ganz einfach, aber desillusionierend: Weil
es um diese inhaltlichen Erwägungen gar nicht geht. Den anderen treiben völlig sachfremde Motive. Und die sind für ihn
derart existenziell, dass er vermutlich selber an seine Behauptungen glaubt.
Womit
wir beim Tango wären:
Stellen
wir uns einmal vor, der größte deutsche Tanzlehrerverband (ADTV) hätte vor 20 Jahren
verkündet, es gebe lediglich vier
wirklich herausragende Tanzorchester, nämlich die 40-er Jahre-Ensembles Dajos Béla, Barnabás von Géczy, Juan
Llossas und Marek Weber. Nachweislich
begeisterten die damals Millionen von Tänzern! Weiterhin habe man bei den
Tanzabenden in Serien zu drei bis vier
Stück (natürlich vom selben Ensemble) plus andersartiger Zwischenmusik aufzulegen und nur mehr per Blickkontakt aufzufordern. Und natürlich die neuen „Tanzspur-Verordnungen“ strikt zu
befolgen und hohe Beinaktionen zu
unterlassen.
Ich
fürchte, der Herausgeber einer solchen Botschaft wäre umgehend in eine geschlossene Therapiestation verbracht
worden. Im Tango hingegen ist das gelungen und heute durchaus mehrheitsfähig.
Wir
lernen daraus: Auf Inhalte kommt es
nicht an. Entscheidend ist, dass man eine Massenbewegung
für oder gegen etwas hinbekommt. Dann tritt sogar ein Herr Kemmerich zurück –
oder man glaubt, dass es im Tango schon immer feste Traditionen gegeben habe.
Beziehungsweise die Hexen an allen Krankheiten schuld seien, die Erde das
Zentrum des Universums bilde, Homosexualität kriminell oder die FDP liberal
sei.
Tanzbare Stücke von Piazzolla? Nein, da will man lieber
nicht durchs Fernrohr auf die Jupiter-Monde sehen – Brecht und Galilei lassen
grüßen…
Ob
es sich um Gold, Butter oder Scheiße handelt: Hunderttausend Fliegen können nicht irren.
Daher
werde ich auch die Mär, ich mache in meinem Blog alles schlecht, nicht wegbekommen. Dort stehen
derzeit 67 Playlists mit tendenziell
moderner Tangomusik. Lange habe ich
mich gewundert, darüber mit kaum einem DJ
ins Gespräch zu kommen: So richtig sachlich
– wieso eine bestimmte Aufnahme gut oder schlecht, mehr oder weniger zum Tanzen
animierend sei.
Es
gibt sehr vereinzelte Ausnahmen, aber auch bei denen merke ich manchmal den Druck, unter dem man steht: So bat mich
neulich ein eher traditionell auflegender Kollege nach geeigneten Stücken der Tangosängerinnen aus der Zeit von 1960
bis 2000. Als ich ihn auf mein Blog verwies, fand er – einen männlichen Sänger! Über diese Freudsche Fehlleistung kann man länger
grübeln:
Ich
fürchte, man darf in diesen Kreisen halt nichts
Positives zur Tangomusik nach Ende der EdO finden. Nicht, weil es dies
nicht gäbe, sondern, da man sonst die begehrten
DJ-Gigs sehr schnell loswürde. In der Szene steigt die Zahl der
potenziellen Aufleger rapide, der Verteilungskampf ist hart. Ideologische
Abweichungen kommen da gar nicht gut an.
Vom
sonstigen sozialen Druck ganz zu
schweigen. Den Missachtungs-Mechanismus
kenne ich aus eigener Erfahrung sehr gut. Und man möchte ja weiterhin zum
stimmungsvollen Encuentro-Urlaub nach Barcelona oder Montezuma eingeladen
werden. Und auf die vielen „Tango-Freunde“ nicht verzichten… Also heult man
sich einen Wolf.
Wie
nicht anders zu erwarten, färbt das auf die Neo-Szene ab. Dort sollte man nicht zu viel Tango auflegen, um weiterhin der Gnade teilhaftig zu
bleiben. Und die guten Gigs sind da noch rarer.
Wie
ich gerade erst wieder erfahren durfte, kommt ein individueller Standpunkt auf beiden Seiten nicht gut an. Mein
satirischer Lieblingsbegriff „Gedudel“ für mich nicht animierende
Musik wird da wie dort nicht gerne vernommen. Und wenn man sowohl über den
konservativen Zeitlupen-Tanz als auch die ekstatischen Verrenkungen in der
Contango-Szene abzulästern wagt, verliert man weitere Freunde.
Mir fällt dabei ein Erlebnis ein, das
mir schon als etwa 18-Jähriger zu denken gab. Ein Freund überredete mich zum
Besuch eines „Underground-Konzerts“.
Die gebotene Musik war tatsächlich – na ja, sehr experimentell. Unglaublich, was man unter Missbrauch von Schlagwerk,
Sitars und chinesischen Reisschalen alles an Klängen erzeugen kann! Da mein
Kumpel und ich dort vermutlich zur nicht bekifften Minderheit gehörten, machten
wir uns im Verlauf des Abends den Spaß, durch Pfeifen auf unseren teilweise
gefüllten Bierflaschen etwas zur Katzenmusik beizutragen. Ein Klassenkamerad
aus der Hippie-Fraktion kam schließlich zu uns und sprach einen Satz, über den
ich heute noch lachen muss:
„Der
Underground murrt bereits.“
Hat jetzt nicht so viel mit Tango zu tun...aber beim Teuteberg-Interview habe ich mich schon gefragt, ob die Interviewerin immer so aggressiv drauf ist. Wie ich auch bei vielem bisher dachte, super Ding für die AfD, die Solidarität der Demokraten so vorzuführen - alle fallen hysterisch übereinander her. Hauptsache man kann der politischen Konkurrenz ordentlich einen einschenken.
AntwortenLöschenDa stimme ich weitgehend zu. In Thüringen beispielsweise blamiert sich derzeit fast die ganze politische Klasse.
AntwortenLöschenWas das Interview betrifft: Der "konfrontative" Journalismus ist halt derzeit schwer in Mode. Dass der Politiker als Folge meistens dichtmacht und man gar nichts aus ihm herauskriegt, wird nicht bedacht.
Was mich hier amüsiert hat: Jedem war klar, dass Lindner Mist gebaut hatte - natürlich auch seiner Generalsekretärin. Sie glaubte aber, es nicht zugeben zu dürfen.