Liebes Tagebuch… 59


Frau: ein Fisch, der den Angler fängt.“
(Mark Twain)

In 20 Jahren habe ich sicherlich 3000 Milongas besucht. Auf jeder Veranstaltung versuche ich, eine Tanguera aufzufordern, mit der ich noch nie getanzt habe. Klappt nicht immer, aber sehr oft – und manchmal sind es auch zwei. Daher wird wohl auch die Zahl meiner verschiedenen Tanzpartnerinnen nicht weit von obiger Zahl entfernt sein.

Ich bin sicher, dass meine tänzerischen Fähigkeiten in erster Linie davon herrühren, dass ich mich auf so viele sich unterschiedlich bewegende Menschen (es waren auch ein paar Männer dabei) einstellen musste. Das war es ja, was ich von Anfang an bei erfahrenen Milongueros bewundert habe: Irgendwie kriegen sie es mit jeder hin. Dabei lernt man natürlich auch alle Stufen zwischen Brillanz und Verirrung kennen. Macht nichts, das Krisenmanagement wird stets geschult – in welcher Hinsicht auch immer!

Mit den Jahren glaubt man dann immer mehr daran, dass einen nichts mehr überraschen kann, weil man alles schon erlebt hat. Ich kann davor nur warnen: Das ist ein Trugschluss!

Neulich besuchte ich wieder einmal eine Milonga, die – nicht nur von der Musik her – etwas anders gestrickt ist als der Normalfall: Vor allem versuchen die Gastgeber, die Besucher einander nahezubringen.

Ich war also nicht überrascht, dass mich die Veranstalterin nach einiger Zeit ansprach: „Wenn du mal mit einer sehr guten Dame tanzen willst: Das ist die mit dem blauen Kleid. Sie war schon einmal da, aber viele kennen sie nicht, daher sitzt sie oft ziemlich lang herum.“

Tapfer unterdrückte ich die spontane Antwort: „Was heißt hier: Wenn  du mal...?“ und fragte nur: „Meinst du die mit dem blauen Kleid da hinten links?“

„Nein, nicht die Blonde, sondern die Dunkelhaarige. Sie ist grade rausgegangen, hoffentlich geht sie nicht schon heim. Ich habe ihr geraten, selber aufzufordern, aber das traut sie sich wohl nicht.“

Ich versprach natürlich, mein Möglichstes zu tun – und tatsächlich betrat die Betreffende nach kurzer Zeit wieder den Saal. Da mich die gerade laufende Musik nicht direkt zum Tanzen animierte, wollte ich noch bis zum nächsten Stück warten.

Erneut tauchte die Gastgeberin auf: „Jetzt ist sie wieder da – siehst du, dort in der Ecke.“

Ja doch! Ich bin zwar etwas schwerhörig, sehe jedoch – auch ohne Brille – noch relativ gut.

Die nächste Musik erklang. Wie jetzt, Cabeceo? Die Entfernung betrug im Funzellicht locker 25 Meter. Zudem war die Blinzelei dort nicht unbedingt üblich. Daher beschloss ich, mich auf den Weg zu machen.

Doch was war das? Nach etwa einem Drittel der Strecke stand die Dame auf und ging – so kam es mir vor – nicht direkt auf mich zu. Verflixt! Hatte mich da wieder mal ein Fremd-Cabeceo von hinten mit Lichtgeschwindigkeit überholt? Ich drehte mich um, aber da war kein sich nähernder Tänzer.

Inzwischen war die Tänzerin schon bei mir angekommen und erklärte grinsend: „Weißt du, ich habe den diskreten Hinweis der Veranstalterin an dich schon mitbekommen.“

Mein dummes Gesicht war wohl ziemlich eindrucksvoll – ich brachte nur noch heraus: „Tja, so werden die letzten Geheimnisse des Tango verraten…“

Es wurde noch eine sehr schöne Tanzrunde. Die Dame hatte tatsächlich einiges drauf – und vor allem: Humor.

Für mich blieb eine Erkenntnis, die ich gerne an meine männlichen Kollegen weitergebe: Frauen können auf unglaubliche Distanzen soziale Interaktionen beobachten und deuten. Wenn sie an euch interessiert sind, bleibt ihnen kein Gesprächspartner, kein Blick verborgen. Also traut euch – es haben euch mehr im Fokus, als ihr meint!

P.S. Das Aussehen der Dame habe ich verfremdet, um die Wiedererkennung zu vermeiden.

It takes 2 to tango * www.tangofish.de

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