Rudelbildung
„Eine Rudelbildung
findet meist nach einem Foul und/oder strittigen Entscheidungen eines Schiedsrichters
statt. Dabei versammeln sich um den Schiedsrichter mehrere Spieler (ein
‚Rudel‘) einer oder beider Mannschaften. Das Ziel der Rudelbildung ist meist,
eigene Spieler verbal oder handgreiflich zu unterstützen oder Einfluss auf
unliebsame Schiedsrichterentscheidungen zu nehmen.“
„Der Umgang
untereinander ist doch erschreckend. Es fehlt an jeglicher Objektivität und
Souveränität, fast hat man den Eindruck, als sei ein Großteil am Samstag
zwischen halb vier und halb sechs nicht mehr zurechnungsfähig.“
(Manfred Amerell,
DFB-Schiedsrichtersprecher)
Sicherlich
gibt es im Tango keinen Schiedsrichter
(auch wenn der eine oder andere sich dafür hält). Männerrudel allerdings schon.
Und an deren Zurechnungsfähigkeit habe
ich auch nach halb sechs meine Zweifel.
Immer
häufiger beobachte ich auch bei unserem Tanz eine Rudelbildung der besonderen Art. Bei begehrten Frauen überlässt man es immer weniger dem glücklichen Zufall,
eine Runde auf dem Parkett zu ergattern. Oft kommen die Traumprinzessinnen beim Eintreffen auf
einer Milonga gar nicht zu einem Sitzplatz. Schon an der Tür wird ihnen nach
enthusiastischer Begrüßung ein Gespräch aufgedrängt, welches selbstverständlich
nur den Zweck hat, sie aufs Parkett zu kriegen. Im Gegenzug werden natürlich nicht tangoadelige Damen völlig ignoriert.
Tandas und Cortinas sind dabei nicht wirklich
wichtig: Wann man an die Beute kommt, ist zweitrangig. Und die schleppt man dann
herum, so lange es irgend geht.
Lässt
man das begehrte Wild endlich aus den Fängen, warten am Rand der Tanzfläche
bereits die Sekundär-Verwerter: „Der Nächste, bitte“ gilt offenbar auch
außerhalb von Arztpraxen. Die Nahrungskette gerät oft zum Konsumenten-Ring: Wenn der letzte im Rudel durch ist, geht’s wieder
von vorne los. Außen Stehende (oder gar Sitzende) haben keine Chance.
Nun
glaube ich weder im Fußball noch beim Tango an die friedensstiftende Wirkung
von Regeln. Obwohl beim Balltreten
nun wirklich alles glasklar definiert ist, gilt im konkreten Fall meist: Abseits ist es, wenn die
gegnerische Mannschaft ein Tor schießt. Wenn es dann nicht gepfiffen wird, mutiert
der Mann zum Rudelmitglied.
Und
auch die Stückelung der Musik in Tandas
oder die Aufforderung per Cabeceo wird
bekanntlich in der Problemlosigkeit nur noch von Ministerpräsidenten-Wahlen in
Bundesländern übertroffen, welche man früher „Zone“ nannte.
Erstaunlich
nur, dass nach meinem Eindruck immer mehr Tänzer das Vertrauen zur Wirksamkeit
glubschenden Gezwinkers verlieren und sich stattdessen – wie auch im sonstigen
Sexualleben – einfach direkt an die Weiber ranmachen. Hervorragende Qualitäten
sind bekanntlich hier wie dort kein Thema.
Sicherlich
hängt das Ganze mit einer Beobachtung zusammen, die ich schon längere Zeit mache: Auf
vielen Milongas kann von „Frauenüberschuss“
keine Rede mehr sein. Das Geschlechterverhältnis ist oft ziemlich ausgewogen –
und ich kenne eine Reihe von Veranstaltungen, bei denen die Männer die Mehrheit
stellen.
Bei
genügend Auswahl ist das männliche
Vertrauen auf die segenreiche Wirkung von Blickkontakten groß – nimmt dagegen
das Angebot ab, scheinen die „hehren
Tangotraditionen“ nicht mehr so wichtig zu sein. Da wird es daher nicht
mehr als respektlos oder gar „nötigend“ betrachtet, direkt auf die Frauen
zuzugehen – gerne auch im Rudel.
Daher
bleibe ich dabei, was ich schon immer vertreten habe: Der Cabeceo bedient vor
allem männliche Interessen – und wenn
er nicht mehr in der Weise funktioniert, tun die Kerle einfach so, als habe es
ihn nie gegeben…
Wie
fast immer jedoch gilt: Wenn Männer sich danebenbenehmen, sind Frauen durchaus
mitbeteiligt. Manche Damen verstehen es durchaus, mit lautem Gegacker und
sonstiger sozialer Epilepsie maskuline
Rudel anzulocken. Dabei scheint Quantität
über Qualität zu gehen. Gute Tänzer?
Ach, wurscht, Hauptsache Männer –
eine Devise, welche auch bei der sonstigen Partnerwahl nicht eben selten
erscheint.
Auf
die Frage: Was können denn die armen
Frauen dafür, dass die Jungs sich so um sie drängeln? Wie bereits
angedeutet, gäbe es schon subtile
Stilmittel, gewissen Annäherungen oder Gesprächen auszuweichen, zu
signalisieren: Bei mir hat nicht der Rücksichtsloseste Erfolg, ich suche mir
meine Tanzpartner selber aus.
Nun
gut, soll jede machen, wie sie will – Regeln sind keine Nachfüllpackungen für
Kinderstube. Für mich gilt jedenfalls: Ich beteilige mich an solcherlei Balz-Ritualen nicht. Allein der
Gedanke, mich gemeinsam mit hormonbesoffenen Auerhähnen flügelschlagend um eine
solche Henne zu bemühen, verursacht mir Übelkeit.
Im
Gegenzug gibt es ja durchaus Frauen, welche sich (wohl ziemlich bewusst) von
solchen Gedöns distanzieren, sich zwar nicht reserviert verhalten, aber doch signalisieren, dass sie den Rummel
nicht mitmachen. Und sie tanzen nicht schlechter als die wichtigtuenden
It-Girls.
Nicht
nur deshalb bin ich in meiner Erwartung toller Tänze nach wie vor völlig
tiefenentspannt. Eher mache ich mir Sorgen darüber, was Frauen sich nicht
nur beim Tango alles gefallen lassen, wie sie Akzeptanz den persönlichen Zielen
unterordnen.
Neulich
landete ich aus gewissen Gründen für einige Zeit auf einem Stuhl direkt an der
Tanzfläche, die Paare waren teilweise weniger als einen Meter von mir entfernt.
Was mir extrem auffiel: Die Grobheit,
mit der viele Tänzer verfahren. Eigenständige Bewegungsentscheidungen der
Partnerinnen sind oft Lichtjahre entfernt. Da wird nach Herzens(?)lust
gequetscht, gehakelt, gerissen und geschleudert. Und das Schlimmste daran: Fast
immer sehe ich bei der Tänzerin nur das angstvolle Bemühen, einer „Führung“ gerecht zu werden, die ich
eher als brachialen Überfall
bezeichnen würde.
Eine Anregung: Wenn Sie gerade mal nicht tanzen, zählen Sie doch die Paare ab, bei denen die Tänzerin erkennbare Freiräume genießt!
Wahrlich:
Sadisten haben vor allem dort
leichtes Spiel, wo sich genügend Masochisten
finden. Kann sein, dass dies manche Damen antörnend finden. Mich persönlich
machen allerdings Schauspiele nicht an, bei denen sich Frauen wie ein nasses Handtuch
um den maskulinen Traumkörper wickeln lassen. Es sieht lediglich total bescheuert
aus. Und besser tanzen lernt man auf
diese Weise sicher nicht – eher im Gegenteil.
So
geht es dort schon in der Kreisliga zu:
Für mich ist der Cabeceo eine Art Sport, aber mit einer weiteren Dimension. Die Sportdimension ist, das auch auf längere Distanzen oder trotz "curtain of people" hinzukriegen. Der eigentliche Punkt ist aber: Bei einer so gestarteten Tanda weiß ich, daß die Dame tatsächlich an mir Interesse hat. Ist das ein wenig narzißtisch? Bestimmt. Und ja, gegen einen Talkeceo oder direktes Auffordern habe ich da keine Chance, und manchmal sitze ich wider Willen. Aber: no risk, no fun.
AntwortenLöschenIch würde da nicht von Narzissmus sprechen - eher von Illusionen.
LöschenWenn eine Frau die Tanzeinladung annimmt (in welcher Form auch immer), eröffnet sich ein weites Spektrum zwischen "Hurra, mein Traumtänzer" und "Bevor ich rumsitze, dann halt mit ihm".
Ob eine Dame wirklich sehr gerne mit mir tanzt, erfahre ich meistens erst auf dem Parkett. Manchmal nicht mal da.
Daher empfehle ich, weder zu fragen "Warum tanzt die mit mir?" noch "Warum will sie gerade nicht mit mir tanzen?".
Stimmt, diese Art Illusion wäre auch noch ein mögliches Motiv. Wobei ich mir da recht sicher bin, daß es in meinem Fall nicht zutrifft.
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