Unsere Wohnzimmer-Interpreten II
Weil
ich schon beim Zusammenstellen bin:
Auch in meinen Playlists finden sich
viele Vorstellungen von Künstlern, die auf den heutigen Milongas völlig
ignoriert werden. Ich habe dazu jeweils ein Video verlinkt, welches ihren Vortragsstil beispielhaft zeigt, und die
Texte herauskopiert. Das Material reicht locker für einen spannenden Musikabend zu Hause. Ich wünsche viel
Spaß!
Eine völlige
Neuentdeckung war für mich die spanische Sängerin und Filmschauspielerin Sara Montiel (1928-2013). Sie gewann
mit 16 Jahren einen Nachwuchswettbewerb und drehte ab 1950 auch in Hollywood.
Sie war unter anderem mit dem Regisseur Anthony
Mann verheiratet und trat im Fernsehen und auf Tourneen als Sängerin auf.
Ihr Repertoire umfasste den gesamten Kanon der Unterhaltungsmusik, speziell
Latino-Rhythmen und auch Tango.
Hier eine Kostprobe:
Die
CD „Tango por vos“ der
Ausnahmesängerin Julia Zenko habe
ich – wie so vieles in der moderneren Tangomusik – neulich eher zufällig
entdeckt. In der Tanda, die ich auflegte, interpretiert sie auch die
wunderschöne Ballade „Barco quieto“
der Autorin und Sängerin Maria Elena
Walsh:
Ein
besonderer Fund war für mich die CD „Tangos
y Milongas: The Heart of Argentinian Tango“. Unter der Führung des
bekannten Trompeters Thierry Caens
spielt eine illustre Musikerauswahl:
Gustavo
Beytelmann (Klavier)
Patrice
Caratini (Bass)
Juan José
Mosalini (Bandoneón)
Minino Garay
(Schlagzeug)
Besonders
beeindruckt hat mich Cristina Branco
– eine portugiesische Fado-Sängerin, die jedoch auch in anderen Genres aktiv
ist. Hier singt sie den Titel „Anclao en
París“ („Gekettet an Paris“) aus dem Jahr 1931 (Musik: Guillermo Barbieri,
Text: Enrique Cadicamo). Er handelt von einem Bohemien, der in Paris gestrandet
ist und – aus Mangel an Geld und Glauben – sein geliebtes Buenos Aires nicht
mehr sehen wird (seufz):
Auf den
üblichen Milongas sind sie selten zu hören: weibliche Tangosänger. Nicht zum ersten Mal bilden sie in Pörnbach
die Überzahl – vor allem die hierzulande völlig unbekannte Rosanna Falasca und die zumindest in Südamerika populäre Susana Rinaldi.
Hier singt diese einen Titel, den ich in den üblichen Interpretationen nicht mehr hören
kann: Madame Yvonne von Eduardo Pereyra aus dem Jahr 1933:
Eines der schönsten Stücke, auf die ich stets
tanzen möchte, ist das gleichnamige Titellied aus dem Oscar-prämierten Film „Cinema
Paradiso“ von Giuseppe Tornatore. Komponiert hat es Ennio
Morricone. Hier spielt es der Gitarrist Esteban Morgado mit
seinem Quartett. Auch das ist Tango aus Buenos Aires. Er hätte es verdient, auf
unseren Milongas gespielt zu werden!
Als
musikalisches „Special“ stellte ich den Sänger Ariel Ardit vor. Er wurde 1974 im argentinischen Córdoba geboren
und studierte lyrischen Gesang. Seit 1998 singt er Tangos, ab 1999 vor allem
mit dem Ensemble „El Arranque“ und –
seit etwa 10 Jahren – mit den Orchesterleitern Néstor Marconi, Ramiro Gallo
und Andrés Linetzky. Wunderschöne
Duette bot er auch mit der Sängerin Lidia
Borda. Unter anderem gab es eine Kostprobe aus seiner neuen CD „Gardel sinfónico“, die heuer für den
„Latin Grammy“ nominiert war.
Es spricht
Bände über die deutsche Tangoszene, dass dieser Tonträger nicht einmal in
Deutschland erhältlich ist. Mein Exemplar kam per Schiff aus den USA; Dauer: 6
Wochen!
Nelly
Omar
(Nilda Elvira Vattuone, 1911-2013) war eine argentinische Schauspielerin und
Sängerin. Von 1924 an sang sie, oft mit ihren beiden Schwestern, in Radioshows
Volkslieder – und auch Tangos. Sie arbeitete eng mit den Textern Enrique
Cadícamo und Homero Manzi zusammen. Letzterer schrieb etliche Tangos für sie,
u.a. das berühmte „Sur“. In den 40-er Jahren sang sie mit dem Orchester
Francisco Canaro und nahm Schallplatten auf. Tangosängerinnen hatten es damals
nicht leicht, und Nelly Omar ging niemals „Klinken putzen“. Eine der wenigen,
welche sie förderte, war Eva Perón.
Als
Anhängerin von „Evita“ kam Nelly Omar nach dem Umsturz 1955 in Argentinien auf
die „schwarze Liste“. 1972 feierte sie ein Comeback und hatte Auftritte bis ins
hohe Alter.
Und
hier noch eine gesangliche Kostprobe:
Seit 2003
bringt die spanisch-argentinische Gruppe „Otros Aires“ („andere Luft“)
frischen Wind in die Tangomusik-Szene. Die Interpreten um den gelernten
Architekten Miguel Di Genova (Gesang, Gitarre), Omar Massa (Bandoneón), Diego
Ramos (Klavier) und Martín Bruhn
(Schlagzeug) kommen aus der „Mestizo-Musik“ (vereint Latino-Rhythmen und
Popmusik). Charakteristisch ist das Sampling (also Einbindung kurzer Originalsequenzen)
aus traditionellen Tango-Aufnahmen in ihre „Elektrotangos“.
Sie bieten
viele Live-Auftritte und haben eine Reihe sehr erfolgreicher CDs
herausgebracht. Manche ihrer Titel (wie „Sin Rumbo“) gelten in der modernen
Milongaszene bereits als Klassiker. Kürzlich erschien ihre neue CD „Perfect
Tango“, die ich natürlich in Pörnbach vorgestellt habe.
Unser
musikalisches „Special“ war diesmal der Soundtrack zu dem 2008 herausgekommenen
Film „Café de los maestros“. (Damals) noch lebende Tangolegenden wie Luis Stazo, Leopoldo Federico, José
Libertella, Emilio Balcarce, Virginia Luque und Mariano Mores geben im berühmten „Teatro Colón“ in Buenos Aires ein
umjubeltes Konzert.
Diese
Musiker haben alle schon in den großen Orchestern früherer Zeiten mitgewirkt.
Inzwischen – viele über 80 Jahre – spielen sie in ausgefeilten Arrangements so
„modern“, dass einem bei Hören (und Tanzen) die Luft wegbleibt. Nur auf
europäischen Traditionsmilongas hält man beharrlich an den alten Aufnahmen
fest…
Es war
allerdings damals höchste Zeit, diese Interpreten auf die Bühne zu holen.
Inzwischen lebt von den über zwanzig „Maestros“ des Films keiner mehr.
Mariano Mores (Mariano Martinez, 1918 - 2016)
Mit 18
Jahren erhielt Mores sein erstes
Engagement: Für dreieinhalb Pesos pro Tag durfte er in einer Bar auf der Avenida Corrientes Klavier spielen. Bald
darauf studierte er dieses Instrument bei Luis
Rubistein, an dessen Akademie er bald Musiklehrer wurde. Von 1939 bis 1948
spielte Mores im Orchester von Francisco Canaro. Seinen ersten
Tango-Hit schaffte er 1939 mit „Cuartito
azul”. In dieser Zeit begann er ebenfalls, Filmmusik zu schreiben. Das
Video zeigt eine Szene aus dem Streifen „La
voz de mi ciudad“ mit Diana Maggi
aus dem Jahr 1953.
Einige
seiner bekanntesten Tangos entstanden aus der Zusammenarbeit mit Enrique
Santos Discépolo („Cafetín de
Buenos Aires“, „Uno“). Mit dem Autor Homero Manzi gelang der Erfolgstitel
„Una lágrima tuya”. Es gibt etwa 300 Aufnahmen von Mores, der lange Zeit ein eigenes Orchester leitete. Viele seiner
Kompositionen werden heute noch gespielt, z.B. „Taquito militar”, „A quién le puede importar?”, „Sin palabras”, „El
firulete”, „Cada vez que me recuerdes”, „Cristal”, „Tu piel de jazmín”,
„Gricel” und „En esta tarde gris”. Nummer eins ist und bleibt für mich „Tanguera“. Im Filmmusical „Moulin Rouge“ erfuhr dieser Titel als „El tango de Roxanne“ eine unglaublich
dynamische Neufassung.
Bei der
(damals wie heute ziemlich konservativen) Tänzergilde werden die genialen
Arrangements von Mariano Mores, wie
man sie gerade in seinen eigenen Orchesteraufnahmen erlebt, weitgehend
ignoriert. Zu „bombastisch“ und „musicalhaft“ (lies: schwer zu tanzen…). Für
mich selber gehört es zu den Sternstunden, diese Musik auf das Parkett
übertragen zu dürfen.
Das
musikalische Special galt Leopoldo
Federico (1927-2014). Der argentinische Bandoneónspieler und Komponist
arbeitete mit einer Vielzahl von Tangogrößen zusammen (u.a. Juan Carlos Cobián, Alfredo Gobbi, Osmar
Maderna, Emilio Balcarce, Mariano Mores, Héctor Stamponi, Carlos Di Sarli,
Lucio Demare und Horacio Salgán).
Er spielte auch in Piazzollas „Octeto
Buenos Aires“ und nahm zusammen mit dem Sänger Julio Sosa 64 Titel auf.
Es gibt eine
Unzahl von CDs mit Leopoldo Federicos Musik – nur werden sie auf hiesigen
Milongas kaum aufgelegt. Mich dagegen beeindruckt neben der künstlerischen
Virtuosität vor allem sein moderner, atemberaubend vielfältiger Vortragsstil,
welcher selbstredend auf seinem Mitwirken in den großen Orchestern der EdO
basiert – aber eben auch auf den Tango nuevo. Einen Eindruck davon bekommt man
ebenfalls in dem atemberaubenden Film „Café de los maestros“.
In Pörnbach
vorgestellt habe ich auch die argentinische Tangosängerin Adriana Varela (geb. 1952 in Pineyro). Bekannt wurde sie 1993 mit
dem Album „Maquillaje“ unter Beteiligung berühmter Interpreten wie
dem Sänger Roberto Goyeneche und dem
Pianisten Virgilio Expósito.
Insgesamt hat sie bis jetzt ein Dutzend CDs herausgebracht (z.B. auf Amazon zum Probehören und als Download).
Obwohl sie
zu den bekanntesten Frauen in diesem Metier gehört, hat sie auf Milongas kaum
eine Chance, aufgelegt zu werden. Das dürfte an ihrem eigenwilligen,
dramatischen Interpretationsstil liegen, den sie mit ihrer tiefen, rauchigen
Altstimme unterstreicht. Für mich verkörpert sie meisterhaft die Zerrissenheit,
die in vielen Tangos steckt, und das Tanzen dazu bedeutet hohen
„Gänsehautfaktor“.
Man sieht:
So „neu“ ist die Musik, welche ich
vorstelle, oft gar nicht – auf jeden Fall aber dynamischer und origineller
als das üblicherweise Aufgelegte.
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