Es talibant auf beiden Seiten
Vor
kurzer Zeit haben Thomas Kröter und
ich einen Text des Neo DJs Elio Astor besprochen,
in dem dieser mit der konservativen Tangoszene ziemlich abrechnet: Dieses „System“ habe einen „Prozess der Talibanisierung“
angestoßen, den Tanzenden Regeln aufgedrückt und ihnen Angst gemacht, bei
Abweichungen nicht „dazuzugehören“. Ich fand diesen Text in weiten Teilen
zutreffend, Thomas Kröter war eher skeptisch.
Unsere
Artikel dazu:
Auf
dem Blog von Thomas äußerte sich dann auch Elio
Astor persönlich, was Kröter zu
einem weiteren Text anspornte: Die Zukunft des Tango – so sein Standpunkt –
liege im Tango und nicht in der Disco. Unter anderem schreibt er:
„Der traditionelle
Tango wird also ausgesperrt. Nicht zeitgemäß. Passt nicht in die aktuelle globale
Kultur. Wenn das keine ‚Talibanisierung‘ ist. . . Diesmal von der anderen
Seite.
Um es kurz zu machen:
Ich bezweifle, dass die Zukunft des Tango sich mit der Not-Betankung durch
Elemente sichern lässt, die in den Clubs (in meiner Jugend sagte man:
Discotheken) zu finden sind.“
Um
es gleich vorauszuschicken: Da zweifle
ich mit ihm.
Ich
gestehe, mich bislang nicht speziell mit der Musik beschäftigt zu haben, die
man abwechselnd und wenig trennscharf als „Neotango“, „Alternative Tango“, „Fusion“
„Non Tango“ oder sonst wie bezeichnet. Das Feld
reicht ja auch bis zum Horizont –
da fallen Namen wie „Trip Hop“, „Dubstep“,
„Chillstep“, „Deep House“, „Sufi“ und viele weitere, von denen ich – in Thomas‘
Worten – „nicht einmal weiß, was sie
bedeuten – aber ich fürchte: Für meine Ohren nichts Gutes.“
Wenn
ich einmal auf Veranstaltungen gerate, bei denen ausschließlich Non Tango – in Kröters provokativer Definition:
„alles außer Tango“ – geboten wird,
finde ich das zuerst mal – nach dem vielen EdO-Gedudel rundherum – recht erfrischend.
Nach zwei Stunden Dauerbeschallung mit hackenden Monoton-Rhythmen oder
Stratosphären-Klängen sehne ich mich aber wieder nach Tango und wäre bereit, auf jedwede Knisterklang-Tanda zu tanzen.
Nun
gut, die Geschmäcker dürfen
verschieden sein – und diese Welt ist so riesig, dass man wohl von jedem DJ ein
ganz anderes Programm geboten
bekommt. Schon mal ein Vorteil!
Was
den Berliner Blogger und auch mich allerdings abstößt, ist die Ideologie, welche dem Ganzen offenbar
zugrunde liegt. Thomas baut in seinen Artikel ein Plakat ein, in dem knallhart (von
ihm übersetzt) formuliert wird, wohin die Reise geht:
„Wir
übernehmen das gesamte argentinische Tanz-Erbe: Aber nicht die Musik, weil sie
unsere Zeit und unsere globale Kultur nicht repräsentiert.”
Man
tanzt also Tangoschritte, aber nicht
zu einer Tango-Musik, da diese nicht zeitgemäß sein könne!
Elio Astor hat auch auf diesen
Artikel geantwortet und bestätigt diese Linie, indem er sich auf einen
legendären Tradi-DJ bezieht:
„In einem berühmten
Interview erklärt Felix Picherna, dass es keinen Weg für einen zeitgenössischen
Tango gibt, weil sich die Zeiten geändert haben, Menschen sich verändern, die
Gefühle und die Kultur sich verändert haben, und diese Epoche der Sänger,
Orchester und Dichter ist vorbei. Es kann keine Tangos der modernen Welt geben,
die über die moderne Gesellschaft sprechen.“
Mit
Verlaub, ich halte das für gefährlichen
Schwachsinn:
Wäre
Tango abhängig von einer bestimmten Epoche,
einer sozialen und kulturellen Struktur, einem speziellen Zeitgeist, wäre er
bereits um 1920 wieder ausgestorben, da er damals vom Rand der
Gesellschaft, den Auswanderern, in die besseren Kreise vorstieß, geradezu zum Schicki-Micki-Modetanz wurde. Aus dem ziemlich
aggressiven Milonguero-Stil wurde der elegante Tango de Salón. Auch die Musik
veränderte sich, geriet romantischer und gebundener, die Texte wurden von allzu
bösen Worten gereinigt.
Tango
wurde Mainstream, und darum
veränderte er sich in den 1930-er bis 50-er Jahren relativ wenig: Was einen
derartigen Hype auslöst, wird halt
so lange wie möglich verkauft. Erst Piazzollas
Tango nuevo (welcher übrigens mit „Neotango“ genau nichts zu tun hat)
passte die Musik wieder dem veränderten Zeitgeist an. Sonst hätte der Tango die
1970-er Jahre nicht überlebt.
Und
wieso haben die Tangoshows der 80-er
Jahre, hauptsächlich mit Piazzollas Musik, vor allem die jungen Menschen in Europa so
begeistert, dass viele nun plötzlich Tango lernen wollten? Waren das die
klassischen E-Musik-Konzertbesucher? Sicher nicht.
Warum
schließlich sprach der Tango im Lauf seiner Entwicklung Menschen in den unterschiedlichsten Ländern an,
animierte selbst die kopfgesteuert-ordnungsliebenden Deutschen oder die schwermütigen
Finnen, ja sogar die Japaner, eigene Tangoformen zu finden?
Aus
meiner Sicht ist das Geniale am Tango, dass er menschliche Grundgefühle anspricht: Verlassenheit, Melancholie,
Trauer, Empörung, Nostalgie, Eifersucht, Verliebtheit, Romantik – ja sogar
überbordenden Spaß. Und jeder einzelne Tango ist anders – und genau deshalb hat
das Genre nun schon bald 150 Jahre überlebt.
Leider
hat man in den letzten 20 Jahren seinen Rücksturz
in längst vergangene Zeiten hinbekommen, und da konnte es nicht ausbleiben,
dass manche ihn nun pauschal ablehnen und uns stattdessen aktuelle Popmusik andienen wollen. Und das, obwohl man die Chance
hätte, auf eine rasant steigende Zahl von jungen
Tangoensembles zu setzen, welche Zeitgeist und wirklichen Tango wunderbar
verbinden. Es ist ein Jammer!
Völlig
zu Recht beklagt Elio Astor, dass
seine Anhänger „öffentlich angegriffen“ würden
und man ihnen sage, „dass sie den Tango
zerstören, wodurch ihre Arbeit, ihre Bemühungen und ihre Stimmung verunglimpft
werden.“
Er
macht es aber mit solchen Sprüchen
auch nicht besser:
„Parallel dazu bauen
wir eine Gemeinschaft von aufgeschlossenen Menschen auf, die die Umarmung zur
zeitgenössischen Musik, die wir schätzen, tanzen. Leute, die solche
Veranstaltungen mögen, werden hingehen, Leute, die das nicht wollen, werden
nicht mitmachen, und wahrscheinlich würden sie die Atmosphäre ruinieren, wenn
sie es doch täten.“
Kröter
zitiert auch einen anderen Vertreter des Neotangos, Nath StrokeBloke:
„Der
Versuch jedoch, traditionelle Tangomusik und alternative Rhythmen an einem Tanzabend
zu mischen, kann die Struktur der Nacht zerstören, zu Verwirrung führen, und
natürlich möchte nicht jeder Tänzer sein Terrain verlassen und die Fähigkeiten
annehmen, die erforderlich sind, um einen schönen Tanz zu nicht traditioneller
Musik zu vollbringen. Die beiden scheinen sich wie Öl und Wasser zu vermischen.
Durch die Trennung als traditionelle und alternative Tänzer wissen die an
Veranstaltungen teilnehmenden Tänzer im Voraus genau, was sie zu erwarten
haben.“
Diese
Argumentation kenne ich von der anderen
Seite nur allzu gut: Soll doch jeder dorthin gehen, wo er will, aber bitte
ja nicht mit der falschen Einstellung
auf meine Veranstaltung!
Und
da man sich im Tango offenbar nur dann modern dünkt, wenn man keine Tangos
auflegt, liefert man natürlich der anderen Seite ein Totschlagargument erster Güte. Seit Jahren müssen Autoren wie ich
sich vorhalten lassen, einem völlig verfehlten „Tangobegriff“ anzuhängen.
Herzlichen Dank!
Aus einer ganzheitlichen Sicht auf den Tango
ist längst ein Verteilungskampf
geworden: Vom immer noch sehr gefragten Tangokuchen möchte man sich halt ein
besonders dickes Stück abschneiden und die eigene Kundschaft bestens bedienen. Von
der Subkultur zum Event-Marketing…die jeweils anderen
sind einem schnurz. Ja nichts riskieren!
Menschen,
die es schätzen, sich zu verschiedener
Musik unterschiedlich zu bewegen, fallen hier wie dort durch das Raster.
Und von denen gibt es mehr, als sich die Protagonisten beider Seiten träumen
lassen. Sehr schade.
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