Sie wollen doch nur spielen…
Wieder
einmal hat der Blogger-Kollege Thomas
Kröter ein wichtiges Thema aufgegriffen. In Kurzform:
Das
bekannte „Hyperion Ensemble“
gastiert am 11. Dezember – wie auch schon letztes Jahr – bei einem Festival in St. Petersburg. Und das, obwohl die
Veranstalter damals ein tanzendes
Frauenpaar von der Piste verwiesen hatten, was zu großen Debatten führte: http://milongafuehrer.blogspot.com/2018/12/tango4all.html
Auch für dieses Jahr scheint klar zu sein: Tangopaare werden auf der Tanzfläche nur akzeptiert, wenn sie aus einem führenden Mann und einer folgenden Frau bestehen. Cabeceo und das restliche Tralala natürlich inklusive…
Auch für dieses Jahr scheint klar zu sein: Tangopaare werden auf der Tanzfläche nur akzeptiert, wenn sie aus einem führenden Mann und einer folgenden Frau bestehen. Cabeceo und das restliche Tralala natürlich inklusive…
Offenbar
hat dies zu Vorwürfen gegen die
Tangomusiker geführt, wogegen die sich in einem FB-Post wandten. Quintessenz: Sie wollten doch nur spielen – alles andere
sei Sache der Organisatoren.
Kröters Meinung dazu ist eindeutig:
„Ist es zu viel
verlangt von Musikern, in großen gesellschaftlichen Streitfragen Position zu
beziehen? Niemand zwingt sie, irgendwo aufzutreten. Müssen sie mit ihrem
internationalen Ruf wirklich jedes Engagement annehmen? Tun sie es aber, müssen
sie auch mit der Kritik daran leben.“
Interessant
ist ein FB-Text von Sasha Trofimova,
die in St. Petersburg eine Tangoschule
vertritt, welche ebenfalls zu dem Festival eingeladen wurde. Sie könne leider –
trotz der hervorragenden Musik – nicht teilnehmen:
„Für mich liegt die
Stärke des Tangos in der Freiheit des künstlerischen Ausdrucks des Menschen im
Tanz mit einer anderen Person und mit der Musik, ohne Geschlechtsunterschiede zu
machen. Ich denke, dass Tango uns dazu bringen kann, jeden Menschen zu respektieren,
mit dem wir im Paar und auf der Tanzfläche sind. Ich denke, dass wir durch
Tango lernen können, wie man zusammenlebt, indem wir in einem kleinen und
fragilen Raum so unterschiedlich sind wie unsere Welt. (…) Ich kann nicht an einem
Ort tanzen gehen, wohin ich nicht alle meine Schüler ohne Ausnahme einladen und
an dem ich nicht sicher sein kann, dass die Besonderheit jedes Einzelnen kein
Grund für einen Konflikt ist!“
(von mir aus dem
Spanischen übersetzt)
Wie steht nun das „Hyperion Ensemble“ dazu? In seinem FB-Post wendet es sich an alle
Tangofreunde, „ob hetero, queer oder
asexuell“ und versichert, gerne für all diese Fraktionen zu spielen. Aber:
Der Hausherr bestimme halt die Spielregeln, die könnten sie nicht
beeinflussen. Sie seien weder eine politische
Partei noch ein Propaganda-Instrument
– nur „Künstler und Musiker, welche die
Tangokultur über die ganze Welt verbreiten“ wollten.
Spätestens
da musste ich schon schlucken: Aha, aber welche „Tangokultur“ ist das dann? Reaktionäre Gesinnung in Form von
Homophobie und Unterdrückung der Frauen, denen man das Recht abspricht, in einem
Paar den führenden Part zu übernehmen?
Über
seine Haltung, die ja „völlig klar“
sei, möchte das Tangoensemble auch nicht diskutieren. Jeder könne seine
eigene Meinung haben, ohne andere zu verdammen.
Ich hätte den Musikern
vorhersagen können, dass sie damit nicht
durchkommen. Über 100 Kommentare
zieren nun ihren Post, davon die überwiegende Anzahl kritisch bis negativ.
Letztlich dreht sich die Debatte um den zentralen Punkt: Bildet dieses
Reglement eine harmlose Etikette wie
beispielsweise ein bestimmter Dresscode, oder handelt es sich um eine Diskriminierung, welche elementaren Menschenrechten
widerspricht?
Müsse man den „Standpunkt“ von Veranstaltern auch tolerieren, so fragt ein
Kommentator, wenn auch andere
Personengruppen, beispielsweise Juden, ausgeschlossen würden?
Letztlich kommen wir damit auf die alte Frage
zurück, ob Künstler „unpolitisch“
sein können. Wohl schon, ich hätte es der Gruppe allerdings nicht geraten, mit vagen Redensarten dem Problem
ausweichen zu wollen. Es wird nicht funktionieren.
Sicherlich kennen wir nicht alle Einzelheiten der Buchung –
beispielsweise, ob man sie jetzt noch stornieren könnte. Aber ich fürchte, Antidiskriminierungs-Klauseln wird es
in russischen Auftrittsverträgen nicht geben. Andererseits existiert das
Ensemble seit 1992 – es besteht also nicht aus „heurigen Hasen“, welche sich
auf Naivität herausreden könnten.
Und man war schon im vergangenen Jahr dabei und hätte das Ganze voraussehen
können.
Ein klarer
Standpunkt hätte es schon sein dürfen: Entweder man findet die besagten
Spielregeln so harmlos wie die eines
Historienspiels – oder man beteuert klipp und klar, hier anders zu denken als die russischen Veranstalter, ja sogar eine sexuelle Diskriminierung feststellen zu
müssen. Dann könnte man immer noch begründen, wieso man dennoch dort spielt –
um die Fans nicht zu enttäuschen, oder weil man halt auf die Knete nicht
verzichten kann oder will.
So aber lässt man die Andersdenkenden in Russland im Regen stehen. „Tangokultur“? Dass
ich nicht lache…
Wir sollten uns jedoch nicht lässig
zurücklehnen und zuschauen, wenn hinten, weit in Russland,
die Heteros auf die Lesben schlagen. Insofern stimmt es halt gerade nicht, was Martin Ziemer auf Thomas Kröters Blog kommentiert:
„Seit dem
ursprünglichen Vorfall im letzten Jahr ist im Umkreis von 1000 km rund um den
deutschsprachigen Raum nichts bekannt geworden, auf das wir unsere
diesbezüglichen Grundwerte, unsere Vorstellungen und auch unsere
unterschwelligen Aggressionen hätten projizieren können. In dieser Hinsicht
sollten wir den armen Musikern dankbar sein, dass sie uns noch einen zweiten
Aufguss ermöglichen.“
Da erinnere ich ungern daran, welche Debatten ich jüngst in Berlin auslöste,
als ich von Feministinnen im
argentinischen Tango berichtete. Da waren etliche, sich liberal dünkende Herren
schnell dabei, solche Weiber aus dem
Tango zu verweisen:
Aber klar, direkt von der Piste vertreiben würde sie in Deutschland derzeit keiner –
damit würde er nicht nur auf meinem Blog landen, sondern es wohl sogar in die „Süddeutsche“
oder den „Spiegel“ schaffen. Aber was da unter
der Oberfläche gärt, hat mit einer offenen, liberalen Gesellschaft genau
nichts zu tun.
Daher, mit nochmaligem Dank an Thomas Kröter, ein Video, das gleich drei Tabus verletzt: Ein tanzendes Männerpaar
ginge ja vielleicht noch – aber Werbung für Alkohol, ja sogar Rauchen
in geschlossenen Räumen?
Andererseits:
Champagner, Koks und Nutten gibt es durchaus als stimulierende Zugabe in
traditionellen Tangos…
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