„How dare you?“
Ich freue mich,
wieder einmal einen Gastbeitrag von Karin
Law Robinson-Riedl veröffentlichen zu dürfen.
In den Augen
mancher meiner Kritiker belasten die Autorin allerdings zwei Tatsachen: Sie war beruflich als Gymnasiallehrerin tätig und
ist vor allem mit mir verheiratet. Wer also schon deshalb meint, ihre Texte
seien nicht ernst zu nehmen, sollte an dieser Stelle das Lesen einstellen!
Und da wir nun
unter uns sind: Was ich an meiner Frau neben ihrer hervorragenden beruflichen
Qualifikation besonders schätze – es war mir bislang völlig unmöglich, sie zu
beeinflussen, was oder worüber sie schreiben sollte. Und ich habe bislang jeden
Text so veröffentlicht, wie sie ihn mir angeboten hat.
Daher nun: Bühne
frei!
„How
dare you?“ – oder: Müssen wir uns schämen?
Ja!
Ich
verfolge seit geraumer Zeit mit zunehmendem Entsetzen die Debatten auf
Tango-Foren, in denen es um Themen geht wie Bondage-Einlagen auf Milongas
(offenbar alt-japanischer Tradition), um Körperpflege, natürlich personalisiert
(!), um den rechten Ton in Kritik an allem und jedem, (scheinbare)
Besserwisserei, wahre oder „erfundene“ Traditionen im Tangotanz u.v.a.m.
Allen
Diskussionen ist Folgendes gemeinsam:
1. Die Beiträge sind
sehr oft nicht sachbezogen, sondern an jeweiligen Personen, die Standpunkte
vertreten, orientiert. Je nach Sympathie werden deren Beiträge verteufelt oder
hochgelobt.
2. Die Sprache der
Kommentare entspricht – ebenfalls sehr oft – nicht dem, was in jeder halbwegs
intakten Kinderstube bereits (!) als angemessen oder eben nicht klassifiziert
wird.
Heute
Abend sah ich die Verleihung des Bayerischen Kabarettpreises an Emmanuel Peterfalvi alias Alfons, den Franzosen in orangefarbener
Trainingsjacke, der über seine Straßenumfragen – raffiniert – zu aktuellen
Themen Stellung nimmt.
Da
kam mir sofort die verzweifelte Assoziation zu dem „West-Eastern-Divan-Orchestra“, mit dem sich Daniel Barenboim, Edward Said und Bernd Kauffmann seit Jahrzehnten
bemühen, den Nahostkonflikt durch die Musik zu mildern und Grenzen zu
überwinden.
Die
nächste Gedankenverbindung:
„Menuhins Botschaft von der
transformativen Kraft der Kunst, vom einenden Geist der Musik wird verstanden –
in der ganzen Welt und auch in Berlin. Albert Einstein, der Menuhins legendäres
Debüt im Publikum mitverfolgt hat, soll später gesagt haben: ‚Jetzt weiß ich,
dass es einen Gott im Himmel gibt.‘ Jahre später wird Yehudi Menuhin als erster
jüdischer Musiker 1945 im zerstören Berlin auftreten und damit Deutschland die
Hand zur Versöhnung reichen.“
Wie
ist es möglich, dass Menschen, deren Herkunft oder gar Schicksal es hätten voll
verstehen, ja verzeihen lassen, dass sie auf immer und ewig Deutschland aus
ihrem Betätigungsfeld, ja aus ihrem Bewusstsein getilgt hätten, dennoch für
Verständigung eintraten?
„Menuhin, der
selbst jüdischen Wurzeln hatte, wurde bei seinen Konzerten in den
Konzentrationslagern 1945 erstmals intensiv mit dem extremen Leid dieser
Menschen konfrontiert – auch wenn er das Ausmaß dessen damals noch nicht so
stark wahrgenommen hatte. Menuhin selbst war in Amerika aufgewachsen und zum
Zeitpunkt des Konzerts 29 Jahre alt. Ein halbes Jahrhundert später reiste der
Geiger erneut nach Bergen-Belsen. Bei diesem Besuch bemerkte Menuhin, dass es
ihm damals nicht wirklich so deutlich gewesen sei, in welchem Zustand sich die
Leute eigentlich befunden hätten - körperlich, mental und psychisch.“
Nach
dem Konzert hat er das alles in vollem Umfang realisiert.
Und
da „erlauben sich“ Menschen von heute, buchstäblich die Nase zu rümpfen bzw.
beschämend ausfallend, beleidigend und ausgrenzend zu schreiben über
Tangotänzer, die außerhalb einer Ronda tanzen (!), die es wagen, sich emotional
und raumgreifend zu bewegen, tänzerische Dynamik an den Tag zu legen.
Natürlich
gibt es heute auch hoch brisante Themen, das will ich nicht herunterspielen,
aber gehört DAS dazu??
(Zu
allem Überfluss hatte – im konkreten Fall – der Inkriminierte auch noch fast
demütig eine Stellungnahme zu seiner Tanzweise erbeten!)
Zum
Dank wurde ihm auch noch in aller Achtsamkeit attestiert, dass seine –
vermutlich durch engagiertes Tanzen entstandene – Ausdünstung unerwünscht sei…
Die
Fallhöhe könnte bei einer klassischen Tragödie nicht größer sein.
Was
da heute in endlosen Beiträgen der sogenannten „social“ media ventiliert wird,
war früher Gegenstand der Grunderziehung in Kindergärten!
Auf
der Liste stand auch ein gewisser Stil des Ausdrucks. Erinnert ihr euch noch an
die Ermahnungen von Kindergärtnerinnen oder Eltern? „Das ist ein böses Wort,
das sagt MAN nicht!“
Klingt
oberflächlich und antiquiert, ist aber, auf die aktuelle Debatten„kultur“ in „sozialen“
Medien bezogen, brisant.
Mein
dringendes Anliegen:
Erinnnert
euch doch bitte an bzw. lernt neu (?) elementare
Grundregeln des Miteinander:
1. Führt sachliche Diskussionen. Belegt eure
Standpunkte durch seriöse Argumente und
Zitate. Ob ihr mit dem „gegnerischen“ Standpunkt übereinstimmt oder nicht:
Eine ausführliche Darstellung hat es IMMER verdient, das man sich ausführlich mit ihr auseinandersetzt.
Ich kenne aus eigener Erfahrung die Pflicht der berühmten
Bemerkungen z.B. unter Deutschaufsätzen:
Hier wird eine – arbeitsintensive (!) – detaillierte
und inhaltlich fundierte, zur erteilten Note passende Stellungnahme zum
Aufsatz mit Recht erwartet. Schließlich
hat sich der Schüler ca. 4 Stunden um seinen Text bemüht – mit welchem Erfolg
auch immer, das ist sekundär.
Wie peinlich und – mit Recht angreifbar – wären hier
ein paar flapsige Zeilen ähnlich wie z.B. „Was sollte dein Text eigentlich?“
Ich weiß: Im Netz gelten andere Regeln – aber den
Respekt, den man Schülerarbeiten
zollen muss (andernfalls mit juristischen und schulrechtlichen Konsequenzen!) –
sollte man diesen nicht auch gegenüber Texten
von erwachsenen Menschen walten lassen – ob einem die darin geäußerten
Meinungen passen oder nicht?
Lehrer sind übrigens schon lange angehalten, ihre
persönliche Meinung hier völlig hintanzustellen, sich lediglich mit der
Plausibilität des vom Schüler Dargestellten abzugeben – so viel zum
gescholtenen „Oberlehrergebaren“! Dass ein Schüler heutzutage wegen „falscher
Gesinnung“ auf eine Arbeit „nur“ die Note Zwei erhält, wo er z.B. hervorragend
den Pazifismus Wolfgang Borcherts herausarbeitet und mit größter Sachkenntnis
und sprachlicher Gewandtheit argumentiert – sorry, das halte ich für illusorisch,
angesichts einer immer mehr eingriffsbereiten Elternschaft.
2. Vermeidet persönliche Angriffe – eine
„autobiographische“ Interpretation von Äußerungen bringt genau nichts.
3. Setzt euch mit den Einlassungen eures Gegners also so
„objektiv“ wie möglich auseinander – will heißen, versucht, euch zumindest für eine Zeitlang in seinen Standpunkt hineinzuversetzen, bevor ihr
urteilt. Ich weiß aus vielen Jahren Berufserfahrung, wie schwer das ist (s.a. Stichwort
„dialektische Erörterung“ – Kollegen werden wissen, wovon ich spreche!)
4. Wenn ihr den Diskussionspartner persönlich von vornherein kategorisiert
(= „typisch“ Soldat, Lehrer, Banker, Künstler, Politiker …), seid ihr definitiv völlig unfähig zu jedwedem klarsichtigen Urteil über das, was er inhaltlich schreibt. Dies wird vor
allem dem „Gegner“ nicht gerecht, aber zeugt auch von einem „unwürdigen“ und
unsachlichen Vorgehen eurerseits.
5. Stellt euch mal
vor, euer Lehrer (oder auch der „Oberlehrer“) hätte euch mit Verbalinjurien von „besserwisserisch“
bis „scheiße“ attestiert, dass ihr in seinen Augen in eurem Aufsatz völlig
daneben geschrieben/argumentiert habt …
Ich bin sicher, in der heutigen Zeit würde das eine
sofortige (Dienst)Aufsichtsbeschwerde nach sich ziehen. Früher vielleicht „nur“
Depressionen beim Schüler.
Was lernen wir daraus? Die berühmten alten „Oberlehrer“
werden heutzutage schwer an die Kandare genommen, was ihr „ehrliches Urteil“
betrifft.
Da kann sich mancher Kommentator auf FB schon mehr
Offenheit, Unsensibilität, ja Unverschämtheit bis hin zu juristisch
Verfolgbarem (noch) leisten! Ob sich das in Zukunft mit entsprechenden neuen
Gesetzen ändern wird?
So
schließt sich der Kreis.
Ich
appelliere an alle, die guten Willens sind, und hoffe auf deren zunehmende
Anhängerschaft:
1.
Lasst euch Zeit, bevor ihr etwas
postet. Ein paar Stunden des Überdenkens (und Korrigierens in jeder Hinsicht)
können manche Perspektive verändern.
2.
Hütet euch vor
Gewalt
– und dazu gehört die sprachliche
zweifellos – nicht nur die „Nazi-Sprache“ liefert dafür ein überzeugendes
Beispiel. „Sprache – Denken – Wirklichkeit“ (vgl. Sapir-Whorf-Hypothese) bilden
eine untrennbare Einheit. Darüber muss man sich im Klaren sein, sobald man sich
öffentlich äußert (auch im Privatleben ist das Bewusstsein dessen
nicht völlig verkehrt …).
„Die Sprache ist
die Quelle aller Missverständnisse“, sagt der kleine Prinz in Antoine de St.
Exupérys gleichnamiger Erzählung.
Und
wer sich darüber nicht klar ist und Sprache nur als „Ventil“ von egoistischen,
einlinigen Bedürfnissen oder Emotionen benutzt, ohne wirklich ernsthafte, ins
Allgemeine weisende Botschaft und ohne das Bewusstsein von deren Konsequenzen, sollte
besser schweigen.
Zumindest,
damit sich andere nicht wegen einer derzeit immer peinlicher werdenden „Gesprächskultur“
fremdschämen müssen!
***
Ich möchte noch
anfügen: Den Auftritt von Emmanuel
Peterfalvi („Alfons“) haben wir gestern Abend zusammen angeschaut. Und wir
waren beide tief beeindruckt. Danach hat Karin diesen Text verfasst.
Da gehe ich aber sowas von d'accord. Danke!
AntwortenLöschenAlso Katsche steht im Bayerischen für Karl. Klöpfer ist in der Schweiz eine Wurst. Damit habe ich mich mit vollem Namen geoutet :-)
AntwortenLöschenLieber Katsche, vielen Dank auch für die Bestätigung und weiterhin frohe Tänze!
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