Man zahlt, und du musst tanzen
Im
Tango fällt immer öfter der Begriff „Taxi-Tänzer“:
Gemeint sind damit meist Männer, die
eine Frau (oder mehrere) gegen Bezahlung zu einer
Milonga begleiten und mit ihr (oder ihnen) tanzen.
Diese
Tradition reicht ziemlich weit zurück: „Eintänzer“
nannte man nach dem Ersten Weltkrieg stellenlose Offiziere oder verarmte Adelige, welche diesem Erwerb nachgingen.
Wegen ihres tadellosen Benehmens und dem Fundus an eleganter Kleidung aus
besseren Zeiten waren die Herren nicht nur bei Damen, sondern auch den
Betreibern von Tanzschulen und –lokalen sehr beliebt.
Eine
andere Bezeichnung dafür war damals der Begriff „Gigolo“, den wir heute noch von dem bekannten Schlager kennen.
Hier singt ihn mit dem nötigen Belcanto-Schmelz der 30-er Jahre-Startenor Richard Tauber:
Später
verstand man darunter eher einen Herrn, der übertrieben modisch daherkam oder – im englischsprachigen Raum – einen Mann,
der sich von einer reichen Frau aushalten
lässt.
Restbestände
des Eintänzers treiben sich heute noch auf den Kreuzfahrtschiffen unter der
Bezeichnung „Gentleman Host“ herum,
welche alleinstehende weibliche Gäste zum Essen, Tanzen oder sonstigen
Freizeitbeschäftigungen begleiten. Für sie gibt es strenge Dresscodes und
Verhaltensregeln: Sie dürfen nicht verheiratet sein und müssen sich eines
tadellosen Lebenswandels befleißigen, insbesondere keine Liebschaften mit den
Kundinnen anfangen. Dafür erhalten sie freie oder stark ermäßigte Fahrt.
Heute
setzt sich immer mehr der Begriff „Taxi-Tänzer“
durch, was natürlich nicht bedeutet, dass der mit dem Taxi kommt – sondern,
ebenso wie die Mietdroschke, mit einer Taxe für die Fortbewegung bezahlt werden
muss.
Nach
meinen Recherchen handelt es sich in der weit überwiegenden Zahl um Männer, entsprechend der gewöhnlichen
Überzahl von Damen, die gerne tanzen würden, aber keinen Partner finden. Es
gibt aber (wie ich inzwischen gelernt habe) auch Frauen, die sich in dieser
Sparte betätigen.
In
der Regel werden die Tanzbegleitungen privat
oder über Agenturen für einen
Abend gebucht – der Stundenpreis bewegt sich wohl – je nach Land und
Niveau – zwischen 20 und 40 Euro, zuzüglich Spesen (Eintritt, Getränke etc.).
Vorausgesetzt werden natürlich entsprechende Tanzkenntnisse, gepflegte
Erscheinung und vorbildliches Benehmen, manchmal sogar Fremdsprachen-Kenntnisse
und ein höherer Bildungsabschluss.
Auf
manchen Bällen wird dieses Personal
sogar in größeren Mengen vorgehalten, um Tänzerinnen für eine Aufforderung zur
Verfügung zu stehen bzw. sich um Mauerblümchen zu kümmern.
Auch
die Begleitung zu einem Tanzkurs
oder einer Übungsparty ist möglich.
Nachdem
dieser Berufsstand lange Zeit eine Rarität darstellte, scheint er derzeit vor allem im Tango wieder eine Renaissance zu erleben. Im Internet findet man zahlreiche
Beschreibungen und Angebote:
„Heute boomt das
Geschäft mit mietbaren Tanzpartnern in Buenos Aires, der Metropole des Tangos.
Nicht nur mit Flugblättern und Mundpropaganda, sondern über richtige Agenturen
bieten TaxitänzerInnen Ihre Dienste an. Bezahlt wird pro Stunde, in der Regel
begleiten die gemieteten Tänzer ihre Kunden aber den ganzen Abend von Bar zu
Bar.“
„Sie können einen
Tänzer / eine Tänzerin buchen, die Sie oder Ihre Gruppe für den Nachmittag oder
Abend zu Ihrer gewählten Milonga begleitet. Wir suchen einen/eine
Tänzer/in für Sie aus, welche/r Ihrer Körpergröße und Ihrem Tanzniveau am
besten entspricht, je nach den Informationen, die Sie uns geben. Sie buchen
stundenweise für mindestens drei Stunden.“
Allerdings
wird vor weiter gehenden Erwartungen
gewarnt:
„Wir hoffen, dass Sie
die Intimität des argentinischen Tangos genießen, aber bitte verwechseln Sie
nicht den Charakter unseres Services und bringen sich selbst oder unsere Tänzer
in Verlegenheit durch unangebrachte Angebote anderer Natur. Wir sind keine
Agentur für Latin Lovers. (…)
Wenn Sie sich
gegenüber Ihrer TänzerIn unangemessen verhalten haben, z. B. mit einem Angebot
intimer Natur, ist er oder sie berechtigt zu gehen, und Sie haben keinen
Anspruch auf Erstattung. Leider ist dieses Verhalten bei Touristen nicht
ungewöhnlich, daher möchten wir diesen Punkt von Anfang an klarstellen.“
Auch
in größeren deutschen Städten wie
Berlin kann man durchaus Taxi-Tänzer
buchen. Das fördert offenbar soziologisch Interessantes zu den Geschlechterrollen zu Tage – so jedenfalls
ein Berliner Taxi-Tänzer:
„Beim Thema
‚Taxitänzer‘ geraten die Geschlechterrollen ein bisschen durcheinander“,
vermutet Roland Waizenegger, „eine Frau will begehrt werden und erwartet
einfach, dass sie aufgefordert wird. Jetzt den Männern hinterher zu rennen,
also nein, das kriegen ja die anderen mit. Dann gehen sie lieber gar nicht
tanzen.“ Aber auch für die Männer sei diese Umkehrung der Verhältnisse nicht
immer leicht zu verkraften, ihn habe schon so manche Anfrage eines Tänzers
ereilt, ob er sich die Tänzerinnen denn vorher angucken könne. „Nein, sag ich
denen dann, die können Sie vorher nicht angucken. Die Frauen gucken SIE an,
aber nicht andersrum. Viele können sich das gar nicht vorstellen, zu jeder Frau
charmant zu sein, das sozusagen als Dienstleistung zu begreifen.“
Ich
gestehe, mein erster Reflex bei diesem Thema war: Wie tief muss man gesunken sein, um jemand anderen dafür zu bezahlen,
dass er mit einem tanzt? Und dass gerade beim Tango der Eintänzer-Markt
boomt, dürfte – anhand des Getues ums Auffordern
und des männlichen Verlangens nach Frischfleisch
– kein Zufall sein.
Eine
nähere Beschäftigung mit der Materie brachte mich jedoch zum Umdenken. Offenbar sind es keine
schüchternen Mauerblümchen, sondern vor
allem aktive, selbstbewusste und gut verdienende Geschäftsfrauen ab 40, welche sich diesen Service gönnen. Und ein
wenig Knete sollte man schon haben,
denn der Spaß eines vollständig betanzten Milonga-Abends dürfte unter 100 Euro nicht zu kriegen sein.
Aber
haben diese Damen nicht Recht? Sollen sie – bei den heutigen Tangoverhältnissen
– stundenlang herumsitzen, bis ihnen
dann irgendein arroganter Schnösel mit überschaubaren Fähigkeiten die „Gnade“
eines „Sozialtanzes“ antut (falls
sie sein Blinzeln bemerkt haben)?
Außerdem
– und das dürfte doch vor allem Traditionalisten überzeugen – war der käufliche Tango in der Frühzeit ja
durchaus üblich. Nur bezahlten damals die Männer Tanzrunden mit den eher raren,
dafür aber durchaus professionellen Damen…
In
welcher Häufigkeit tritt dieses
Phänomen derzeit auf? Das ist sehr schwer zu beantworten, da wohl die wenigsten
Tänzerinnen (von den Männern ganz zu schweigen) sich outen. Diskretion ist da Ehrensache. Mir
fallen schon gelegentlich Paare auf, die fast nur miteinander tanzen,
allerdings wenig persönlichen Draht zueinander zu haben scheinen. Aber
vielleicht sind die ja verheiratet…
Und
es soll sogar weibliche Wesen geben, die daraus einen Lebensentwurf machen: Männer nur noch ambulant, nicht mehr stationär!
Amüsant
fand ich die Frage an einen Miet-Tänzer, ob es bei seiner Tätigkeit problematische Momente gebe. Als
Antwort erwartete ich die Schilderung erotischer Attacken – aber nein:
„Es kann ein bisschen
mühsam werden, wenn der Kunde oder die Kundin überhaupt nicht tanzen kann. Dann
muss man als Taxitänzer die ganze Arbeit, beziehungsweise die Arbeit des
Lehrers, übernehmen – aber auch das kann Spaß machen, wenn der Wille da ist,
besser werden zu wollen.“
Tja,
da sachste was – aber solchen Schwierigkeiten stellen wir Amateur-Gigolos uns ja fast jeden Abend – und das kostenlos. Auch für uns gilt teilweise,
was der Texter Julius Brammer 1924 im
„Schönen Gigolo“ schrieb:
Schöne
Welt, du gingst in Fransen!
Wenn
das Herz Dir auch bricht,
zeig
ein lachendes Gesicht,
man zahlt, und du musst tanzen!“
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