Liebes Tagebuch… 57
Nachdem
ich gleich hemmungslos loben werde,
darf ich ja Namen nennen:
Gestern
waren wir zu Gast beim Tango Café im 1.
Tanzsportzentrum Freising (TSZ). Der Zulauf, den diese monatliche Milonga
in relativ kurzer Zeit erreicht hat, ist eindrucksvoll. Geboten werden ein
großer Saal mit bestem Parkett, eine hervorragende Tonanlage, Getränke und von
Besuchern mitgebrachter Kuchen – das alles organisiert von freundlichen
freiwilligen Helfern. Stellvertretend ein herzlicher Dank an die engagierten Organisatoren
Isabel Nefzger und Dieter Holtum!
Uneigennütziges
Engagement
ist generell die Linie der Veranstalter. Ohne ideologische Scheuklappen werden
immer wieder andere DJs verpflichtet,
und auch hier ist Respekt vor dem persönlichen Stil die Maxime.
Gestern
legte die Ingolstädter Tangofreundin Sabine
Redl-Thorbeck auf. Sie bot eine feine, gut abgestimmte Auswahl
traditioneller Aufnahmen, aber auch moderne Interpreten bis hin zu Chansons und
Musettewalzern. Es machte uns einen riesigen Spaß, zu ihrer Musik zu tanzen.
Freising ist überhaupt ein
spezielles Pflaster: Neben dieser Milonga gibt es ja noch den „Tango de Neostalgia“ von Peter Ripota und seiner Frau Monika. Auch dort kann von einer
musikalisch engen Festlegung keine Rede sein. Mehr noch: Auf beiden
Veranstaltungen wird inzwischen explizit darauf hingewiesen, dass auch Frauen auffordern sollen, und zwar
egal, wie (natürlich nett und freundlich, aber das braucht man an diesen Orten
nicht extra zu betonen).
Und
das machen die glatt! Gestern wurde ich beispielswese von zwei Damen zum Tanz
gebeten – sogar in Worten – und siehe da: Es fuhr kein Blitz vom Himmel…
Was
mir auf beiden Milongas auffällt: Der Cabeceo
spielt keine große Rolle – wenn es sich mal ergibt, kommt er vor – mehr aber
auch nicht. Und gerade gestern habe ich ziemlich sorgfältig beobachtet: Mir ist
kein einziger Korb aufgefallen,
obwohl weitgehend verbal aufgefordert wurde – und ich erblickte keine
angefressenen Damen, die ob der Nötigung der unkorrekten Tanzeinladung mit
finsterer Miene tanzten. Im Gegenteil: Keine blieb lange sitzen,
das Parkett war stets gut gefüllt, und die Stimmung gelöst und heiter.
Eine übermäßig exakte Ronda konnte
ich nicht feststellen. Klar, irgendwie drehten die meisten ihre Runden schon
im Gegenuhrzeigersinn, man wich einander aus, und wenn sich einmal
eine kleine Berührung oder Behinderung ergab, lösten eine entschuldigende Geste
sowie ein Lächeln auf beiden Seiten das Problem.
Mein
Gesamteindruck – auch von zahlreichen anderen Veranstaltungen: Dort, wo man „den
Deckel vom Topf nimmt“, also nicht auf strikten
Códigos besteht, verbessert sich die Atmosphäre
gewaltig. Die Gäste verhalten sich so, wie es ihrer eigenen Natur entspricht,
und die ist in den meisten Fällen freundlich und gutartig. Beim Auffordern
bilden sich eine Reihe von lockeren und sympathischen Verhaltensweisen – jeder halt,
wie er mag. Auch die Frauen kommen
mehr zum Tanzen – und sie sind nicht halb so deutlich auf „Mädelchen“
kostümiert wie bei konservativen Veranstaltungen. Die Tänzer interessieren
sich mehr für den Inhalt denn die Hülle.
Ich
kenne das Gegenteil bei Milongas, auf denen die Einhaltung der „Tango-Etikette“ zumindest inoffiziell
erwartet wird. Oft nehme ich dort eine angespannte,
fast ängstliche Atmosphäre wahr –
klar, man ist ja unablässig damit beschäftigt, ja nichts „falsch“ zu machen.
Und alles konzentriert sich auf die stressigen 30 Sekunden, wenn nach der
Cortina die ersten Takte der neuen Tanda erklingen:
Stimmt
der Blickwinkel, die Helligkeit, steht jemand meinem Gschau im Weg, hätte ich
einen anderen Platz wählen sollen, schaut sie weg, weil sie mich nicht gesehen
hat oder nicht mit mir tanzen will, galt das Nicken nun mir oder meinem
Nachbarn?
Echt,
Leute, ich mag mich auf einer Milonga entspannen, der Musik zuhören, auch
einmal ein kurzes Gespräch führen, andere Tanzpaare beobachten – und mich nicht
den ganzen Abend krampfhaft mit dem Geglotze beschäftigen! Nein, im Zweifel gehe ich
einfach hin und frage nach einem Tanz. So einfach könnte das sein.
Aus
vielen Diskussionen zum Thema im
Internet geht immer wieder diese Angst
hervor, man müsse mal „von jetzt auf gleich“ unerwartet mit irgendjemand
tanzen, ohne vorher die ganzen „Sicherheits-Bedenken“
durchdekliniert zu haben: Ist der Tanzpartner adäquat oder könnten sich
Probleme ergeben? Passt die Musik oder wird der DJ – Gott bewahre –
zwischendrin plötzlich ein anderes Orchester auflegen?
Ängstliche
Naturen fürchten halt Überraschungen
und klammern sich daher an Regeln,
welche sie davor bewahren sollen. Selbstbewusste suchen das Abenteuer und werden in unerwarteten
Situationen erst so richtig munter. Das ist der Unterschied.
Wen
tänzerische Herausforderungen nicht schrecken: Der Verein „Tango Luna“ in Kaufbeuren führt eine Liste von Milogas, bei denen auffordernde Frauen ausdrücklich
willkommen sind:
Und
wer sich in Freising einmal überzeugen möchte, kann das an den nächsten Terminen tun:
8.11.19
ab 21 Uhr: Tango de Neostalgia, Tanzschule TWS, Am Lohmühlbach 10, 85356
Freising
1.12.19
ab 15 Uhr: Tango Café im TSZ Freising, Schulstr. 10, Attaching, 85356 Freising.
Auflegen wird diesmal meine Tangofreundin Manuela
Bößel.
Illustration: www.tangofish.de |
Wow, was für ein wunderbarer Beitrag, der nicht auf Abgrenzung und Kritik fußt, sondern schlicht das Schöne herausarbeitet, das wir im Tango erleben können, wenn wir uns frohen Herzens offen und freundlich begegnen.
AntwortenLöschenMehr Aufmerksamkeit gewinnt ja meist der Streit, aber Menschen mit guten Beschreibungen über schöne Erlebnisse die Rosen im Dornenbeet zu zeigen und so die Augen zu öffnen für neue Horizonte, das gefiele mir als Motto für einen (und deinen 😉😘) Tangoblog wirklich sehr !!!
Mit herzlichem Dank und großer Freude über den kleinen Freisinger Tangohimmel
🌹🌻🌷
Lieber Tom,
Löschenherzlichen Dank für die anerkennenden Worte!
Du hast ganz recht: Wenn es mir nur um Zugriffszahlen ginge, müsste ich fast ausschließlich konfrontative Artikel schreiben.
Meine Linie wird aber weiterhin darin bestehen, es vom Inhalt abhängig zu machen: Wo mir Missstände erwähnenswert scheinen, werde ich diese weiterhin ansprechen - ebenso wie tolle Eindrücke, die ich noch lieber weitergebe.
Man darf nicht übersehen: Kritik an Negativem impliziert ja auch immer das positive Gegenbild, das man anstrebt.
Herzliche Grüße nach Berlin
Gerhard