Labereien an preußischen Kaminen


Der deutsche Mann
                        Mann
                                Mann
das ist der unverstandene Mann.
        Er hat ein Geschäft, und er hat eine Pflicht.
        Er hat einen Sitz im Oberamtsgericht.
        Er hat auch eine Frau – das weiß er aber nicht.
        Er sagt: »Mein liebes Kind . . .«, und ist sonst ganz vergnügt -
        Er ist ein Mann. Und das
                                genügt.

(Kurt Tucholsky: Lamento, 1931)

O mei‘, was hab ich nur wieder angestellt? In meinem Beitrag „Eine Karikatur des Patriarchats“ berichtete ich über einen gleichnamigen Artikel, der immerhin in der „New York Times“ erschien: Argentinische Frauenrechtlerinnen, so erfahren wir darin, betrachten die ganze Tangokultur – von den Liedtexten bis zum männlichen Verhalten auf Milongas - als ziemlich machohaft geprägt.

In einem jüngst veröffentlichten Protokoll wenden sie sich an Tangoveranstalter mit dem Ersuchen, mehr auf männliche Übergriffigkeiten zu achten und diese möglichst zu unterbinden. Paare, die nicht in der gewohnten Rollenverteilung tanzen (also beispielsweise zwei Frauen), sollten akzeptiert werden. Auch die traditionellen Códigos sehen sie kritisch, da hierbei „Frauen das Interesse der Männer erwarten“ müssten.

Kollege Thomas Kröter, welcher auf den Artikel hingewiesen und ebenfalls einen Beitrag zu „aufgeklärteren“ Verhaltensregeln veröffentlicht hatte, war so freundlich, meinen Text auf seiner Facebook-Seite zu verlinken. Dann brach der Sturm los.

Dazu muss man wissen: Es gibt vor allem in der deutschen Hauptstadt einige Tango-Platzhirsche, die von einem hohen Expertenstatus aus das Netz auf Paria- Außenseiter-Ansichten screenen, und denen gerade bei meinen Texten öfters vor Schreck das Monokel aus dem Auge fällt.

Das Ansinnen dahergelaufener Kampf-Weiber zum Tango jedenfalls, so der Tenor natürlich rein männlicher Äußerungen, ginge gar nicht. Eine Auswahl aus dem Wörterbuch des Übermenschen:

Augusto Tomas: Feminismo is a new form of Machismo” Er verlinkt auch irgendwelche Videos zu digitalen Humanoiden. Sein Kommentar: „What Digital Human has to do with Tango Queer? Simply, both want to rip off the feelings and emotions from the human being. Let's save Tango from those heresies.”
Nochmal zum Mitschreiben: Paare, die in ungewohnter Rollenverteilung tanzen, berauben den Menschen seiner Gefühlswelt – lasst uns also den Tango von solchen Ketzereien retten!

Jürgen Kühne warnt vor der Diktatur des Matriarchats und läutet die übliche Glocke sozialer Ausgrenzung: „Sie will den anderen vorschreiben, wie sie nach ihrem Gusto zu tanzen haben… und ich denke, die Dame wird mit ihrer revolutionären Idee ziemlich einsam dastehen, soweit ich die Tangoszene in BsAs nach vier Aufenthalten kennengelernt habe... (…) Ich glaube, die Furiosa sollte was anderes tanzen als Tango Argentino.“

Auch Christian Paschen scheint das Ganze ziemlich zu stinken: „Ich kann mit dem Tango Feminist Movement absolut nichts anfangen. Es geht um einen sehr traditionellen Paartanz, etwas, was es sonst im Alltag kaum noch gibt, und viele tanzen Tango eben gerade deshalb, nach meinem Eindruck insbesondere auch die Damen. Wenn also die nächste feministische oder gegenderte Welle auf uns zurollt: Augen zu, Luft anhalten, und darunter hindurchtauchen... (…) Ich verbitte mir jegliche Missionierung.“

Pablo Fernandez Gomez reanimiert das „Geht doch rüber-Argument": „Gut dass es so etwas gibt! So bleiben diese Leute weit weg von den traditionellen Milongas.“

Natürlich darf die männliche Machart von Diskussionen nicht fehlen: Sich den missliebigen Autor persönlich vorzuknöpfen – möglichst per Tonfall, in dem dereinst ostelbische Junker mit ihren polnischen Gutsarbeitern zu verkehren pflegten.

Originalton des Tangoveranstalters Michael Rühl: „...begünstigen die allfälligen ‚Códigos‘ eindeutig die Männer." Darf ich fragen, wie genau die von Herrn Riedl genannte Begünstigung aussieht?“

Klar, dürfen Ihro Gnaden! Nur habe ich damit halt die Ansicht der Protagonistin des ursprünglichen Artikels zusammengefasst, nennt man indirektes Zitat". Zudem könnte man auf meinem Blog nachschauen: Da stehen unter dem Label „Códigos“ 59 Artikel, aus denen meine Sichtweise zum Thema klar werden sollte. Muss ich die nun jedem erneut von A bis Z durchbuchstabieren?

Es nützte auch wenig, ihn auf einen Artikel in der neuen „Tangodanza“ (4/2019, S. 88) hinzuweisen, wo Veranstalter ausdrücklich auch andere Aufforderungsarten gutheißen – und zwar, um Frauen nicht zu benachteiligen:

Erwartungsgemäß bekam ich die übliche Cabeceo-Ideologie zu lesen: Klar, die Blick-Aufforderung ist absolut gendergerecht.

Ich kann Herrn Rühl nur einen Rat geben, nämlich sich mal per Fummel und Perücke in eine Frau zu verwandeln – unattraktiv wäre er dann eh bereits. Sodann sich auf einer Milonga mit dem üblichen Männermangel zwei Stunden die Augen nach einem Tanzpartner auszuglotzen. Um sich anschließend zu überlegen, warum es verboten ist, sich einem Herrn der Schöpfung (von mir aus auf Knien) zu nähern und ihn (natürlich niedergeschlagenen Blicks) um einen Tanz zu bitten…

Was ich mich auch frage: Für den Cabeceo wird nun seit mindestens 10 Jahren von gewisser Seite intensiv getrommelt. Wenn er denn so eine tolle Lösung wäre: Wieso reißen die erbitterten Debatten zum Thema nicht ab (die ja nicht nur von mir kommen)? Ich fürchte, er hat etwas mit dem Kommunismus gemein: Beide funktionieren am besten in der Theorie - die praktische Durchsetzung ist meist mit Zwang verbunden.

Immerhin, so erfuhr ich nun zu meinem nicht geringen Erstaunen, Berlin sei tangomäßig ein Hort schrankenloser Libertinage:
„Verbales Auffordern von Mann und Frau wird in Berlin übrigens schon seit 36 Jahren praktiziert. Und ich finde es kurios, im Jahr 2019 in Deutschland einem Artikel den Namen ‚Frauen fordern auf‘ zu geben.“

Ach, lieber Michael, vielleicht einfach, dass wir Provinzdeppen es auch einmal kapieren! Als solcher wird man ja hingestellt, wenn man es wagt, sich mit Berliner Geistesgrößen anzulegen. So schreibt der DJ Manuel Frantz:

„Man muss wissen, Gerhard ist in Pörnbach eine absolute Tangolegende. Bevor man sich mit ihm unterhält, sollte man sich schon das ein oder andere Jahr Zeit nehmen, ihn zu studieren. Es versteht sich doch wohl von allein, dass man so eine (wenn auch lokale) Größe nicht mit unwissenden Fragen belästigt.“

Zum Runtermachen mehr mein Rentner-Dasein im Blick hat dagegen Michael Sacher: „Ich glaube ja nach wie vor, dass diese ganzen Quixote'schen Windmühlenkämpfe mehr damit zu tun haben, dass manche gern schreiben und Publikum brauchen, welches mit der Pensionierung eben plötzlich abhandenkommt, und dann geht's eben online weiter.“
(Quelle: FB-Seite von Thomas Kröter, Post vom 8.10.19) 

Mag schon sein – ich schreibe tatsächlich gerne. Ich möchte bei der Gelegenheit nur mal einen kleinen Unterschied ansprechen:

Autoren wie Thomas Kröter oder meine Wenigkeit erarbeiten sich – oft in stundenlangen Recherchen ein Thema und verfassen dann dazu einen Artikel in der Größenordnung von 500 bis 1500 Wörtern, Bildmaterial inklusive, versuchen, die verschiedensten Aspekte unter einen Hut zu bringen, manchmal sogar differenziert zu urteilen.

Anschließend fällt der Text dann in die Hände von Kommentatoren, welchen oft ein bis drei Sätze (typischerweise in einem fürchterlichen Deutsch) reichen, um ein paar semantische Reflexe ins Netz zu husten. Ganz wichtig dabei: Der wahre Experte muss nicht lange herumargumentieren – die Kennerschaft zeigt sich vielmehr in einem kurzen, aber vernichtenden Urteil. Berufung unerwünscht.

Daher, meine hochmögenden Herrschaften aus der richtungsweisenden Berliner Kulturszene: Wir haben im bayerischen Voralpenland hierfür einen Ausdruck, bei dem man unter Einheimischen nichts mehr erläutern muss: „Preißn-Zipfel“ (und das ist in Bayern keine Kritik an einem Wohnsitz, sondern einer Geisteshaltung).

Um zum Schluss doch wieder zum Thema des attackierten Artikels zu kommen: Der Männertyp, den Kurt Tucholsky 1931 karikierte, gilt ja heute als aus der Zeit gefallen. Im konservativen Tango, so fürchte ich, sammeln sich die kläglichen Restbestände. Als Kronzeugin hätte ich sogar eine Berlinerin zu bieten:



P.S. Ganz aktuell beschäftigt sich Thomas Kröter anhand der neuen Ausgabe der „Tangodanza“ mit diesen und anderen momentanen Tendenzen:
http://kroestango.de/aktuelles/die-neue-tangodanza-ein-streifzug/

Kommentare

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