Ángel y Diablo – Tango auf zwei Harfen


Vorab muss ich gestehen: Wegen meiner „Weihrauchallergie“ haben es sehr nach Kirche und Engeln klingende Instrumente wie Orgel oder Harfe nicht leicht – im Gegensatz zum proletarischen Bandoneón.

Und gerade der „erdige“ Tango auf der „himmlischen“ Harfe (sogar noch zweien) gespielt? Ich fand das jedenfalls spannend genug, mir die neue CD des Duos Laura Oetzel und Daniel Mattelé zu bestellen – die sie mir in Rekordzeit lieferten.

Das Tangoprogramm der beiden Künstler ist ambitioniert, was mich allerdings nicht allzu sehr wundert, immerhin ist die Harfenistin Laura Oetzel die Tochter des Tangokollegen Thomas Kröter. Und, wie bei dieser ungewöhnlichen Instrumentierung nicht anders zu erwarten: Auch die Arrangements haben sich die Künstler selber erarbeitet.

Gestern Nachmittag hörten meine (musikalisch im Vergleich zu mir weit versiertere) Gattin und ich uns die CD zum Kaffee an. Bereits nach wenigen Minuten waren wir uns einig: Diese Aufnahmen sind einfach gigantisch gut!  

Statt am Ende – wie es sich für brave Milongas gehört – sondern am Anfang der CD steht der Klassiker „La Cumparsita“, den ich nun wahrlich von vielen zu Tode geschrammelten, im Gleichschritt gestampften Versionen erlitten habe. Aber, wie bereits die zauberhaften Klänge der Einleitung und wunderbar perlende Läufe beweisen: Es geht auch anders.

Darauf folgt der einschmeichelnde Canaro-Walzer „Yo ne sé que me han hecho tus ojos“ („Ich weiß nicht, was deine Augen mir angetan haben“). Leicht, locker, zart – seit wieviel Jahren spielen die beiden schon Tanzmusik?

Völlig zu Recht stellen die Künstler auch den durchaus avantgardistischen Osvaldo Pugliese mit seinem bekanntesten Stück „La Yumba“ vor – eher verspielt, aber man muss diese Komposition auch nicht mit Dynamik zudröhnen, wie das moderne Tangoorchester gerne unternehmen.

Bei Lucio Demares Klasssiker „Malena“, dieser Einwand sei mir erlaubt, kommt mir das Abgründige der Musik und vor allem der Verse zu wenig zum Ausdruck – gefällig interpretiert ist es jedoch allemal.

Den Beginn des gesungenen Tangos 1919 markiert Samuel Castriotas „Mi noche triste“, welches ich persönlich sehr mag, das aber wenig gespielt wird. Die Emotionalität kommt hier schön zum Ausdruck.

Das gilt erst recht für den Gardel-Ohrwurm „El día que me quieras“, dessen einschmeichelnde Melodie die beiden Interpreten wunderbar zum Klingen bringen.

Kürzlich haben die beiden Harfenisten erstmals zum Tanz gespielt – in der Berliner Milonga „Buchkantine“, die Fridolin Lützelschwab veranstaltet. Das folgende, wohl per Smartphone aufgenommene Video kann natürlich nur ansatzweise einen Eindruck vermitteln:



Ein Problem, das ich auch von meinen „hauseigenen“ Musikerinnen kenne: Etliche Milonga-Gäste können halt einfach nicht die Klappe halten – selbst bei live gespielten, zärtlichen Traummelodien wie dieser!

Um auf eine im Tango stets diskutierte Lieblingsfrage zu kommen: Doch, wie man bereits im Video sieht: Man kann auf diese Interpretationen sogar sehr gut tanzen! Daher wird die CD nächstes Jahr ein „musikalisches Spezialthema“ auf einer unserer „Wohnzimmer-Milongas“ werden!

Persönlich würden mich natürlich auch die Piazzolla-Stücke aufs Parkett locken – und wer sich das nicht zutraut, darf ja einfach sitzen und lauschen, beispielsweise der vierteiligen „Engel-Serie“, wo mich besonders mein Lieblingsstück „Milonga del Ángel“ ansprach – ebenso wie die großartigen rhythmischen Brüche und Perkussionseffekte in „Muerte del Ángel“.

Es spricht für die beiden Interpreten, dass sie sich auch an die ziemlich sperrige „Serie del Diablo“ mit den Kompositionen „Tango del Diablo“, „Romance del Diablo“ (auch ein Lieblingsstück von mir) und „Vagamos al Diablo“ heranwagten. Das ist natürlich „Piazzolla pur“! Es gelingen ihnen derartig wuchtige Klangeffekte, hetzende Rhythmen und hauchzarte Passagen, dass man zeitweise vergisst, dass da immer noch auf zwei Harfen gespielt wird. Einfach teuflisch gut!

Und zum Abschluss dann noch eine furiose Version von „Libertango“ – mehr kann der Piazzolla-Fan sich wirklich nicht wünschen!

Auf dem (ebenfalls empfehlenswerten) Blog der beiden fand ich den Satz: „Wir haben einmal ausgerechnet, dass in einem Stück Musik von 15 Minuten Dauer ca. 100 Arbeitsstunden stecken.“

Ich finde, das hört man: Es ist einfach blitzsauberes, solides Handwerk auf beeindruckendem Niveau und mit anrührendem Ausdruck – ehrliche Musik ohne zu viel Studio-Gefummel. Ein großes Kompliment auch dem Tonmeister Alexander Dorniak, der die Stücke in einem großen Saal mit toller Akustik aufnahm.  

Die Ausstattung der CD ist für einen altertümlichen DJ, der die Silberlinge noch persönlich in den Apparat schiebt, ein wenig nervig. Um an die Titelliste zu kommen, muss man erst das Booklet aus der Hülle pfriemeln, und auch dort erfährt man nichts über die Länge der einzelnen Stücke.

Was auch unbedingt nötig wäre: Ein professionelles Konzert-Video – schließlich wollen die beiden auch im kommenden Jahr mit ihrem Engels- und Teufelsprogramm noch auf Tournee gehen. Ersatzweise hier eine Fantasie von Frédéric Chopin:



Auf jeden Fall werde ich jetzt gleich noch fünf weitere Exemplare von „Ángel y Diablo“ kaufen. Zu Weihnachten ein ideales Geschenk für Tangofreunde!

Wer das auch vorhat: Man kann direkt bei Laura und Daniel bestellen:
https://www.dasharfenduo.de/wordpress/kontakt/ 

Kommentare

  1. Lieber Gerhard,
    mir ging es ähnlich - inkl. der blitzschnellen Lieferung:) Wie so oft bei anderen auch richtig guten Produktionen, gefielen mir beim zweiten/dritten Hören vorher unauffälligere Titel plötzlich besonders gut. Ich bin mir sicher, eine Tanda wird es nächsten Sonntag im Parcour in Lübeck mit Titeln der CD geben - mal schauen, welche - ich höre sie ja bis dahin noch ein paar mal:)
    Eine wunderschöne CD - und eine sehr schöne Besprechung, Danke!
    Martin

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    1. Lieber Martin Polzer,

      danke - hat großen Spaß gemacht! Und obwohl gerne das Gegenteil behauptet wird: Ich schreibe sehr gerne lobende Texte - ohne Ansehen der Person.

      Ich bin sicher, eine Tanda mit den Harfenklängen wird außerhalb knochenharter Traditionsmilongas großen Anklang finden. Es ist einfach eine interessante neue Klangfarbe - und hervorragend gespielt sowieso.

      Herzliche Grüße nach Lübeck
      Gerhard

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